Olena Dolzhenko und Volodymyr Ogloblin: Mit Fotografie den Krieg sichtbar machen
Der 24. Februar letzten Jahres war Tag Eins des Angriffskrieges von Russland gegen die Ukraine. Seitdem sind tausende Menschen geflüchtet. Zwei Fotografen aus Charkiw sind in Südniedersachsen gelandet. Ihr wichtigstes Reiseutensil: ihre Kamera.
Olena Dolzhenko und Volodymyr Ogloblin sind auf dem Weg in den Kirchturm in Dassel. Sie wollen diesen Teil Südniedersachsens heute aus der Vogelperspektive fotografieren. Der Anblick von hier oben: ein Kontrast zu den Bildern, die sie seit fast einem Jahr in ihrer Heimatstadt Charkiw erleben. "Die neue Lebenssituation hat mich zu einer Kriegsfotografin gemacht", sagt Olena Dolzhenko. "Natürlich fotografieren Volodymyr und ich lieber friedliche Motive, aber momentan müssen wir beides machen."
Olena Dolzhenko: Von der Fotografin zur freiwilligen Helferin
Internationale Fotoexpeditionen sind sie gewohnt, doch ihre Reise nach Deutschland ist ihre erste erzwungene Expedition. Weiter fotografieren - auch abseits des Krieges - ist jetzt ihre Therapie. Olena Dolzhenko hat bis zum Kriegsbeginn in der Fotoschule von Volodymyr Ogloblin gearbeitet. Sie war erst seine Schülerin, dann seine Kollegin. Fotografieren ist die Welt der beiden, doch die ändert sich, als die ersten Bomben einschlagen - auch in ihrer Fotoschule.
"Die ersten Tage habe ich kein einziges Foto gemacht, weil ich nur im Sinn hatte, wie ich meiner Stadt helfen konnte. Ich habe erst mit dem Fotografieren angefangen, als die Raketen in meinem Haus einschlugen", erzählt Dolzhenko. Ihr erster Gedanke: der Armee beitreten. Ihr zweiter: in einem Freiwilligenzentrum humanitäre Hilfe leisten. Soldaten versorgen, Krankenhäuser unterstützen, Journalisten betreuen. Sie bleibt also erstmal in Charkiw.
Den Krieg sichtbar und greifbar machen
Anders: Volodymyr Ogloblin. Der 68-Jährige entscheidet sich, direkt nach Kriegsbeginn zu flüchten. Im Gepäck: zwei Kameras, eine Speicherkarte, ein Laptop. Er organisiert Ausstellungen, erst allein, dann zusammen mit seiner Kollegin. "Wenn ich die Bilder der Zerstörung jetzt anschaue, dann wird mir nochmal deutlich, dass der Krieg einfach jeden treffen kann", sagt Ogloblin.
Das Ziel der Fotografen: den Krieg sichtbar machen - und greifbar. Dafür legen sie in ihren Ausstellungen auch immer wieder Bombensplitter aus ihrer Heimat aus. Daneben hängen dann - so wie in Göttingen - Bilder der Zerstörung: zerbombte Häuser, Trümmerhaufen, erschöpfte Rettungskräfte, aber auch lachende Kinder, Hochzeitspaare, friedliche Straßenszenen. Krieg und Frieden am gleichen Ort. Zwischen diesen Aufnahmen liegen meist nur ein paar Monate. "Die Fotos mit den friedlichen Szenen, die kommen mir mittlerweile so weit weg vor", erzählt Volodymyr Ogloblin.
Dasseler Papierhersteller druckt Fotografien kostenlos
Immer wieder fahren Olena Dolzhenko und Volodymyr Ogloblin für wenige Tage in ihre Heimat, bringen neue Fotos der Zerstörung mit. Damit gehen sie meistens zu Hahnemühle, dem auch in der Ukraine bekannten Papierhersteller aus Dassel. Hier dürfen sie viele ihrer Bilder kostenlos im Großformat ausdrucken. Bettina Scheerbarth aus der Unternehmenskommunikation nimmt Olena Dolzhenko die ersten Tage sogar bei sich zu Hause auf. "Sie hat mir erzählt und Bilder als akkreditierte Kriegsfotografin gezeigt. Da habe ich gedacht: Die muss ich in meinem Leben nicht mehr sehen und ich kenne jetzt jemanden, der das alles erlebt hat", sagt Bettina Scheerbarth. "Das hinterlässt Spuren, Gänsehaut und ist sehr ergreifend."
Zwischenstation Niedersachsen
Heute wohnen die beiden Fotografen nur wenige Kilometer voneinander entfernt. Sie sehen sich fast täglich, planen neue Ausstellungen und fotografieren. Mittlerweile kennen sie viele Menschen hier. Olena Dolzhenko spricht sogar ein bisschen Deutsch. Doch beide betonen: Niedersachsen sei nur eine Zwischenstation, bis der Krieg vorbei ist. Spätestens. "Wenn die Situation schlechter wird - vielleicht gibt es neue Angriffe von Russland an meine Stadt -, dann die Idee ist für mich, zurückzukommen und zu kämpfen", erzählt Olena Dolzhenko. "Vielleicht auch mit der Waffe, wenn es nötig ist."
Noch helfen beide von Deutschland aus mit Spenden, die sie bei ihren Ausstellungen sammeln. Die Hoffnung auf ein Leben wie früher haben sie noch nicht aufgegeben, sagt Dolzhenko: "Herzenswunsch: unsere Fotoschule renovieren und alles machen, wie wir es vor dem Krieg gemacht haben."