Von Flensburg bis Rügen: Ostsee-Sturmflut hinterlässt Millionenschäden
Nach dem Rekordhochwasser wird in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern langsam das immense Ausmaß der Schäden deutlich. Entlang der Küste sind Hunderte Einsatzkräfte mit Aufräumarbeiten beschäftigt. Die Politik ist gefordert.
Mit dem Abflauen des Oststurms ist das Wasser nach dem Rekordhochwasser inzwischen wieder auf seine normalen Pegelstände gesunken. Die meisten Straßen sind frei. Vielerorts haben Einsatzkräfte damit begonnen, Wasser aus Kellern und Straßensenken zu pumpen, Mauern und Gebäude zu sichern und Sturmschäden zu beseitigen. Wiederaufbau und Reparaturen könnten aber Wochen und Monate dauern. Allein in Schleswig-Holstein soll das Hochwasser nach ersten Schätzungen Schäden im dreistelligen Millionenbereich angerichtet haben. Dort und in Mecklenburg-Vorpommern hoffen die Menschen nun auf Hilfen der Politik.
Günther dankt Einsatzkräften und verspricht Hilfe
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther dankte am Sonnabend den mehr als 2.000 Einsatzkräften, die seit Freitag gegen die schwere Ostsee-Sturmflut gekämpft haben. "Schleswig-Holstein hat zusammengestanden angesichts dieser schrecklichen Flutkatastrophe", sagte der CDU-Politiker. Man könne noch nicht abschätzen, wie hoch die Schäden sein werden, sagte Günther. "Klar ist aber, dass wir natürlich helfen werden." Günther erinnerte daran, dass Küstenschutz eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Land sei.
Madsen: Bis zur kommenden Tourismus-Saison einiges zu tun
Der schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen (CDU) machte sich am Sonntag selbst ein Bild von den Schäden an der Ostküste. "Das bewegt einen schon", sagte er angesichts der Zerstörung in Timmendorfer Strand. "Hier müssen wir schnelle Hilfe auf die Beine stellen. Die Aufgabe gilt es jetzt zu lösen." An vorderster Stelle stehe der Küstenschutz, sagte Madsen. Dennoch sei klar, dass der Tourismus ein wichtiger Wirtschaftsfaktor sei und bis zur kommenden Saison einiges zu tun sei. Madsen betonte auch, dass man langfristige Strategien brauche, um die Küste widerstandsfähiger zu machen. "Wir können ja nicht alle zwei Jahre einen neuen Radweg bauen", sagte Madsen.
Midyatli fordert Unterstützungsfonds vom Land
Die schleswig-holsteinische SPD-Vorsitzende Serpil Midyatli forderte am Sonntag einen Unterstützungsfonds des Landes. So könne schnell und unkompliziert geholfen werden, teilte Midyatli mit, die auch stellvertretende Bundesvorsitzende ihrer Partei ist. "Mit den ersten Aufräumaktionen nach der Sturmflut wird nun klar: Es ist ein Schaden entstanden, der weit in die Millionenhöhe schießen wird. Ob vollgelaufene Keller, Überschwemmungen in den Innenstädten, Schäden an Häfen und Stränden - die Kommunen dürfen bei der Bewältigung der verheerenden Folgen der Flut nicht alleine gelassen werden."
Besonders wichtig sei es, den Katastrophenschutz im Innenministerium zu stärken, sagte FDP-Fraktionschef Christopher Vogt. "Die hierfür von der Landesregierung angekündigten 15 Stellen müssen jetzt endlich besetzt werden, damit unser Bundesland auf solche Katastrophen zukünftig noch besser vorbereitet werden kann."
Mehr als 35 Boote gesunken - Millionenschäden im Olympiahafen Kiel
Allein im Olympiahafen Schilksee sind nach Einschätzung der Stadt Kiel Schäden in Millionenhöhe entstanden. "Es ist ein Desaster", sagte Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) am Sonntag. Mehr als 35 Boote seien gesunken, viele weitere beschädigt. Am Hafen, an den Stegen und an der Mole haben Sturm und Wasser ein Trümmerfeld hinterlassen.
Kämpfer zeigte sich entschlossen, die Schäden in Schilksee bis zur Kieler Woche im kommenden Jahr zu beseitigen. Aber auch die Steilküste sei von den Folgen des Sturms schwer getroffen worden. Zahlreiche Unterspülungen, Erdabrutsche am Ufer und eine große Menge abgeknickter Bäume böten ein Bild der Zerstörung.
SSW-Abgeordneter kritisiert Politik
Der SSW-Bundestagsabgeordnete Stefan Seidler reagierte mit Kritik an der Politik auf die Folgen der Sturmflut. Dieser Sturm müsse wachrütteln. "Das Wasser kann völlig ungehindert in unsere Städte und Ortschaften fließen", so Seidler. "Die Menschen waren auf sich selbst gestellt. Das kann nicht sein."
Backhaus mahnt: Überflutungsgebiete nicht bebauen
In Mecklenburg-Vorpommern machte sich Umweltminister Till Backhaus am Sonntag ein Bild von der Lage in Wieck am Darß. "Unser Mitgefühl ist vor allem in Schleswig-Holstein. Die Schäden dort sind viel, viel höher", sagte der SPD-Politiker. "Wir haben Glück gehabt in Mecklenburg-Vorpommern, unsere Küstenschutzanlagen haben standgehalten. Ich danke allen Einsatzkräften."
Küsten- und Hochwasserschutz bleibe eine permanente Aufgabe, bei der auch der Bund gefordert sei, fügte Backhaus hinzu. Er richtete aber auch einen eindringlichen Appell an Landkreise und Gemeinden: Überflutungsgefährdete Gebiete dürften nicht mehr bebaut werden. "Es muss Ordnung einkehren", sagte der Minister. Zu den Sturmflut-Schäden werde am Dienstag im MV-Kabinett eine erste Bilanz vorgelegt.
Offenkundig sei, dass es in Küstenorten wie Sassnitz auf Rügen oder auch auf Usedom zum Teil erhebliche Schäden gebe. Zudem seien von Stränden und Dünen riesige Mengen Sand ins Meer gespült worden. Diese Verluste müssten mit gezielten Aufspülungen wieder ausgeglichen werden. Daher werde er den zuständigen Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) umgehend um zusätzliche Mittel für den Küstenschutz bitten.
Deichbruch in Wieck am Darß - Gefahr gebannt
In Mecklenburg-Vorpommern hatte die Flut ebenfalls Uferzonen und Straßen überschwemmt. Bäume stürzten um, Dutzende Sportboote sanken oder wurden an Land gespült, Dünen und andere Küstenbefestigungen wurden weggerissen, Keller liefen voll.
In Wieck am Darß war am Samstagnachmittag ein Hinterlanddeich an zwei Stellen gebrochen. Bis zum Sonntagmorgen strömte aus einem der beiden Löcher Wasser aus dem Bodden auf die umliegenden Felder, zwei Kühe starben. 75 Häuser in Wieck waren mit Sandsäcken geschützt worden. Insgesamt etwa hundert Einsatzkräften gelang es am Ende, auch den beschädigten Deich mit Sandsäcken abzudichten. Backhaus sagte, er sei keine Küstenschutzanlage, sondern ein landwirtschaftlich genutzter Deich. Es habe zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr für Leib und Leben der Menschen dort bestanden.
Auch auf der gegenüberliegenden Boddenseite bedrohte das Hochwasser zwei Dörfer. Laut Einsatzleiter ist die Lage In Michaelsdorf und Neuendorf-Heide nicht gefährlich, aber unter Beobachtung.
Autofahrerin auf Fehmarn von Baum erschlagen
Ein Sturmtief aus Osten hatte das Wasser von der Ostsee am Freitag und in der Nacht zum Sonnabend teils mit Orkanböen gegen Strände und Steilküsten gedrückt und für außergewöhnlich hohe Wasserstände gesorgt. Die Feuerwehren in Schleswig-Holstein zählten während der Sturmflut weit mehr als 1.000 Einsätze.
In Flensburg sind nach Angaben der Polizei von Sonntag früh sowohl die Schiffbrücke als auch der Hafendamm sowie die Norderhofenden und Süderhofenden für den Fahrzeugverkehr weiterhin gesperrt und lediglich für Einsatzfahrzeuge und den Linienverkehr frei zugänglich.
Schleswig-Holstein beklagt auch das bislang einzige Todesopfer des Unwetters. Auf Fehmarn starb nach Polizeiangaben eine 33 Jahre alte Frau, als ein im Sturm umstürzender Baum ihr Auto traf.
2,27 Meter - Wasserstand in Flensburg erreicht Jahrhundertmarke
In Flensburg hatte die Ostsee in der Hochwassernacht eine Jahrhundertmarke übertroffen. Der Pegelstand kletterte auf 2,27 Meter über dem mittleren Wasserstand. "Zuletzt gab es dort ein solches Hochwasser im Jahr 1904", sagte Ines Perlet-Markus Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in Rostock. Damals wurden 2,23 Meter gemessen. Aus Sicherheitsgründen schalteten die Stadtwerke den Strom am Hafen ab. In einigen Bereichen bemühten sich die Techniker noch am Sonntag, die Versorgung wiederherzustellen. In Eckernförde überschritt der Pegelstand laut Kieler Umweltministerium mit 2,15 Metern ebenfalls deutlich die Zweimetermarke.
Evakuierungen: 2.000 Menschen in Schleswig-Holstein betroffen
In Schleswig-Holstein wurden seit Freitag mehrere Küstenbereiche evakuiert. Das Innenministerium in Kiel schätzte die Zahl der betroffenen Menschen in Orten wie Eckernförde, Schleswig und Brodersby auf 2.000, darunter auch Urlauber. Allein in Maasholm an der Schleimündung waren es wegen eines Deichbruchs 400 Menschen, die ihre Häuser verlassen mussten. Auch in der Schleistadt Arnis sowie südlich des Olpenitzer Hafens waren Deiche gebrochen.
Mecklenburg-Vorpommern: Strandabschnitte weggespült
In Mecklenburg-Vorpommern erreichte die Sturmflut an vielen Orten am Freitag gegen 22 Uhr ihren Höhepunkt. In Wismar überschwemmte das Hochwasser Straßenzüge und Parkplätze. Der Pegel stieg auf 1,55 Meter über dem Normalwert. In Sassnitz spülte das Wasser Bodenplatten der Strandpromenade weg. In Ahrenshoop auf dem Darß riss die Sturmflut große Teile des Sandstrandes weg, ebenso in Breege auf Rügen. In Stahlbrode zwischen Stralsund und Greifswald wurden Hafenanlagen und dort liegende Schiffe massiv beschädigt.
Ostfriesische Inseln: Auch Wangerooge wieder per Fähre erreichbar
Der regionale Zugverkehr hat sich nach Angaben der Bahnunternehmen mittlerweile weitgehend normalisiert. Auch der Fährverkehr zu den Inseln vor der niedersächsischen Nordseeküste läuft wieder überwiegend fahrplanmäßig, wie die Fährgesellschaften auf ihren Internetseiten mitteilten. Am Sonnabend waren alle Verbindungen gestrichen worden. Inselflieger transportierten mit ihren kleinen Maschinen rund 900 Urlauber.
Der Ostwind hatte auf der Nordsee für deutlich niedrigere Wasserstände als üblich gesorgt, denn er blies das Wasser von den Küsten weg in die Deutsche Bucht.