Frauen in der Klassik: "Da ist wirklich ein Ungleichgewicht"
Ursula Haselböck ist eine der wenigen Intendantinnen im Klassik-Betrieb - und das obwohl die Branche in der Breite sehr weiblich ist. Ein Gespräch mit der Leiterin der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern.
2020 sind sie nach Mecklenburg-Vorpommern gekommen. Wie viel Aufmerksamkeit haben Sie dafür bekommen, dass sie aus Wien, aus Berlin in den Norden gezogen sind. Und wie viel dafür, dass Sie die erste Intendatin der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern -geworden sind?
Ursula Haselböck: Ich war selbst überrascht und schockiert, für wie viel Aufruhr dieser Fakt gesorgt hat, dass ich als Frau in dieser Position bin.
Das war überraschend?
Haselböck: Es hat mich überrascht, wie sehr das Thema war. Wenn ich länger darüber nachdenke, war es natürlich nicht überraschend: Denn es gibt wenig Frauen in Führungspositionen im Kulturmanagement - obwohl die Branche die wahnsinnig frauenlastig ist. Gerade auf der Arbeitsebene habe ich tagtäglich mit ganz vielen großartigen Frauen zu tun.
Weltfrauentag im NDR
2020 hat das Deutsche Musikinformationszentrum eine Studie gemacht und dabei alle öffentlich finanzierten Berufsorchester Deutschlands unter die Lupe genommen. Knapp 40 Prozent der Berufsmusikerinnen in diesen Klangkörpern sind Frauen. Aber bei den Spitzenorchestern sehr viel weniger und insbesondere in Führungspositionen. Höhere Dienststellungen für Konzertmeister, Stimmführer - da sind es nur noch 21,9 Prozent - und am Dirigentenpult sieht es auch nicht besser aus. Wie ist das zu erklären?
Das frage ich mich auch. Die Zahlen zu hören, das ist wirklich erschreckend. Vor allem, wenn man beachtet, dass 80 Prozent der Absolventinnen der Musikhochschulen Frauen sind. Da ist wirklich ein Ungleichgewicht. Aber wenn ich in meine Heimatstadt Wien schaue: Erst seit kurzer Zeit nehmen die Wiener Philharmoniker überhaupt Frauen offiziell ins Orchester auf.
Ich habe vor kurzem auch das sehr fragwürdige Kompliment bekommen: "Also dafür, dass Sie eine Frau sind, machen Sie ihren Job eigentlich ganz gut" - und das im Jahr 2023. Manchmal kann man sich nur wundern: Man merkt, wie viel noch zu tun ist. Ich merke es bei meiner Familie. Ich habe sehr emanzipierte Frauen in meiner Familie, die mir immer ein Vorbild waren. Zwei Großmütter, die beide ein Doktorat abgeschlossen haben und berufstätig waren, einer Mutter, die berufstätig war. Alle Frauen, mit denen ich spreche, sind immer noch schockiert, wie wenig sich getan hat. Positiv überrascht, wie viel sich dann doch getan hat. In Mecklenburg-Vorpommern gerade was zum Beispiel die Kinderbetreuung angeht. Da kann das Land durchaus stolz darauf sein, was es bietet. Aber gleichzeitig, wenn wir an Equal Pay und so weiter denken, ist da wirklich überall noch sehr, sehr viel zu tun.
Werden sie eigentlich öfter gefragt als beispielsweise ihr Mann: "Wie machen Sie das, wenn die Kita bestreikt wird?"
Haselböck: Ja. Auch jeden Abend, wenn ich im Konzert bin: "Wo sind denn jetzt die Kinder?" Im Auto vor dem Konzertsaal warten sie nicht - keine Sorge. Es ist Thema - und es war bei jedem Einstellungsgespräch bislang Thema. Wie ist denn das mit Kindern? Planen sie Kinder? Fragen, die man ja eigentlich nicht fragen darf. Oder auch: Wie machen Sie das jetzt, wenn Sie zwei kleine Kinder haben? Da muss ich sagen, dass die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern durchaus mutig waren: Mein zweites Kind war vier Monate alt, als ich diese Stelle angeboten bekommen habe. In den Köpfen der Menschen ist es natürlich immer noch ein Thema. Und ich verstehe es auch, wenn der Großteil der Care-Arbeit immer noch auf Frauenschultern lastet.
Sie haben gerade von familiären Vorbildern gesprochen. Gibt es künstlerische Vorbilder? Frauen, an denen sie sich orientieren konnten als Mädchen?
Jede Frau, die etwas erkämpft und erreicht hat. Man muss es als Vorbild nehmen. Ich bekomme von jungen Frauen im Kulturmanagement oft zu hören, dass sie eben keine Vorbilder hatten und froh sind, dass es doch die eine oder andere Frau gibt. Und auch die eine oder andere Frau gibt, die Familie hat. Ich habe wenig direkte Vorbilder, aber doch indirekte Vorbilder gehabt. Zum Beispiel habe ich selbst Cello studiert und meine erste Cellolehrerin war eine Legende im Wiener Cello-Business, weil sie wirklich eine der ersten Frauen waren, die professionell Cello gespielt hat. Das Cello war auch unter Frauen sehr verpönt, weil die Körperhaltung keine sehr damenhafte war, wie man das Instrument halten muss: So hat jede Generation ihr Paket zu tragen gehabt oder ihre Herausforderungen gehabt. Wie schade, dass das 2023 noch so ein großes Thema sein muss.
Das Gespräch führte Siv Stippekohl.