"Was Männer kosten": Boris von Heesen über den Preis des Patriarchats
63 Milliarden pro Jahr: Der Wirtschaftswissenschaftler Boris von Heesen hat die Mehrkosten errechnet, die Männer durch schädigendes Verhalten verursachen. Eine der Ursachen, die er im Interview benennt: "Rollenstereotype, die uns von klein auf prägen."
Egal ob Verkehrsunfälle, Diebstähle, Hooliganismus, Wirtschaftskriminalität oder Spiel- und Drogensucht: Männer führen so ziemlich alle traurigen Statistiken an, und zwar erschreckend deutlich. So sind fast 94 Prozent aller Menschen, die in Deutschland im Gefängnis sitzen, Männer. Alle Statistiken zusammengenommen, kosten Männer den deutschen Staat 63 Milliarden Euro mehr als Frauen - pro Jahr.
Der Jungen- und Männerberater Boris von Heesen schreibt in seinem Buch "Was Männer kosten. Der hohe Preis des Patriarchats" wie er auf diese Zahl kommt. Als Wirtschaftswissenschaftler bedient er sich der Sprache des Kapitalismus, in der Hoffnung, dass auch Männer endlich erkennen, wie über Jahrhunderte eingeübte stereotype Rollenbilder der Gesellschaft schaden. Zum Equal-Pay-Day und zum Internationalen Weltfrauentag stellt von Heesen im Gespräch mit Andrea Schwyzer mögliche Wege aus patriarchalen Denkmustern vor. Einen Auszug lesen Sie hier, das ganze Gespräch hören Sie in der ARD Audiothek.
Herr von Heesen, das Patriarchat kostet uns jährlich 63 Milliarden Euro. So haben Sie es errechnet. Wie kommen Sie darauf? Was liegt der Zahl zugrunde?
Boris von Heesen: Ich bin als Wirtschaftswissenschaftler schon lange in der Sozialen Arbeit tätig und habe da die Erfahrung gemacht, dass in unheimlich vielen Statistiken Männer sehr schlecht abschneiden. Dann habe ich angefangen, sehr viele Daten zusammen zu tragen, schiefe Statistiken in Sucht, Verkehr und so weiter. Daraufhin habe ich diese Statistiken mit den Kosten bewertet - nicht geschätzt, sondern alle aus öffentlichen Quellen ermittelt. Herausgekommen sind dabei sozusagen Vollerhebungen über ungesundes Geschlechterverhalten. So ist am Ende diese Summe zustande gekommen: 63 Milliarden.
Dabei geht es um Gefängnisaufenthalte, häusliche Gewalt, verschiedene Süchte, Wirtschaftskriminalität und Verkehrsunfälle. Lassen Sie uns ein Beispiel herausnehmen: Fast 94 Prozent aller Menschen, die im Gefängnis sitzen, sind männlich und belasten damit die Staatskasse.
von Heesen: Es gibt einen durchschnittlichen Haftkostensatz, der liegt ungefähr bei 130 Euro pro Tag. Ein ziemlich gutes Vier-Sterne-Hotel kostet so viel. Es gibt vom statistischen Bundesamt sehr konkrete Zahlen, wie viele Männer im Gefängnis sitzen und wie viele Frauen. Die Kosten, die Frauen tragen, habe ich auch berechnet, aber von den Gesamtkosten abgezogen. So kommen wir bei den Gefängnissen auf einen Betrag von knapp drei Milliarden Euro Mehrkosten, die die Männer verursachen.
Ein anderer Bereich ist der des Autofahrens. Männer bauen fast doppelt so viele Verkehrsunfälle wie Frauen. Inwiefern kostet das den Staat Geld?
von Heesen: Die Mehrkosten, die Männer hier verursachen, liegen bei knapp 2,5 Milliarden Euro. Die Automobilität ist ein sehr starkes Symbol für das Patriarchat. Im großen, leistungsstarken Auto machtvoll über die Straßen zu gleiten, das hat schon etwas sehr Patriarchales.
Sie sprechen in ihrem Buch von einem "unsichtbaren Band des Patriarchats". Das lässt sich am Beispiel Autoverkehr ganz gut erklären, oder?
von Heesen: Ich sage immer: Unheimlich und unsichtbar, aber nicht bewusst. Da sind keine Männerbünde, die jetzt geheim miteinander fahren. Ich glaube, das sind einfach patriarchale Strukturen, die diese ungesunden Verhaltensweisen reproduzieren. Außerdem war in Deutschland noch nie eine Frau Verkehrsministerin. Wenn man schaut, wer in den Verkehrsausschüssen sitzt, dann sind das extrem viel mehr Männer, die in diesen wichtigen Gremien ihre Rollen suchen. In den großen Autokonzernen finden sich manchmal Frauen, aber sehr wenige. Die sind meistens im Marketing oder Personal und nicht in den Ingenieurwissenschaften, die ja eher nachhaltige Mobilität befördern könnten.
Warum sitzen so viel mehr Männer im Gefängnis, warum bauen so viel mehr Männer Unfälle, warum besteht so ein Phänomen wie Hooliganismus fast ausschließlich aus Männern?
von Heesen: Das sind natürlich Rollenstereotype, die uns von klein auf prägen und uns einflüstern, wie wir uns als Mann zu verhalten haben. Die auch Frauen einflüstern, wie sie sich zu verhalten haben. In dieser Männlichkeits-Box sind halt all diese Verhaltensweisen drin: Männer glauben, dass sie immer der Fels in der Brandung sein müssen, nicht krank werden, keine Verletzlichkeit zeigen dürfen, einen sehr schlechten Zugang zu ihrer Gefühlswelt haben, nicht gut im Kommunizieren sind, sich nicht gerne Hilfe holen und sehr stark auf ihre Lohnarbeit fixiert sind. Dieses Paket in dieser limitierten Box kriegen Männer mit, von klein auf bis ins hohe Alter. Es ist wahnsinnig schwer, aus dieser Box auszubrechen, weil diese Stereotype sehr wirkmächtig sind. Selbst wenn man sich mal dagegen auflehnt, sind die Gruppenzwänge von Freunden, Eltern, Brüdern und Geschwistern da, die dann sagen: Das kannst du doch nicht machen. Das macht man doch als Mann nicht. Alle Männer sind letztendlich Opfer dieser Stereotype. Wir sind aufgerufen, uns ihnen entgegenzustellen, sie herauszufordern und zu hinterfragen.
Das Gespräch führte Andrea Schwyzer.