Die ukrainischen Fotografen Olena Dolzhenko und Volodymyr Ogloblin © picture alliance/dpa | Frank Neuendorf Foto: Frank Neuendorf
Die ukrainischen Fotografen Olena Dolzhenko und Volodymyr Ogloblin © picture alliance/dpa | Frank Neuendorf Foto: Frank Neuendorf
Die ukrainischen Fotografen Olena Dolzhenko und Volodymyr Ogloblin © picture alliance/dpa | Frank Neuendorf Foto: Frank Neuendorf
AUDIO: Olena Dolzhenko und Volodymyr Ogloblin: Mit Fotografie den Krieg sichtbar machen (4 Min)

Olena Dolzhenko und Volodymyr Ogloblin: Mit Fotografie den Krieg sichtbar machen

Stand: 23.02.2023 15:44 Uhr

Der 24. Februar letzten Jahres war Tag Eins des Angriffskrieges von Russland gegen die Ukraine. Seitdem sind tausende Menschen geflüchtet. Zwei Fotografen aus Charkiw sind in Südniedersachsen gelandet. Ihr wichtigstes Reiseutensil: ihre Kamera.

von Marco Schulze

Olena Dolzhenko und Volodymyr Ogloblin sind auf dem Weg in den Kirchturm in Dassel. Sie wollen diesen Teil Südniedersachsens heute aus der Vogelperspektive fotografieren. Der Anblick von hier oben: ein Kontrast zu den Bildern, die sie seit fast einem Jahr in ihrer Heimatstadt Charkiw erleben. "Die neue Lebenssituation hat mich zu einer Kriegsfotografin gemacht", sagt Olena Dolzhenko. "Natürlich fotografieren Volodymyr und ich lieber friedliche Motive, aber momentan müssen wir beides machen."

Olena Dolzhenko: Von der Fotografin zur freiwilligen Helferin

Internationale Fotoexpeditionen sind sie gewohnt, doch ihre Reise nach Deutschland ist ihre erste erzwungene Expedition. Weiter fotografieren - auch abseits des Krieges - ist jetzt ihre Therapie. Olena Dolzhenko hat bis zum Kriegsbeginn in der Fotoschule von Volodymyr Ogloblin gearbeitet. Sie war erst seine Schülerin, dann seine Kollegin. Fotografieren ist die Welt der beiden, doch die ändert sich, als die ersten Bomben einschlagen - auch in ihrer Fotoschule.

"Die ersten Tage habe ich kein einziges Foto gemacht, weil ich nur im Sinn hatte, wie ich meiner Stadt helfen konnte. Ich habe erst mit dem Fotografieren angefangen, als die Raketen in meinem Haus einschlugen", erzählt Dolzhenko. Ihr erster Gedanke: der Armee beitreten. Ihr zweiter: in einem Freiwilligenzentrum humanitäre Hilfe leisten. Soldaten versorgen, Krankenhäuser unterstützen, Journalisten betreuen. Sie bleibt also erstmal in Charkiw.

VIDEO: Ein Jahr Krieg in Europa: Fotografen aus Charkiw stellen aus (5 Min)

Den Krieg sichtbar und greifbar machen

Anders: Volodymyr Ogloblin. Der 68-Jährige entscheidet sich, direkt nach Kriegsbeginn zu flüchten. Im Gepäck: zwei Kameras, eine Speicherkarte, ein Laptop. Er organisiert Ausstellungen, erst allein, dann zusammen mit seiner Kollegin. "Wenn ich die Bilder der Zerstörung jetzt anschaue, dann wird mir nochmal deutlich, dass der Krieg einfach jeden treffen kann", sagt Ogloblin.

Das Ziel der Fotografen: den Krieg sichtbar machen - und greifbar. Dafür legen sie in ihren Ausstellungen auch immer wieder Bombensplitter aus ihrer Heimat aus. Daneben hängen dann - so wie in Göttingen - Bilder der Zerstörung: zerbombte Häuser, Trümmerhaufen, erschöpfte Rettungskräfte, aber auch lachende Kinder, Hochzeitspaare, friedliche Straßenszenen. Krieg und Frieden am gleichen Ort. Zwischen diesen Aufnahmen liegen meist nur ein paar Monate. "Die Fotos mit den friedlichen Szenen, die kommen mir mittlerweile so weit weg vor", erzählt Volodymyr Ogloblin.

Dasseler Papierhersteller druckt Fotografien kostenlos

Immer wieder fahren Olena Dolzhenko und Volodymyr Ogloblin für wenige Tage in ihre Heimat, bringen neue Fotos der Zerstörung mit. Damit gehen sie meistens zu Hahnemühle, dem auch in der Ukraine bekannten Papierhersteller aus Dassel. Hier dürfen sie viele ihrer Bilder kostenlos im Großformat ausdrucken. Bettina Scheerbarth aus der Unternehmenskommunikation nimmt Olena Dolzhenko die ersten Tage sogar bei sich zu Hause auf. "Sie hat mir erzählt und Bilder als akkreditierte Kriegsfotografin gezeigt. Da habe ich gedacht: Die muss ich in meinem Leben nicht mehr sehen und ich kenne jetzt jemanden, der das alles erlebt hat", sagt Bettina Scheerbarth. "Das hinterlässt Spuren, Gänsehaut und ist sehr ergreifend."

Zwischenstation Niedersachsen

Heute wohnen die beiden Fotografen nur wenige Kilometer voneinander entfernt. Sie sehen sich fast täglich, planen neue Ausstellungen und fotografieren. Mittlerweile kennen sie viele Menschen hier. Olena Dolzhenko spricht sogar ein bisschen Deutsch. Doch beide betonen: Niedersachsen sei nur eine Zwischenstation, bis der Krieg vorbei ist. Spätestens. "Wenn die Situation schlechter wird - vielleicht gibt es neue Angriffe von Russland an meine Stadt -, dann die Idee ist für mich, zurückzukommen und zu kämpfen", erzählt Olena Dolzhenko. "Vielleicht auch mit der Waffe, wenn es nötig ist."

Noch helfen beide von Deutschland aus mit Spenden, die sie bei ihren Ausstellungen sammeln. Die Hoffnung auf ein Leben wie früher haben sie noch nicht aufgegeben, sagt Dolzhenko: "Herzenswunsch: unsere Fotoschule renovieren und alles machen, wie wir es vor dem Krieg gemacht haben."

Weitere Informationen
Eine Frau im gestreiften Blazer schaut schräg zur Seite © NDR

Ukrainische Kulturschaffende und Kunstschätze: Wie MV hilft

Benefizkonzerte, Stipendien, Lesungen oder Ausstellungen: Viele Projekte unterstützen ukrainischen Künstler*innen. mehr

Margot Käßmann © imago

Margot Käßmann distanziert sich von rechter Unterwanderung des "Manifests"

"Ich habe mir nicht vorstellen können, welche Exegese mit diesem Text betrieben wird", sagt sie über das "Manifest für den Frieden". mehr

Dmitry Glukhovsky © picture alliance TT NYHETSBYRÅN Henrik MontgomeryTT Foto: picture alliance TT NYHETSBYRÅN Henrik MontgomeryTT

Dmitry Glukhovsky über Putins Krieg in der Ukraine

Der streitbare Intellektuelle und Bestsellerautor wird nicht leise und kritisiert den russischen Krieg in der Ukraine. mehr

Schauspieler und Musiker Lenn Kudrjawizki © Nela König Foto: Nela König

Lenn Kudrjawizki über Putins Krieg: "Ich kann es kaum ertragen"

Der in St. Petersburg geborene Schauspieler hat Familie in Moskau und Charkiw. Im NDR Fernsehen hat er darüber gesprochen, was das bedeutet. mehr

Anna, die Ehefrau eines vor zwei Monaten getöteten Soldaten, und der Vater Oleksandr stellen auf dem Friedhof der Hafenstadt Odessa die ukrainische Nationalflagge am Grab ihres Ehemannes auf. (Foto vom 24. Februar 2024) © Kay Nietfeld/dpa

Zwei Jahre Ukraine-Krieg: Russlands Überfall und die Folgen

Am 24. Februar 2022 begann der Angriff. In der Ukraine starben mindestens 10.000 Zivilisten. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Matinee | 24.02.2023 | 09:20 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Fotografie

Ein leerer Bilderahmen hinter Polizei-Absperrband. © NDR Foto: Foto: [M] Aleksandr Golubev | istockphoto, David Wall | Planpicture

Kunstverbrechen - True Crime meets Kultur

Lenore Lötsch und Torben Steenbuck rollen spektakuläre Kunstdiebstähle auf. Sie nehmen uns mit an Tatorte, treffen Zeugen und Experten. mehr

Eine Grafik zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Podest vor einem roten Hintergrund. © NDR

Legenden von nebenan: Wer hat Ihren Ort geprägt?

NDR Kultur erzählt die Geschichte von Menschen, die in ihrer Umgebung bleibende Spuren hinterlassen haben - und setzt ihnen ein virtuelles Denkmal. mehr

Hände halten ein Smartphone auf dem der News-Channel von NDR Kultur zusehen ist © NDR.de

WhatsApp-Channel von NDR Kultur: So funktioniert's

Die Kultur Top-News aus Norddeutschland direkt aufs Smartphone: NDR Kultur ist bei WhatsApp mit einem eigenen Kanal aktiv. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mehr Kultur

Ein Sänger steht auf einer Bühne, hält in einer Hand das Mikrofon und die andere ist nach oben gestreckt. © picture alliance / Gonzales Photo/Nikolaj Bransholm Foto: Gonzales Photo/Nikolaj Bransholm

Hurricane Festival: The Prodigy, Apache 207 und Sam Fender kommen 2025

Die englische Elektro-Punk-Band The Prodigy und ein Who-is-Who der deutschen Pop- und HipHop-Szene haben sich für 2025 angekündigt. mehr

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?