Boris von Heesen im Porträt © privat
Boris von Heesen im Porträt © privat
Boris von Heesen im Porträt © privat
AUDIO: Der hohe Preis des Patriarchats: Boris von Heesen im Gespräch (26 Min)

"Was Männer kosten": Boris von Heesen über den Preis des Patriarchats

Stand: 04.08.2024 06:00 Uhr

63 Milliarden pro Jahr: Der Wirtschaftswissenschaftler Boris von Heesen hat die Mehrkosten errechnet, die Männer durch schädigendes Verhalten verursachen. Eine der Ursachen, die er im Interview benennt: "Rollenstereotype, die uns von klein auf prägen."

Egal ob Verkehrsunfälle, Diebstähle, Hooliganismus, Wirtschaftskriminalität oder Spiel- und Drogensucht: Männer führen so ziemlich alle traurigen Statistiken an, und zwar erschreckend deutlich. So sind fast 94 Prozent aller Menschen, die in Deutschland im Gefängnis sitzen, Männer. Alle Statistiken zusammengenommen, kosten Männer den deutschen Staat 63 Milliarden Euro mehr als Frauen - pro Jahr.

Der Jungen- und Männerberater Boris von Heesen schreibt in seinem Buch "Was Männer kosten. Der hohe Preis des Patriarchats" wie er auf diese Zahl kommt. Als Wirtschaftswissenschaftler bedient er sich der Sprache des Kapitalismus, in der Hoffnung, dass auch Männer endlich erkennen, wie über Jahrhunderte eingeübte stereotype Rollenbilder der Gesellschaft schaden. Zum Equal-Pay-Day und zum Internationalen Weltfrauentag stellt von Heesen im Gespräch mit Andrea Schwyzer mögliche Wege aus patriarchalen Denkmustern vor. Einen Auszug lesen Sie hier, das ganze Gespräch hören Sie in der ARD Audiothek.

Herr von Heesen, das Patriarchat kostet uns jährlich 63 Milliarden Euro. So haben Sie es errechnet. Wie kommen Sie darauf? Was liegt der Zahl zugrunde? 

Cover "Was Männer kosten" © Heyne Verlag
Boris von Heesens Buch "Was Männer kosten. Der hohe Preis des Patriarchats" erscheint im Heyne Verlag, hat 304 Seiten und kostet 18 Euro.

Boris von Heesen: Ich bin als Wirtschaftswissenschaftler schon lange in der Sozialen Arbeit tätig und habe da die Erfahrung gemacht, dass in unheimlich vielen Statistiken Männer sehr schlecht abschneiden. Dann habe ich angefangen, sehr viele Daten zusammen zu tragen, schiefe Statistiken in Sucht, Verkehr und so weiter. Daraufhin habe ich diese Statistiken mit den Kosten bewertet - nicht geschätzt, sondern alle aus öffentlichen Quellen ermittelt. Herausgekommen sind dabei sozusagen Vollerhebungen über ungesundes Geschlechterverhalten. So ist am Ende diese Summe zustande gekommen: 63 Milliarden. 

Dabei geht es um Gefängnisaufenthalte, häusliche Gewalt, verschiedene Süchte, Wirtschaftskriminalität und Verkehrsunfälle. Lassen Sie uns ein Beispiel herausnehmen: Fast 94 Prozent aller Menschen, die im Gefängnis sitzen, sind männlich und belasten damit die Staatskasse.  

von Heesen: Es gibt einen durchschnittlichen Haftkostensatz, der liegt ungefähr bei 130 Euro pro Tag. Ein ziemlich gutes Vier-Sterne-Hotel kostet so viel. Es gibt vom statistischen Bundesamt sehr konkrete Zahlen, wie viele Männer im Gefängnis sitzen und wie viele Frauen. Die Kosten, die Frauen tragen, habe ich auch berechnet, aber von den Gesamtkosten abgezogen. So kommen wir bei den Gefängnissen auf einen Betrag von knapp drei Milliarden Euro Mehrkosten, die die Männer verursachen. 

Weitere Informationen
Ein Mann mit Cowboyhut richtet seine Waffe auf etwas. © IMAGO / Mary Evans

Toxische Männlichkeit: Wann ist ein Mann ein Mann?

Das Leitbild des harten Kerls hält sich zwar - doch alte Ideale brechen auf, neue Rollenbilder entstehen. Was bedeutet heutzutage Männlichkeit? mehr

Ein anderer Bereich ist der des Autofahrens. Männer bauen fast doppelt so viele Verkehrsunfälle wie Frauen. Inwiefern kostet das den Staat Geld?  

von Heesen: Die Mehrkosten, die Männer hier verursachen, liegen bei knapp 2,5 Milliarden Euro. Die Automobilität ist ein sehr starkes Symbol für das Patriarchat. Im großen, leistungsstarken Auto machtvoll über die Straßen zu gleiten, das hat schon etwas sehr Patriarchales.  

Sie sprechen in ihrem Buch von einem "unsichtbaren Band des Patriarchats". Das lässt sich am Beispiel Autoverkehr ganz gut erklären, oder? 

von Heesen: Ich sage immer: Unheimlich und unsichtbar, aber nicht bewusst. Da sind keine Männerbünde, die jetzt geheim miteinander fahren. Ich glaube, das sind einfach patriarchale Strukturen, die diese ungesunden Verhaltensweisen reproduzieren. Außerdem war in Deutschland noch nie eine Frau Verkehrsministerin. Wenn man schaut, wer in den Verkehrsausschüssen sitzt, dann sind das extrem viel mehr Männer, die in diesen wichtigen Gremien ihre Rollen suchen. In den großen Autokonzernen finden sich manchmal Frauen, aber sehr wenige. Die sind meistens im Marketing oder Personal und nicht in den Ingenieurwissenschaften, die ja eher nachhaltige Mobilität befördern könnten. 

Warum sitzen so viel mehr Männer im Gefängnis, warum bauen so viel mehr Männer Unfälle, warum besteht so ein Phänomen wie Hooliganismus fast ausschließlich aus Männern? 

von Heesen: Das sind natürlich Rollenstereotype, die uns von klein auf prägen und uns einflüstern, wie wir uns als Mann zu verhalten haben. Die auch Frauen einflüstern, wie sie sich zu verhalten haben. In dieser Männlichkeits-Box sind halt all diese Verhaltensweisen drin: Männer glauben, dass sie immer der Fels in der Brandung sein müssen, nicht krank werden, keine Verletzlichkeit zeigen dürfen, einen sehr schlechten Zugang zu ihrer Gefühlswelt haben, nicht gut im Kommunizieren sind, sich nicht gerne Hilfe holen und sehr stark auf ihre Lohnarbeit fixiert sind. Dieses Paket in dieser limitierten Box kriegen Männer mit, von klein auf bis ins hohe Alter. Es ist wahnsinnig schwer, aus dieser Box auszubrechen, weil diese Stereotype sehr wirkmächtig sind. Selbst wenn man sich mal dagegen auflehnt, sind die Gruppenzwänge von Freunden, Eltern, Brüdern und Geschwistern da, die dann sagen: Das kannst du doch nicht machen. Das macht man doch als Mann nicht. Alle Männer sind letztendlich Opfer dieser Stereotype. Wir sind aufgerufen, uns ihnen entgegenzustellen, sie herauszufordern und zu hinterfragen.    

Das Gespräch führte Andrea Schwyzer.

Weitere Informationen
Podcast NDR Kultur Das Gespräch Mediathekbild © f1online

Das Gespräch

Im "Gespräch" kommen Menschen zu Wort, die Besonderes zu sagen haben: Brillante Autorinnen, einflussreiche Kulturschaffende, feine Musiker, kluge Soziologinnen und viele mehr. mehr

Kreidetafel mit der Aufschrift "Internationaler Frauentag". © fotolia Foto: Zerbor

Frauentag - Eine wirkliche Gleichstellung ist nicht erreicht

Der Frauentag am 8. März ist keine plüschige Mischung aus Mutter- und Valentinstag. Er ist wichtig als Stärkung für den weiteren Weg. mehr

Zwei Stapel Münzen werden in Händen gehalten. © picture alliance / PantherMedia Foto: Andrey Popov

Equal Pay Day: Frauen in SH verdienen zwölf Prozent weniger

Doch die Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt ist noch viel größer - für Sozialministerin Touré ist das ein Problem. mehr

Eine Demonstrantin hält eine Fahne mit feministischem Symbol in die Luft. © Carlos Gil / picture alliance Foto: Carlos Gil

Internationaler Frauentag: Demos in Niedersachsen

Gleichberechtigt und anerkannt sind Frauen noch längst nicht überall. Damit sich das ändert, gibt es den Frauentag. mehr

Ein Ballon mit der Aufschrift "Equal Pay Day" fliegt durch die Luft. © picture alliance/dpa | Julian Stratenschulte Foto: Julian Stratenschulte

Equal Pay Day: Drei Viertel der Frauen verdienen weniger als Männer

Damit liegt Niedersachsen im bundesweiten Vergleich im Mittelfeld. Frauen erhalten durchschnittlich fast 5 Euro weniger pro Stunde. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Das Gespräch | 04.08.2024 | 13:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Sachbücher

Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum - Die Philosophie und wir

Bei einem Becher Tee philosophieren unsere Hosts über die großen Fragen. Denise M‘ Baye und Sebastian Friedrich diskutieren mit Philosophen und Menschen aus dem Alltag. mehr

Mehr Kultur

Ein Sänger steht auf einer Bühne, hält in einer Hand das Mikrofon und die andere ist nach oben gestreckt. © picture alliance / Gonzales Photo/Nikolaj Bransholm Foto: Gonzales Photo/Nikolaj Bransholm

Hurricane Festival: The Prodigy, Apache 207 und Sam Fender kommen 2025

Die englische Elektro-Punk-Band The Prodigy und ein Who-is-Who der deutschen Pop- und HipHop-Szene haben sich für 2025 angekündigt. mehr

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?