Kunst belebt Leerstand - Frühlingsgefühle im "Zwischenraum"
In der ostfriesischen Stadt Aurich stehen viele Geschäfte leer. Der Verein "Zwischenraum" füllt den Platz mit Kunst aus der Region. Mittlerweile zeigt er die 20. Ausstellung.
An einem Ende der Auricher Fußgängerzone zwischen Baustellen und leer stehenden Geschäften schaut ein buntes Einhorn zwischen großen Zimmerpflanzen hindurch. Die mannshohe Figur lädt ein in die Galerie "Zwischenraum - temporärer Kunstraum". Dort läuft gerade eine Ausstellung mit dem Titel Frühlingsgefühle. Als eine der Künstlerinnen präsentiert Veronika Oremek hier bunte, humorvolle Bilder: drei nackte Frauen von hinten gemalt. Anstelle der Haare tragen sie Blütenblätter. Warten sie auf bestäubende Insekten? Eigene Bilder zu zeigen macht der Künstlerin Spaß.
"Da gefallen jemandem meine Bilder. Das ist unglaublich!"
"Man wird so anerkannt. Die Leute gucken sich die Bilder an und sagen: Mensch, das ist ja klasse. Ich habe hier auch schon drei Bilder verkauft. Damit habe ich gar nicht gerechnet. Da gefallen jemandem meine Bilder, das ist ja unglaublich. Ich habe mich so gefreut, dass ich ein paar Bilder verkauft habe. Das geht aber hier allen so, das sind ja alles Laien hier. Das ist eine absolute Bereicherung hier.
Zarte Pflanzenbilder in Pastellfarben hängen neben derben Aktmalereien, farbenfrohen Blütenaquarellen und lustigen Schafen aus aufgeklebter Wolle. An einer Schau sind immer zwischen 10 und 16 Künstlerinnen und Künstler beteiligt – mit komplett unterschiedlichen Werken. "Das ist Konzept", erklärt Gila Altmann vom Vorstand. "Wir bewerten die Kunstwerke nicht. Wir sortieren sie nicht. Wir vergeben nur den Platz. Wir organisieren nur den Platzbedarf der Künstlerinnen und Künstler, die hier ausstellen wollen. Jeder kann nachvollziehen, wie die Ausstellungen letztendlich zusammengesetzt werden. Man meldet sich an. Man wird Mitglied für 30 Euro im Jahr und ansonsten können die sich dann wirklich künstlerisch verwirklichen."
Mietvertrag von Monat zu Monat
Immer mit dem Hintergedanken: solange es die Galerie gibt, betont Gila Altmann, denn es ist ein temporärer Kunstraum. Der Vertrag über den 500 Quadratmeter großen Raum läuft immer für einen Monat. Sobald neue Pläne für das Gebäude umgesetzt werden, muss die Galerie weichen. Dennoch habe der Verein in den fast fünf Jahren seit dem Beginn nie ein Problem gehabt, die Ausstellung zu füllen. Auch die Vernissagen sind gut besucht, sagt Wolfgang Jacobs vom Vorstand. "Wir haben Vernissagen hier teilweise, wo über 200 Leute hierher kommen und bis nachts um 12 Uhr bleiben. Das ist völlig unüblich nach meiner Erfahrung. Vernissagen sind nach einer Stunde normalerweise zu Ende dann gehen die Leute nach Hause, aber hier bleiben die Leute – unterhalten sich und kommunizieren."
Und so mancher holt danach sogar die verstaubten Malsachen vom Dachboden. Der Erzieher Klaus Kleen aus dem nahen Südbrookmerland macht seit der zweiten Ausstellung mit, nachdem seine Schwester ihre Bilder im Zwischenraum präsentiert hat. "Es gab auch Jahre oder Monate, wo ich überhaupt keinen Stift in der Hand hatte und für die Ausstellung, an der ich dann teilgenommen hab, habe ich mich dann ganz intensiv darauf vorbereitet, Bilder gemalt und seitdem ist es so, dass ich viel mehr produziere - auch das hat mich halt eben motiviert, mich künstlerisch weiter zu entwickeln."
"Es ist nicht nur eine Galerie, sondern auch ein Zuhause"
In dem riesigen ehemaligen Geschäftsraum laden Sofagarnituren zum Hinsetzen ein. Es gibt Lesungen und Konzerte und dann werden ganz unterschiedliche Stühle, Bänke und Sitzkissen aus dem Lager geholt, eben das, was die Menschen von zu Hause mitgebracht haben. Denn es ist mehr als eine Galerie, sagt die Künstlerin Anita Kranz Moser. "Es ist einfach ein Zuhause für ganz viele Menschen und hier kann man kommen und so sein, wie man ist, oder wie Frau eben ist. Da gibt es nicht dieses: bist Du eine Künstlerin, oder bist Du keine? Ein wertungsfreier Raum."
"Auf dem Land gibt es keine Kultur. Von wegen!"
Anita Kranz Moser malt filigrane Figuren auf Strukturen aus Gips oder Haushaltspapier. Das macht sie sowieso. Einige Werke sind aber eigens für die Ausstellung Frühlingsgefühle entstanden. "Es ist, als wenn Aurich nur darauf gewartet hätte, dass es so einen Raum gibt", bemerkt Gila Altmann. "Man geht immer davon aus, auf dem Land, da gibt es keine Kunst, da gibt es keine Kultur. Doch, es gibt sie und bei uns gibt es sie seit über vier Jahren und das zeigt eigentlich auch, was in anderen ländlichen Bereichen brach liegt, die keinen Zwischenraum haben." Das Projekt habe regen Zulauf und wachse immer weiter. Ein Ende sei nicht in Sicht, selbst wenn der Verein den Raum wechseln müsse. Eine Initiative, die Schule machen kann in anderen Gemeinden.