Rekordhochwasser an Ostsee - Millionenschaden erwartet
Die Sturmflut auf der Ostsee hat vor allem Schleswig-Holstein hart getroffen. 2.000 Menschen wurden vor dem Hochwasser in Sicherheit gebracht. Der Katastrophenschutz rechnet mit einem Schaden in dreistelliger Millionenhöhe. Ministerpräsident Daniel Günther verspricht Hilfe.
Mit dem Abflauen des Oststurms sind die Wasserstände inzwischen deutlich gesunken. Auch in Mecklenburg-Vorpommern hatte die Flut Uferzonen und Straßen überschwemmt. Bäume stürzten um, Keller liefen voll, kleinere Deiche brachen. In Flensburg lag der Pegel nach Daten der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung am Vormittag 1,40 Meter über dem Normalwert, in Eckernförde am Morgen 1,57 Meter über normal. In Wismar sank der Wasserstand bis zum frühen Morgen auf weniger als 1,50 Meter.
Ein Sturmtief aus Osten hatte das Wasser am Freitag und in der Nacht teils mit Orkanböen gegen Strände und Steilküsten an der Ostsee gedrückt und für außergewöhnlich hohe Wasserstände gesorgt. Auf Fehmarn war am Freitag eine 33 Jahre alte Frau ums Leben gekommen. Das Auto der Einheimischen wurde nach Polizeiangaben von einem umstürzenden Baum getroffen.
2,27 Meter - Wasserstand in Flensburg erreicht Jahrhundertmarke
Aus Flensburg wurde ein Jahrhundertwasserstand gemeldet. Gegen Mitternacht kletterte der Pegel in der Stadt an der Förde auf 2,27 Meter über dem mittleren Wasserstand, wie eine Sprecherin des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in Rostock sagte. "Zuletzt gab es dort ein solches Hochwasser im Jahr 1904", sagte Ines Perlet-Markus vom BSH. Damals wurden 2,23 Meter gemessen.
Die Stadtwerke stellten aus Sicherheitsgründen in Teilen des Hafens den Strom ab. In der Stadt Flensburg und im Kreis Schleswig-Flensburg war die telefonische Erreichbarkeit einzelner Polizeileitstellen gestört.
In Eckernförde überschritt der Pegelstand laut den Hochwasser-Sturmflut-Informationen des Kieler Umweltministeriums am späten Abend mit 2,15 Metern ebenfalls deutlich die Zweimetermarke. Der Kreis Rendsburg-Eckernförde hob am Samstagmittag den tags zuvor ausgerufenen Katastrophenalarm wieder auf.
Evakuierungen: 2.000 Menschen in Schleswig-Holstein betroffen
In Schleswig-Holstein wurden seit Freitag mehrere Küstenbereiche evakuiert. Das Innenministerium in Kiel schätzte die Zahl der betroffenen Menschen in Orten wie Eckernförde, Schleswig und Brodersby auf 2.000, darunter auch Urlauber. Für die Gemeinde Maasholm gab es erst am Samstagvormittag Entwarnung. Dort und in der Schleistadt Arnis waren Deiche gebrochen.
Vielerorts an der Ostseeküste haben Einsatzkräfte inzwischen damit begonnen, Wasser aus Kellern und Straßensenken zu pumpen, Mauern und Gebäude zu sichern und Sturmschäden zu beseitigen. Die Aufräumarbeiten werden einige Zeit dauern. Der Leiter des Stabes Katastrophenschutz im schleswig-holsteinischen Innenministerium rechnet mit einem Hochwasserschaden in dreistelliger Millionenhöhe. "Die Hauptaufräumarbeiten laufen morgen an", sagte Ralf Kirchhoff in der Nacht. "Mit dem ersten Tageslicht wird man auch die Schäden erstmal konkreter erkennen."
Günther dankt Einsatzkräften und verspricht Hilfe
Ministerpräsident Daniel Günther dankte den mehr als 2.000 Einsatzkräften, die seit Freitag gegen die schwere Ostsee-Sturmflut gekämpft haben. "Wir sind wirklich allen extrem dankbar, die in diesen Stunden geholfen haben", sagte der CDU-Politiker. "Schleswig-Holstein hat zusammengestanden angesichts dieser schrecklichen Flutkatastrophe."
Man könne die noch nicht abschätzen, wie hoch die Schäden sein werden, sagte Günter. "Klar ist aber, dass wir natürlich helfen werden." Günther erinnerte daran, dass Küstenschutz eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Land sei.
SSW-Abgeordneter kritisiert Politik
Der SSW-Bundestagsabgeordnete Stefan Seidler reagierte mit Kritik an der Politik auf die Folgen der Sturmflut. Dieser Sturm müsse wachrütteln. "Das Wasser kann völlig ungehindert in unsere Städte und Ortschaften fließen", so Seidler. "Die Menschen waren auf sich selbst gestellt. Das kann nicht sein."
Schleswig-Holstein: Viele Straßen unter Wasser
In Flensburg, Kiel, Lübeck und Schleswig wurden etliche Straßen überflutet. In allen betroffenen Orten wurden Straßen in Wassernähe gesperrt. Feuerwehr, Rettungsdienste, Polizei und Technisches Hilfswerk (THW) rückten zu Hunderten Einsätzen aus. In Kiel waren in Schilksee und am Tiessenkai in Holtenau viele geparkte Autos nicht rechtzeitig weggefahren worden, sagte eine Polizeisprecherin. Bei Fehmarn wurden zehn Menschen und ein Hund von mehreren Hausbooten gerettet, wie die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger mitteilte.
Mecklenburg-Vorpommern: Wismar am stärksten betroffen
In Mecklenburg-Vorpommern erreichte die Sturmflut an vielen Orten am Freitag gegen 22 Uhr ihren Höhepunkt. In Wismar überschwemmte das Hochwasser Straßenzüge und Parkplätze. Auch in Warnemünde stieg das Wasser deutlich an. In Binz auf Rügen kippte eine vom Sturm entwurzelte Birke auf ein Auto. In Sassnitz spülte das Wasser Bodenplatten der Strandpromenade weg. In Ahrenshoop auf dem Darß riss die Sturmflut große Teile des Sandstrandes weg. Wenige Kilometer weiter in Wieck brach der Deich an gleich zwei Stellen.
Wie die Reederei Scandlines am Freitag mitteilte, musste wegen extrem starker Ostwinde der Fährbetrieb auf den Strecken Puttgarden-Rødby und Rostock-Gedser vorübergehend eingestellt werden. Der Fährverkehr sollte am Vormittag wieder aufgenommen werden.
Bahnverkehr normalisiert sich
Wieder normalisiert hat sich auch der Regionalverkehr der Bahn. Nach Angaben der Deutschen Bahn wurden die Störungen auf den meisten Strecken des Fern- und Nahverkehrs behoben. Die Aufräum- und Reparaturarbeiten auf manchen Streckenabschnitten dauerten jedoch an.
Dänemark: Evakuierungen und Stromausfälle
Die Sturmflut hatte auch an den bei Urlaubern beliebten Küsten im Süden und Osten Dänemarks zu Stromausfällen und Evakuierungen geführt. Die Pegelstände lagen dort bei mehr als zwei Meter über dem normalen Wasserstand. In der Sommerhaussiedlung nahe Haderslev (Hadersleben) brach nach Polizeiangaben ein Deich. In Südjütland waren auch am Samstagfrüh einige Gegenden ohne Strom.
Fährausfälle wegen Niedrigwassers an der Nordsee
Insulaner und Herbst-Urlauber an der niedersächsischen Nordseeküste sind mit Verschiebungen und Ausfällen bei Fähren von und zu den Ostfriesischen Inseln konfrontiert. Dort werden wegen des Ostwinds deutlich niedrigere Wasserstände erwartet. In Cuxhaven etwa wurden Wasserstände von mehr als 1,50 Meter unter dem sonst üblichen mittleren Niedrigwasser erwartet, wie das BSH mitteilte. Den Angaben zufolge sank der Wasserstand an der deutschen Nordseeküste in den vergangenen 25 Jahren nur drei Mal unter den Wert von 1,50 Metern unter dem mittleren Niedrigwasser - zwei Mal im März 2018 und ein Mal im November 2022. Deswegen können die Fähren zum Teil nicht mehr fahren.
Zu den Inseln Juist, Baltrum und Spiekeroog etwa wurde der Fährverkehr komplett eingestellt. Fähren von und nach Wangerooge fahren bis einschließlich Sonnabend nicht. Auch für Sonntag sei wegen des kräftigen Ostwinds mit weiteren Einschränkungen zu rechnen, teilte der Betreiber Deutsche Bahn mit. Geänderte Abfahrten oder Ausfälle melden Fährgesellschaften auch für die Inseln Borkum, Norderney und Langeoog.
Das Niedrigwasser behinderte am Abend die Fahrt einer Fähre von Langeoog nach Bensersiel. Das Schiff mit 60 Passagieren an Bord stoppte wegen des niedrigen Wasserstandes zwei Kilometer vor dem Ziel. Erst mit der nächsten Flut um kurz vor Mitternacht lief die Fähre in Bensersiel ein.
Fahrplan zu Inseln und Halligen beeinträchtigt
Auch an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste lagen die Wasserstände teils deutlich unter den Normalwerten. Bei der Neuen Pellwormer Dampfschiffahrts GmbH fielen deshalb Fähren aus. Die Wyker Dampfschiffs-Reederei kündigte am Morgen an, es könne auf der Föhr-Amrum-Linie und auf der Hallig-Linie zu Änderungen des Fahrplans kommen.
Aufgrund von Niedrigwasser hatten am Freitag auch in Hamburg viele Barkassenbetreiber und -betreiberinnen ihren Verkehr einstellen müssen. Auch die Fährverbindungen der Hadag waren davon betroffen.
Wetterbesserung erst am Montag in Sicht
Eine deutliche Wetterbesserung ist in den nächsten Tagen kaum in Sicht. Zwar ließ der Wind bereits nach, "allerdings zieht immer wieder Niederschlag auf", prognostiziert Tobias Schaaf vom DWD. Es wird milder mit Temperaturen von 14 bis 16 Grad. Ein etwas freundlicheres Intermezzo gibt es erst am Montag.