Alte Synagoge Schwerin: 1938 zerstört, jetzt virtuell nachgebaut
Die alte Synagoge der Jüdischen Gemeinde Schwerin wurde 1773 eingeweiht und in der Pogromnacht 1938 von den Nazis zerstört. Mit einer Virtual-Reality-Brille kann das ehemalige Gotteshaus jetzt wieder besichtigt werden.
Eine Virtual-Reality-Brille ist nun bei der Stiftung Mecklenburg zu finden, eine zweite bei der Jüdischen Gemeinde Schwerin. Hier wird darüber nachgedacht, für Besucher weitere Brillen anzuschaffen, so dass sich gleich mehrere zeitgleich ein Bild von der alten Synagoge machen können.
Mit Virtual-Reality-Brille in die Vergangenheit
Janina Kirchner lebt seit fast drei Jahrzehnten in Schwerin. Die Jüdin kam 1994 aus der Ukraine nach Deutschland. Heute ist sie Geschäftsführerin der Jüdischen Gemeinde und sie konnte mit der Virtual-Reality-Brille quasi in die Vergangenheit reisen. "Das ist eine große Bereicherung für uns", erzählt Kirchner. "Wir sind froh und glücklich, dass wir diese Brille bekommen haben - dass nicht nur die Schweriner, sondern auch unsere Gemeindemitglieder sehen können, wie die alte Synagoge ausgesehen hat. Ich habe das probiert und das ist so interessant. Ich habe mich gefühlt wie eine Dame, die Anfang des 20. Jahrhunderts in die Synagoge kam und am Gottesdienst teilgenommen hat."
Technik macht ehemalige Schweriner Synagoge wieder sichtbar
Vor zwei Jahren, im Februar 2021, entstand die Idee, die ehemalige Schweriner Synagoge wieder sichtbar zu machen. Entscheidenden Anteil daran hatte die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Mecklenburg-Vorpommern, deren Vorsitzende Maria Schümann ist. "Wir haben zwei Fotos von dieser Synagoge aus unterschiedlichen Perspektiven und aus unterschiedlichen Jahren", so Schümann. "Dr. Grellert von der TU Darmstadt ist dann aufgefallen, dass beide Fotos die Innenausstattung und Farbgestaltung völlig unterschiedlich dargestellt haben. Er ging dann auf die Suche und fand Hinweise auf die letzte farbliche Gestaltung des Innenraumes."
Besondere Herausforderung für Experten von der TU Darmstadt
Marc Grellert leitet den Forschungsbereich virtuelle Rekonstruktion an der TU Darmstadt. Dort sind in den vergangenen Jahren bereits rund 30 Synagogen deutschlandweit in Bild, Video und Modell wieder aufgebaut worden. Für Schwerin ergab sich laut Grellert eine besondere Herausforderung: "Wir hatten eine Fotografie des Innenraums, wo die wesentlichen Ausstattungselemente einer Synagoge wie der Thoraschrein und die Bima relativ gut abgebildet waren. Man hat auch die Ornamentik gesehen, aber man wusste nichts über die Farbigkeit der Synagoge."
Nur wenige Quellen: Welche Farbe ist die richtige?
Und so mussten sich die Experten letztlich entscheiden: "Es gab einige Hinweise aus Textquellen, etwa auf ein blaues Gewölbe mit goldenen Sternen oder bronzene Leuchter", erklärt Grellert. "Die Bänke waren in unserer ersten Fassung in Holz gehalten. Aber dann musste man Anleihen nehmen aus anderen Synagogen, von denen man Farben wusste. Wir haben die Synagoge in der Analogie zu diesen Gebäuden in mehreren Farbfassungen versucht und uns für zwei Farbfassungen entschieden. Eine haben wir besonders gut gefunden und sie als hypothetische Farbfassung verwendet."
250 Jahre nach Einweihung: Synagoge virtuell auferstanden
Somit kann sich nun jeder ein Bild des ehemaligen Gotteshauses machen - 85 Jahre nach seiner Zerstörung im November 1938 und eben auch 250 Jahre nach der Einweihung, wie Schwerins Stadtarchivar Bernd Kasten weiß: "Aus einer kleinen, gedruckten Einweihungsschrift wissen wir das Jahr der Einweihung. Baulich verändert wurde die Synagoge nur einmal richtig, und zwar im Jahr 1866. Da erfolgte der Umbau im Inneren im maurischen Stil, dabei wurde sie mit Sicherheit deutlich verschönert. Ansonsten war die Synagoge, die 1938 zerstört wurde, im Wesentlichen die, die 1773 gebaut worden ist."
Inzwischen haben die Schweriner Juden seit Dezember 2008 wieder eine neue Synagoge. Errichtet ist sie auf den sichtbaren Fundamenten der alten Synagoge, die nun wieder - wenn auch nur virtuell - besichtigt werden kann.