Legende von nebenan: Heiko Krutisch, Schimmelreiter von Etzenborn
Wem würden Sie gerne ein Denkmal setzen? Diese Frage hat NDR Kultur am Anfang der Aktion Legenden von nebenan gestellt. Einer der Vorgeschlagenen ist der 2015 verstorbene Künstler, Musiker und Chorleiter Heiko Krutisch aus Etzenborn in Südniedersachsen.
Es war ein grauer Novembertag im Jahr 1986, als Heiko Krutisch die Dorfstraße von Etzenborn entlang geritten kam. "Es war ein ziemlich großes Pferd, ein schöner Schimmel, und der kleine Heiko saß drauf", erinnert sich seine spätere Nachbarin Lisa Christiansen.
"Er passte erst mal so gar nicht in ein normales Dorf"
Er kam zu Pferde und blieb. Christiansen kannte Krutisch gut und hat ihn bei der NDR Kultur Aktion als Legende von nebenan vorgeschlagen. Fast 30 Jahre wohnte er im Haus gegenüber. "Heiko war einfach ganz speziell", erklärt Christiansen. "Er passte erst mal so gar nicht in ein normales Dorf. Er war meistens sehr ungekämmt. Er hatte immer irgendwie Heu oder Stroh im Haar. Und er kleidete sich ganz leger."
Spannend sei gewesen, dass Krutisch trotz seines Auftretens schnell in Etzenborn akzeptiert gewesen sei. "Er konnte auch einfach Sachen", erzählt Christiansen. "Sein Ziegenkäse war wunderbar, und seine musikalische Begabung, wie er den Chor geleitet hat, war total faszinierend."
Krutischs Zuhause: Sein Geist ist noch in jedem Winkel spürbar
Heiko Krutisch zog ins Haus neben den Christiansens. Dort ist sein Geist selbst zehn Jahre nach seinem Tod immer noch in jedem Winkel spürbar. In alles, was Krutisch machte, floss seine Kreativität ein - etwa in die großen, bearbeiteten Äste, die Teil der Einrichtung sind.
In der Stube, die Küche und Wohnzimmer in einem ist, sitzt Martina Nave. Sie war Krutischs Ehefrau. "Mich hat fasziniert, dass Heiko immer sehr bei sich war, seine Welt riesengroß und seine innere Welt auch riesengroß war", erinnert Nave. "Alleine schon seine musikalische Welt, oder sein Empfinden, wie er die Natur gesehen hat."
"Total auffällig und anders als andere Väter"
Zusammen mit den beiden gemeinsamen Kindern Iselin und Sol schaut sich Nave alte Fotos an. "Als ich Teenie wurde, war es mir oft unangenehm, dass Papa total auffällig und so anders war als andere Väter", sagt die 22-jährige Iselin. "In der Schule wurde man darauf angesprochen, warum er immer zwei verschiedenfarbige Schuhe trägt. Aber das war einfach er."
Sol, 19 Jahre, findet, er habe immer ein offenes Ohr für Menschen gehabt, die es nicht leicht hatten. "Er hat sich für sich selbst Zeit genommen und war gleichzeitig ein super sozialer Mensch", erinnert sich Sol. "Mit jedem, den er auf der Straße getroffen hat, hat er gequatscht." Und fügt schmunzelnd hinzu: "Wir fanden das damals manchmal ein bisschen nervig, wenn wir schon wieder stehen blieben."
Seine Alm gab ihm Inspiration und Kraft
Heiko Krutisch arbeitete als Sonderpädagoge im örtlichen Heim für Jugendliche. Sie nahm er auch mit auf seine Alm, die er oberhalb des Dorfes selbst gebaut hatte. In der Abgeschiedenheit dort fand er Inspiration und Kraft.
"Er hat einfach viele Spuren hinterlassen", sagt Nachbarin Lisa Christiansen und erinnert sich an seine kreative Ader: "Im Krankenhaus von Duderstadt hängt ein ganz großes Bild von ihm, was er für die Klinik gemacht hat. Dann hat er ganz viel komponiert - Musik, die auch über seinen Tod hinaus weiterlebt. Und er hat Gedichtbände geschrieben."
Einst verschollen: Zeichnungen aus Amrum
Ein Sehnsuchtsort des Künstlers war Amrum. Dort lebte er eine Zeitlang und verdiente sein Geld mit Zeichnen. Die Inselbilder waren lange verschollen. Erst nach seinem Tod tauchten sie wieder auf. Jetzt werden sie bei Krutischs Künstlerfreund Thomas Löffelholz ausgestellt. "Ich zeichne ja selber auch gern und viel", erzählt Löffelholz. "Aber für diese Präzision, diese Feinheit im Strich und die Details bin ich wirklich voller Bewunderung. Das ist alles sehr ungewöhnlich - und so etwas habe ich auch noch nicht bei anderen gesehen."
Krutisch als Chorleiter: "Er hat immer jeden einzelnen gesehen"
Heiko Krutisch brachte auch frischen Wind in den kleinen Dorfchor, den er 30 Jahre lang leitete. Als Chorleiter sei er einfach faszinierend gewesen, meint seine Nachbarin Christiansen. Sie erzählt, dass er dem Ensemble anspruchsvolle Stücke und auch viele selbst komponierte Chor-Sätze zugemutet habe. "Dabei hat er nie böse kritisiert, immer geguckt, wie gerade die Stimmung ist und jeden einzelnen gesehen. Er hat unendliche Geduld mit uns gehabt, weil die wenigsten Noten lesen konnten."
"Mir fehlt er immer", verrät Christiansens Chorschwester Hannelore Benseler. "Wenn wir hier in der Runde sind und singen, sehe ich ihn immer noch dabei stehen." Und Sänger Klaus Petersen fasst für alle zusammen: "Der ist in aller Kopf. Der wird auch nicht vergessen!"
In den Herzen der Menschen aus Etzenborn lebt Heiko Krutisch weiter - als ihre Legende von nebenan.
Im kommenden Jahr wird NDR Kultur in Etzenborn ein virtuelles Denkmal einrichten - eine Tafel mit QR-Code, mit dem man einen Film über Heiko Krutisch abrufen kann.