VIDEO: NDR Info Extra: Amoklauf in Hamburg – der Ermittlungsstand (63 Min)

Amoklauf in Hamburg: Schütze tötet sieben Menschen und sich selbst

Stand: 10.03.2023 13:50 Uhr

In Hamburg hat am Donnerstagabend ein Amokläufer nach Angaben der Polizei sieben Menschen erschossen und sich anschließend selbst getötet. Die Schüsse fielen bei einer Veranstaltung der Zeugen Jehovas. Polizei und Rettungskräfte waren mit einem Großaufgebot vor Ort. Anwohnende wurden zwischenzeitlich vor einer "lebensbedrohlichen Lage" gewarnt.

Die Bluttat ereignete sich am Donnerstag gegen 21 Uhr in einem Gebäude der Zeugen Jehovas an der Straße Deelböge im Hamburger Stadtteil Alsterdorf. Neben den sieben Toten - darunter ein ungeborenes Kind im Alter von sieben Monaten - zählen auch acht weitere zum Teil schwer verletzte Menschen zu den Opfern des Amokläufers, wie die ermittelnden Behörden am Freitagmittag mitteilten.

Die Ermittlungen der Kriminalpolizei laufen seit dem späten Donnerstagabend auf Hochtouren. Bis in den Vormittag waren die Ermittler zur Spurensuche und -sicherung sowie Zeugenvernahme am Tatort. Erst danach konnten die Leichen der Todesopfer weggebracht werden.

Polizei: Mutmaßlicher Täter beantragte waffenrechtliche Erlaubnis

Bei dem mutmaßlichen Täter handelt es sich laut Polizei um einen 35 Jahre alten Deutschen. Philipp F. schoss nach bisherigem Ermittlungsstand zunächst von außen in das Gebäude und später auch im Gebäude auf Menschen, die sich dort versammelt hatten.

Er war demnach früher selbst Mitglied der Hamburger Gemeinde der Zeugen Jehovas. Als Extremist war der Schütze den Angaben der Polizei zufolge nicht bekannt. Sein Name tauchte aber in den Datenbanken auf, weil er in der Vergangenheit eine Erlaubnis zum Tragen einer Waffe beantragt hatte.

Weitere Informationen
Bestatter bringen Bahren zum Gebäude der Zeugen Jehovas in Hamburg. © picture alliance/dpa Foto: Christian Charisius

Amoklauf in Hamburg: Anonymer Hinweisgeber warnte vor Täter

Durch die Schüsse in einem Gebäude der Zeugen Jehovas im Stadtteil Alsterdorf kamen acht Menschen ums Leben. Der 35-jährige Täter richtete sich offenbar selbst. mehr

Blumen und Kerzen vor dem Eingang eines Gebäudes der Zeugen Jehovas in Hamburg, in es am 9. März ein Amoklauf gab. © Daniel Bockwoldt/dpa

Amoktat in Hamburg am 9. März bei den Zeugen Jehovas: Was bisher bekannt ist

Was wussten Polizei und Sportschützen-Club wann und von wem über den Täter? Gegen einen Mitarbeiter der Waffenbehörde wird ermittelt. mehr

Hinweisportal für Zeugen eingerichtet

Die genauen Hintergründe der Tat waren am Freitagmorgen noch unklar. Es gebe keine gesicherten Informationen zu dem Tatmotiv, teilte die Polizei. Die Ermittler baten darum, keine Gerüchte zu streuen. Zeugen werden gebeten, sich auf dem Hinweisportal der Hamburger Polizei zu melden. Dort können Fotos und Videos zur Tat oder relevanten Ereignissen in diesem Zusammenhang hochgeladen werden.

Für Angehörige und Betroffene ist außerdem eine telefonische Anlaufstelle unter den Nummern (040) 4286-24393, -24386 und -24323 erreichbar. Diese Nummern sollen nicht für Hinweise genutzt werden.

Tatort in dreistöckigem Gebäude der Zeugen Jehovas

Bei dem Tatort handelt es sich um ein dreistöckiges Gewerbegebäude, das an einer breiten Straße und neben einem Malerbetrieb sowie einer Baustelle mit drei großen Kränen liegt. Nach dem Eintreffen der Beamten am Tatort sei noch ein Schuss gefallen, hatte die Polizei in der Nacht nach der Tat in ersten Statements mitgeteilt. Später habe man in einem oberen Stockwerk des Gebäudes eine leblose Person gefunden.

Zu den ersten Polizeikräften vor Ort gehörte die sogenannte Unterstützungsstreife für erschwerte Einsatzlagen (USE) - ein von der Polizei Hamburg selbst entwickeltes Einsatzkräfteformat. Die Einheit soll bei Einsatzlagen, die eine erhöhte Gefährdung für die eingesetzten Beamtinnen und Beamten erwarten lassen, Unterstützung leisten und die Zeitlücke bis zum Eintreffen von Spezialeinsatzkommandos (SEK) schließen.

Polizeisprecher Holger Vehren sagte, die Polizisten selbst hätten bei dem Einsatz keinen Schuss abgegeben. Nach der Sicherung des Tatorts betraten Entschärfer in schwerer Schutzausrüstung das Gebäude. Laut Polizei handelte es sich bei diesem Vorgehen um Routine.

Warnung vor "lebensbedrohlicher Lage" aufgehoben

Warnmeldung auf einem Smartphone nach einer Amoktat in Hamburg © NDR
Die von der Warn-App NINA verschickte Gefahrenmeldung.

Anwohnende waren am Donnerstagabend gegen 22.30 Uhr per Smartphone vor einer "lebensbedrohlichen Lage" gewarnt, Straßen in der Nähe des Tatorts abgesperrt worden. Die Polizei bat Verkehrsteilnehmer, den abgesperrten Bereich weiträumig zu umfahren. Um kurz nach drei Uhr wurde über die Warn-Apps NINA und Katwarn schließlich Entwarnung gegeben.

Tschentscher, Scholz und Faeser äußern sich bestürzt

Zahlreiche nationale und internationale Politiker reagierten schockiert und betroffen auf den tödlichen Vorfall - darunter Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) zeigte sich am späten Abend bestürzt. "Die Meldungen aus Alsterdorf / Groß Borstel sind erschütternd", schrieb Tschentscher bei Twitter. "Den Angehörigen der Opfer gilt mein tiefes Mitgefühl. Die Einsatzkräfte arbeiten mit Hochdruck an der Verfolgung der Täter und der Aufklärung der Hintergründe."

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bezeichnete die tödlichen Schüsse als brutale Gewalttat. "Schlimme Nachrichten aus #Hamburg. Mehrere Mitglieder einer Jehova-Gemeinde sind gestern Abend einer brutalen Gewalttat zum Opfer gefallen", postete er am Morgen über den Regierungsaccount auf Twitter. "Meine Gedanken sind bei ihnen und ihren Angehörigen. Und bei den Sicherheitskräften, die einen schweren Einsatz hinter sich haben."

Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) reagierte "erschüttert" auf die Meldung von der Tat in Hamburg. "Meine Gedanken sind in dieser schweren Stunde bei den Opfern und ihren Angehörigen, bei den Gemeindemitgliedern und auch bei den Einsatzkräften", sagte Faeser in der Nacht der Deutschen Presse-Agentur. "Die Hintergründe werden mit Hochdruck ermittelt."

Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) dankte den Einsatzkräften: "Mein ausdrücklicher Dank geht an die Polizei Hamburg, die sehr schnell vor Ort war und die diese extrem herausfordernde Lage hochprofessionell und umsichtig bewältigt hat." Ebenso dankte er der Feuerwehr für deren schnellen und beherzten Einsatz.

Zeugen Jehovas "tief betroffen"

Die Zeugen Jehovas zeigten sich nach den tödlichen Schüssen in einem Gebäude der Gemeinde in Hamburg "tief betroffen". "Unser tiefes Mitgefühl gilt den Familien der Opfer sowie den traumatisierten Augenzeugen. Die Seelsorger der örtlichen Gemeinde tun ihr Bestes, ihnen in dieser schweren Stunde Beistand zu leisten", hieß es in einem Statement auf der Website der Gemeinschaft.

Christliche Gemeinschaft mit eigener Bibel-Auslegung

Die Zeugen Jehovas sind eine christliche Gemeinschaft, deren Lehre der auf einer wörtlichen Auslegung biblischer Texte beruht. Die Anhänger glauben an Jehova als "allmächtigen Gott und Schöpfer". Sie sind davon überzeugt, dass eine apokalyptische Katastrophe bevorstehe und danach für gläubige Menschen auf der Erde paradiesische Zustände herrschen werden.

Weltweit haben die Zeugen Jehovas etwa acht Millionen Mitglieder. Die "Weltzentrale" ist in New York. Die deutsche Gemeinschaft mit weniger als 200.000 Mitgliedern gehört zu den größten in Europa.

 

Weitere Informationen
Oliver Pocher © picture alliance / Geisler-Fotopress Foto: Hein Hartmann

Amoktat bei Zeugen Jehovas: Oliver Pocher zeigt sich bestürzt

Der Hannoveraner war in seiner Jugend in der Glaubensgemeinschaft. Er vermutet "eine Menge Frustration" als Motiv. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR 90,3 | NDR 90,3 Aktuell | 10.03.2023 | 12:00 Uhr

Mehr Nachrichten aus Hamburg

Polizeifahrzeuge stehen am Weihnachtsmarkt vor dem Hamburger Rathaus. © picture alliance / ABBFoto

Anschlag in Magdeburg: Mehr Polizei auf Hamburger Weihnachtsmärkten

Politiker in Hamburg zeigen sich nach dem Anschlag in Magdeburg erschüttert. Die Polizei erhöht ihre Präsenz auf Weihnachtsmärkten in der Hansestadt. mehr