Nach einer Sturmflut stehen mehrere Häuser in der Nähe einer Marina bei Arnis unter Wasser. © dpa-bildfunk Foto: Benjamin Nolte

Leiter Krisenstab: Schaden noch nicht absehbar

Stand: 21.10.2023 18:40 Uhr

Nach der Sturmflut geht es ans Aufräumen. Die Lage hat sich beruhigt. Zeit für eine erste Bilanz. Doch bis die Schadenshöhe verlässlich feststeht, wird es dauern, sagt Dirk Hundertmark, Schichtleiter des Katastrophenschutzstabes, im Interview mit NDR Schleswig-Holstein.

Dirk Hundertmark blickt in die Kamera © NDR Foto: Constantin Gill
Dirk Hundertmark ist Schichtleiter des Katastrophenschutzstabes und zieht eine erste Bilanz.

Eine lange Nacht für Einsatzkräfte und Küstenbewohner, inzwischen sinken die Wasserstände. Dirk Hundertmark, Leiter des Katastrophenschutzstabes, lobt die Zusammenarbeit der Behörden.

Herr Hundertmark, Helfer und Einsatzkräfte proben regelmäßig für Ernstfälle, in diesem Fall haben wir sogar eine Jahrhundertflut. Wie sind Einsatz und Krisenmanagement aus Ihrer Sicht bisher gelaufen?

Dirk Hundertmark: Wir haben zu Beginn dieses Sturms einen tragischen Todesfall gehabt auf Fehmarn und wir haben zwei leichtverletzte Einsatzkräfte, das haben uns gerade die unteren Katastrophenschutzbehörden gemeldet. Und das ist für so ein Jahrhunderthochwasser, das es ja in Flensburg war, am Rest der Ostseeküste ein 50-Jahres-Ereignis, aber für einen Einsatz in der Größenordnung ist das etwas, womit man zufrieden sein muss.

Wie werden die Menschen vor Ort in so einem Fall gewarnt?

Hundertmark: Wir haben im Vorfeld ja über das sogenannte modulare Warnsystem, also insbesondere die NINA-App, die dann auch an alle Multiplikatoren geht, ja auch an den NDR, die Bevölkerung vor dem Hochwasser gewarnt. Dann haben die Kreise und kreisfreien Städte für ihre Bereiche auch noch mal diese Warnung konkretisiert. Und am Freitag um 14.03 Uhr hat das Land dann ausdrücklich vor der Gefahr "Sturmflut" gewarnt, das kam aus dem Lage- und Führungszentrum.

Am Sonnabend um 09.51 Uhr konnten wir dann Entwarnung geben, was die Gefahr angeht, weil wir da dann wieder bei einer leichten Sturmflut waren - angesichts der sinkenden Pegelstände und der Wind hatte ja auch nachgelassen. Was nicht bedeutet, dass die Aufräumarbeiten jetzt vorbei sind. Sondern wir haben dann ja auch darauf hingewiesen, dass bitte weiterhin den Einsatzkräften Folge geleistet werden soll, weil selbstverständlich Aufräumarbeiten laufen, Schäden und teilweise auch noch Gefahren beseitigt werden müssen.

Das Wasser kam schneller und höher als erwartet - wonach richtet es sich, ob die Menschen vor Ort per Warnapp benachrichtigt werden? Es gab die Warnung mit der NINA-Warn-App. Ist auch das Cell Broadcasting zum Einsatz gekommen, bei denen die Menschen eine Meldung direkt aufs Handy bekommen, auch ohne eine App installiert zu haben?

Hundertmark: Cell Broadcasting ist auch in dieser Lage zum Einsatz gekommen - und zwar unmittelbar im Hafenbereich der Stadt Flensburg. Diese Meldung wurde ausgelöst durch die Leitstelle Nord.

Warum wurde es nicht häufiger eingesetzt?

Hundertmark: Weil es wirklich darum geht, unmittelbar und eng begrenzt in einer direkt vorliegenden Gefahr zu warnen. Wenn man immer wieder Meldungen kriegt, dann nimmt man diese Meldungen irgendwann nicht mehr wahr. Und deswegen wird die sehr zurückhaltend, wirklich in Gefahrensituationen angewendet.

Können Sie schon etwas dazu sagen, wie groß der Gesamtschaden sein wird? Oder wann wird das möglich sein?

Hundertmark: Das wird ja jetzt erst festgestellt, dass hat Sonnabendvormittag begonnen, als es hell geworden ist. Es laufen aber nach wie vor ja noch Schäden auf. Und beispielsweise wenn jetzt Ölfilme irgendwo entstehen, verursacht das ja auch Schäden. Die sind ja noch nicht weg. Das wird lange dauern, bis man da verlässliche Zahlen liefern kann.

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Wir hatten Meldungen aus betroffenen Regionen, dass Sandsäcke zu spät kamen und Menschen sich schlecht informiert fühlten. Haben Sie schon Rückmeldungen bekommen, was nicht funktioniert hat?

Hundertmark: Nein, auch so etwas wird im Nachhinein natürlich analysiert werden. Es kann immer sein, wenn Sandsäcke verteilt werden, und die Entwicklung des Hochwassers hat ja die Prognosen deutlich überholt, dass so etwas dann zu spät ausgeliefert wird. Das wird natürlich jede Katastrophenschutzbehörde für sich bewerten, was da künftig besser gemacht werden kann. Aber das ist jetzt viel zu früh dazu, dazu was konkret zu sagen.

Sie haben die Prognosen angesprochen, es kam am Ende schlimmer als erwartet - wie bewerten Sie die Prognosen?

Hundertmark: Wir bekommen möglichst gute, möglichst verlässliche Prognosen. Aber das Wort "möglichst" sagt, dass das Grenzen hat. Und wir haben erlebt, dass das Hochwasser deutlich höher war und deutlich schneller kam als prognostiziert. Genauso ist es aber andersrum gelaufen, dass das Wasser auch schneller wieder weg war. Was uns wiederum freut. Planungen sind immer unsicher. Man kann sich nur bestmöglich drauf vorbereiten, und ich denke, das hat insgesamt gut geklappt. Ansonsten hätten wir nicht die Lage, die wir jetzt haben.

Dass es Deichbrüche gegeben hat - was sagt das insgesamt über die Struktur im Küstenschutz aus?

Hundertmark: Das wird sicherlich der Küstenschutz insgesamt bewerten müssen. Aber bei einem Jahrhunderthochwasser oder mindestens 50-jährigem Ereignis ist es fast nicht möglich, dass jeder Deich überall wirklich zu 100 Prozent sicher ist.

Was ist aus Ihrer Sicht gut gelaufen, was nicht?

Hundertmark: Ich denke der Einsatz, auch die Hilfsbereitschaft, den die Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner in dieser Lage gezeigt haben, war wieder einmal vorbildlich. Die Zusammenarbeit aus Sicht des Krisenstabes jetzt beziehungsweise des Katastrophenschutzstabes mit den unteren Katastrophenschutzbehörden hat sehr gut funktioniert -was Meldungen anging, was das Anfordern auch von Verstärkungen anging.

Was aus meiner Sicht, und sicherlich nicht nur aus meiner Sicht, kontraproduktiv war, war das Verhalten Einzelner. Ein Hochwasser, eine Sturmflut ist halt kein Ort zum Paddeln und Kajakfahren und auch nicht für für SUPs, sondern da war das Gebot der Stunde, zuhause zu bleiben und den Einsatzkräften ihre Arbeit so leicht wie möglich zu machen. Denn auch die begeben sich bei jeder Rettung in Gefahr. Und deswegen würde ich mir wünschen, dass nächstes Mal noch besser auf das gehört wird, was die Einsatzkräfte herausgeben.

Das Interview führte NDR-Reporter Constantin Gill.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 21.10.2023 | 18:00 Uhr

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