Orchester: Frauenanteil in Leitungspositionen geringer als erwartet
Eine Studie des Deutschen Musikinformationszentrums aus dem Jahr 2021 zeigt: Nur etwas mehr als 20 Prozent der Führungspositionen in Spitzenorchestern sind mit Frauen besetzt. Und: Je besser die Position, desto weniger Frauen sind dort zu finden.
Ein Gespärch mit Timo Varelmann, der die Studie betreut hat.
Herr Varelmann, haben Sie diese Ergebnisse damals überrascht? Oder hatten Sie das genau so erwartet?
Timo Varelmann: Es hat mich tatsächlich nicht überrascht, dass wir in den Führungspositionen möglicherweise niedrigere Frauenanteile messen werden als beispielsweise im Tutti. Dennoch war ich sehr davon überrascht, dass wir gerade in den Spitzenorchestern nur etwas mehr als 20 Prozent Frauenanteil in Führungspositionen haben, verglichen mit einem Gesamtanteil von etwa 40 Prozent Frauen in den öffentlich finanzierten Berufsorchestern.
Wie ist das zu erklären?
Varelmann: Einer der Gründe wird vermutlich sein - und das ist auch durch Zahlenmaterial statistisch belegt -, dass wir in den verschiedenen Altersgruppen unterschiedliche Anteile von Männern und Frauen sehen. Wenn man aktuelle Zahlen der Orchesterversorgung betrachtet, so finden sich unter den Über-55-Jährigen teilweise Zweidrittel, unter den Über-60-Jährigen Dreiviertel Männer in den Orchestern. Bis 45 Jahre ist das Geschlechterverhältnis mehr oder weniger paritätisch. Das heißt, Personalentscheidungen der letzten 40 Jahre wirken sich da bis heute noch aus.
Blicken wir auf die Instrumentenverteilung: Gibt es aktuell noch typische Männer- oder typische Frauen-Instrumente?
Varelmann: Ja, die gibt es. Wenn wir die Orchester betrachten, haben wir bei den Blechbläsern den höchsten Männeranteil ganz deutlich bei der Tuba, mit zwei Frauen und 103 Männern. Auch die Posaune mit über 95 Prozent Männeranteil und die Trompete ebenfalls mit etwa 95 Prozent, genauso wie Pauke/Schlagwerk. Auf der anderen Seite gibt es auch Instrumente, die als typische Fraueninstrumente bezeichnet werden: die Harfe etwa mit über 90 Prozent. Bei der Flöte haben wir zwei von drei Positionen mit einer Frau besetzt und in der ersten beziehungsweise zweiten Violine sind es um die 60 Prozent Frauen.
Bei dem Alter haben wir festgestellt, dass sich das generell mehr und mehr angleicht. Ist das bei der Instrumentenverteilung auch so?
Varelmann: Das können wir an dieser einzelnen Erhebung, die wir durchgeführt haben, nicht festmachen, da noch keine weiteren Daten vorliegen. Meine Vermutung wäre, dass wir schon Veränderungen bekommen werden. Wenn man sich den Nachwuchs anschaut, der es über die letzten 15 Jahre bei "Jugend musiziert" in den Bundeswettbewerb geschafft hat, dann sieht man, dass beispielsweise in der Violine der Frauenanteil bei 70 Prozent liegt, also noch höher als in den Orchestern. Dasselbe bei der Bratsche, da sind es sogar 73 Prozent, während der Frauenanteil dort in den Orchestern bei insgesamt 50 Prozent liegt. Beim Cello ist es bei "Jugend musiziert" paritätisch verteilt, während der Frauenanteil in den Orchestern mit 36 Prozent noch gering ist.
Müsste man aus Ihrer Sicht da noch mehr tun, um Klischees abzubauen?
Varelmann: Wenn ich sehe, dass eine Frau Tuba spielt, dass wir Paukistinnen haben, dass eine Frau Schlagzeug in einer Band spielt, dann sind das natürlich Rollenbilder, die ich mitnehme und verinnerliche, und das vielleicht als junger Mensch als ganz normal erlebe und auch Lust darauf bekomme.
Also kann man unterm Strich sagen, dass sich bei der Instrumentenverteilung noch etwas tun könnte - wir insgesamt aber auf einem guten Weg sind und sich die Verteilung in den Orchestern, wenn die Entwicklung so weitergeht, in den nächsten Jahren und Jahrzehnten komplett angeglichen haben wird, oder?
Varelmann: Zumindest im Gesamtanteil der Frauen. Aber unsere Studie hat auch gezeigt, dass der Frauenanteil bei der Besetzung von Leitungspositionen deutlich geringer ausfällt als erwartet. "Erwartet" heißt in dem Fall: gemessen an dem allgemeinen Frauenanteil in den Orchestern. Da kann ich keine Prognose geben, wie sich das in der Zukunft entwickeln wird; es ist ein auffälliger Befund.
Das Interview führte Jan Wiedemann.