Zukunftsmusik? Roboter gibt Dirigierdebüt bei den Dresdner Sinfonikern
Die Dresdner Sinfoniker haben für einige Konzerte im Oktober einen Roboter als Dirigenten engagiert. Er soll das Orchester vom Pult aus leiten. Gründer und Intendant der Dresdner Sinfoniker Markus Rindt hatte die Idee dazu.
Die Dresdner Sinfoniker sind für ihre Experimentierfreudigkeit bekannt. Nun wagen sie wieder etwas Neues und gehen mit dem Industrieroboter MAiRA Pro S auf die Bühne - und der Roboter wird dirigieren. Markus Rindt möchte damit neue Möglichkeiten in der zeitgenössischen Musik ausloten. Es gehe nicht darum, Dirigent*innen zu ersetzen. Tatsächlich kann das Werk, das der Roboter aufführen wird, gar nicht von einem Menschen dirigiert werden. Warum, erzählt Markus Rindt im Interview.
Ein Roboter steht am Dirigentenpult - das klingt schon ein bisschen wie aus einem Science-Fiction-Film, oder?
Markus Rindt: Ja, das ist tatsächlich etwas sehr Neues, weil es die Möglichkeiten, die man normalerweise mit einem menschlichen Dirigenten hat, noch mal ganz schön erweitern kann. Wir wollen nicht einen Menschen ersetzen. Wir wissen ganz genau, dass ein Mensch mit seinem Gefühl und der Probenarbeit mit dem Orchester wesentlich besser ist als eine Künstliche Intelligenz oder ein Roboter. Aber die Möglichkeiten sind enorm, die wir jetzt ausprobieren können.
Lernen wir diesen Roboter-Dirigenten doch erst mal kennen: MAiRA Pro S - wer ist das, was kann der so?
Rindt: MAiRA Pro S ist ein Industrieroboter der Firma Neura Robotics. Die findet man in Fabrikhallen, die bauen normalerweise Autos zusammen oder schweißen und versetzen Werkteile von A nach B. Diese Arbeit nennt man auch Cobots. Das kommt von dem Wort "Kooperation" und "Robot". Man kann dem Roboter eine Sache zeigen, zum Beispiel sagt man: Hier fängst du an mit der Schweißnaht und dann geht es nach da. Dann macht er das ganz genau so weiter. Aber beim Dirigieren ist es viel, viel komplexer.
Sie haben ihm musikalische Dinge beigebracht. Welche musikalischen Dinge kann MAiRA Pro S leisten?
Rindt: Wir zeigen das dem Roboter so, wie das ein Dirigent oder eine Dirigentin einer Studentin oder einem Studenten zeigt. Man nimmt den Arm desjenigen und sagt: Schau mal, so geht das, so dirigiert man. Wir packen den Roboter also auch an einem Handgriff. Der kann ganz flexible Bewegungen machen, der hat sieben Gelenke. Und dann dirigieren wir den Roboter ein, und er macht alles ganz genau nach. Der eigentliche Clou an der Geschichte ist aber, dass es drei Arme sind am MAiRA Pro S Roboter. Diese drei Arme können wir völlig unabhängig voneinander eindirigieren und dann auch gleichzeitig abfahren. Das heißt, diese Bewegungen werden aufgenommen. Im Konzert werden sie dann von diesen drei Armen gezeigt. Das Orchesters wird dafür auch in drei Teile geteilt.
Der Roboter wird eine Uraufführung dirigieren. #kreuzknoten heißt das Stück von Wieland Reissmann, und dazu schreiben Sie, dass dieses Stück aufgrund seiner rhythmischen Finesse von einem Menschen gar nicht zu dirigieren wäre.
Rindt: Ganz genau. Die Inspiration kam uns durch ein Stück von Conlon Nancarrow. Das ist ein amerikanischer Komponist, der vor 80 Jahren Musik geschrieben hat, die eigentlich von Menschen nicht aufführbar war. Die hatte er für ein selbstspielendes Klavier geschrieben. Es gibt von ihm das Stück Canon X. Da beginnt die rechte Hand extrem schnell und wird immer langsamer, und die Linke beginnt langsam und wird immer schneller. Diese beiden Tempi überkreuzen sich. Da haben wir gedacht, dass man das mal mit einem Orchester ausprobieren müsste. Wieland Reissmann schreibt gerade dieses Stück #kreuzknoten. Da fängt der eine Teil der Musiker langsam an und wird schneller und der andere entsprechend in die andere Richtung. Das kann man mit einem menschlichen Dirigenten nicht bewerkstelligen. Stellen Sie sich vor, Sie würden sich vor den Spiegel stellen und mit beiden Händen das gleiche Tempo schlagen. Jetzt fangen Sie an, mit der einen Hand schneller zu werden und mit der anderen langsamer. Dann wird ganz schnell klar, dass das ein Mensch nicht kann.
Kann der Roboter denn auch in der Live-Situation auf das Orchester reagieren?
Rindt: Nein, überhaupt nicht. Es ist auch so, dass unser Roboter eigentlich nicht viel mit einer Künstlichen Intelligenz zu tun hat. Es ist im Grunde eine ziemlich dumme Maschine, die macht, was wir der Maschine einprogrammiert haben. Das heißt, die Musiker*innen müssen extrem gut aufpassen. Wenn sie zum Beispiel mal nicht so genau zum Dirigenten gucken und schneller oder langsamer werden, würde normalerweise der Dirigent darauf reagieren und das Orchester wieder einfangen. In diesem Fall passiert das nicht. Der Roboter macht stur weiter, was ihm gezeigt wurde, denn er hört das Orchester nicht.
Warum machen Sie dieses Projekt?
Rindt: Wir als Dresdner Sinfoniker haben Spaß am Experiment. Hier wollen wir eben nicht einen Dirigenten ersetzen, sondern wir wollen nur ausprobieren, was es für Möglichkeiten gibt, gerade rhythmische Finessen. Was kann man alles machen, wenn man vollkommen unabhängig voneinander spielen könnte?
Markus Rindt und die Dresdner Sinfoniker sind immer schon ein bisschen ihrer Zeit voraus. Was wünschen Sie sich jetzt im Konzert? Dass es total gut funktioniert? Oder dass es eben nicht funktioniert und Sie danach sagen können: Besser, dass wir echte Dirigentinnen und Dirigenten haben?
Die Antwort ist ambivalent, denn natürlich wünsche ich mir, dass wir auch in Zukunft Dirigenten haben. Ich kann mir nicht vorstellen, einen Beethoven, Brahms oder Schubert von einem Roboter dirigieren zu lassen. Aber ich wünsche mir, dass dieses Experiment gelingt. Denn für die zeitgenössische Musik, und um neue Möglichkeiten zu erschließen, wäre das wichtig. Es ist ein Experiment. Es ist ein Risiko, was wir eingehen. Und ich liebe Risiken. Das macht mir besonders Spaß, wenn es eben nicht ganz klar ist, ob das klappt.
Das Gespräch führte Anna Novák. Die Robotersinfonie-Konzerte finden am 12. und 13. Oktober 2024 in Dresden statt.