Equal Pay Day: Frauen in SH verdienen zwölf Prozent weniger
Der Gender Pay Gap liegt in Schleswig-Holstein nach aktuellen Zahlen bei zwölf Prozent. Doch die Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt ist noch viel größer - für Sozialministerin Touré ist das ein Problem.
Frauen haben in diesem Jahr im Durchschnitt bis heute unbezahlt gearbeitet - wenn man die rechnerische Lohnlücke zu Männern in Tagen umrechnet. Das zeigen Zahlen des Statistischen Bundesamts. Ein Unterschied von 66 Tagen. Darauf möchte der alljährliche Equal Pay Day aufmerksam machen. Und auch, dass sich an den Zahlen im Vergleich zum Vorjahr nichts verändert hat. Bundesweit liegt der Gender Pay Gap, der Unterschied im Brutto-Stunden-Verdienst zwischen Männern und Frauen, nach aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamts bei 18 Prozent. In Schleswig-Holstein sind es zwölf Prozent. "Eine schwierige Situation", bewertet Schleswig-Holsteins Sozialministerin Aminata Touré (Grüne) die Zahlen. Sie befürwortet den Equal Pay Day als Instrument, um auf das Ungleichgewicht am Arbeitsmarkt hinzuweisen.
2008 lag der Gender Pay Gap bei 22 Prozent
Der Equal Pay Day ist der internationale Aktionstag für Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern. Eingeführt wurde er 1966 zunächst in den USA durch einen Zusammenschluss von Frauen- und Bürgerrechtsorganisationen, Gewerkschaften, religiösen und beruflichen Vereinigungen. Seit 2008 findet der "Tag der gleichen Bezahlung", der die Lohnkluft zwischen Männern und Frauen anprangert, auch in Deutschland statt. Damals lag der Gender Pay Gap bei Vollzeitbeschäftigten in Schleswig-Holstein bei 19 Prozent.
Kriterien für Lohnunterschied: Teilzeit, Berufsfelder, Karrierelevel
Ein Grund für den zwar sinkenden, aber weiterhin deutlichen Lohnunterschied ist - so das Statistikamt - dass Frauen im Schnitt öfter in Teilzeit arbeiten und Teilzeit-Arbeitsstunden oft geringer vergütet werden als Vollzeit-Arbeitsstunden. Ein weiterer Grund für den Lohnunterschied ist demnach, dass Frauen öfter Berufe ergreifen, die schlechter bezahlt sind, beispielsweise soziale Berufe im Vergleich zu MINT-Berufen. Auch Qualifikation oder Karrierelevel spielen eine Rolle bei der Lohnverteilung. Doch auch, wenn man diese Faktoren herausrechnet, ergibt sich bei vergleichbaren Tätigkeiten eine Lohndiskrepanz von sechs Prozent pro Arbeitsstunde, die sich nicht einfach wegdiskutieren lässt. Ein Unterschied vermutlich einfach, weil die Lohnempfänger weiblich sind. "Das ist ein fettes Problem", sagt Touré. "Das heißt, da sind Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber in der Pflicht so etwas einzustellen." Helfen könnten dabei beispielsweise die Entgeldtransparenz-Gesetze.
Frauen übernehmen größeren Anteil häuslicher Aufgaben
Doch das Problem ist im Grunde viel größer. Denn bei der reinen Betrachtung des Lohnunterschieds werden wichtige Faktoren außen vor gelassen, die auf eine viel größere Ungleichheit hinweisen. Denn die Umstände, die dazu führen, dass Frauen oft weniger arbeiten oder sogar teilweise gar keiner bezahlten Tätigkeit nachgehen, werden dabei nicht betrachtet. Dabei spielen sie eine wichtige Rolle bei der Frage nach Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt. Der häufigste Grund, aus dem Frauen weniger bezahlte Arbeitsstunden leisten, ist, weil sie immer noch mehr Zeit für Kinderbetreuung, Haushalt und die Pflege von Angehörigen aufwenden. Aufgrund dieses Ungleichgewichts ist es vielen Frauen schlichtweg nicht möglich, mehr zu arbeiten. Das hat Auswirkungen auf ihren Bruttostundenlohn, auf ihre finanzielle Freiheit und vor allem auch auf ihre Altersvorsorge. In Schleswig-Holstein haben Frauen im Jahr 2023 laut Statistikamt durchschnittlich 119 Stunden pro Monat gearbeitet, Männer hingegen 146 Stunden - ein Unterschied von 18 Prozent. Auch haben rund zehn Prozent mehr Frauen 2023 nicht bezahlt gearbeitet.
Touré möchte zuverlässige Betreuung politisch umsetzen
An diesem Punkt möchte Ministerin Touré mit ihrer Politik ansetzen. "Ich bin politisch in der Verantwortung, für die bestmögliche Betreuung in Schleswig-Holstein zu sorgen. Wir arbeiten in Schleswig-Holstein in diesem Jahr daran, zuverlässige Betreuung zu ermöglichen, damit Familien eigenständig entscheiden können, wie oft sie Kinder in die Betreuung geben können und wollen."
Huhn-Ei-Frage nach Grund für schlechtere Bezahlung
Der Grund, dass Frauen häufiger schlechter bezahlte Berufe ergreifen, beispielsweise im sozialen Bereich, lässt die Huhn-Ei-Frage außer Acht. Nämlich die Frage, ob Frauen wirklich Berufe ergreifen, die schlechter bezahlt sind oder ob die Berufe schlechter bezahlt sind, weil sie häufiger von Frauen gewählt werden. Als Indiz für letzteres kann das Programmieren angeführt werden, schreibt der amerikanische Historiker Nathan Ensmenger in einem Aufsatz zu dem Thema. In der 1960er-Jahren war das Programmieren nämlich vor allem Frauenarbeit - und im Vergleich weniger gut bezahlt. "Die Disziplin wurde erst nach und nach bewusst in ein wissenschaftliches, männliches Fach mit hohem Status transformiert", schreibt Ensmenger. Mit der "Vermännlichung" sei so auch nach und nach die Vergütung gestiegen. Auch die Hans-Böckler Stiftung vertritt die Meinung, dass es rein ökonomisch nicht zu erklären ist, wieso in Berufen mit höherem Frauenanteil ein niedrigerer Lohn gezahlt wird.
"Wir dürfen uns nicht an eine stetig hohe Entgeltlücke in Deutschland gewöhnen, sondern müssen alle Hebel in Bewegung setzen, damit sich diese endlich verringert", so Lisanne Straka von Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) Nord. Gute Mittel dafür sind demnach eine stärkere Tarifbindung und die Aufwertung frauendominierter, systemrelevanter Berufe.
Gender Gap Arbeitsmarkt zeigt dreifache Benachteiligung
Die dreifache Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt - der niedrigere Brutto-Stundenlohn (Gender Pay Gap), die geringere Arbeitszeit (Gender Hour Gap) und die niedrigere allgemeine Beteiligung am Arbeitsmarkt (Gender Employment Gap) - wird vom Statistischen Bundesamt im Gender Gap Arbeitsmarkt zusammengefasst. Der lag 2023 in Schleswig-Holstein bei 35 Prozent (bundesweit bei 39 Prozent). Konkret heißt das, wenn man diese Faktoren zusammen rechnet, haben Frauen im Schnitt 35 Prozent weniger Einkommen.
Der Gender Gap Arbeitsmarkt kann nach Angaben des Statistischen Bundesamts nicht eindeutig interpretiert werden, weil Größen mit unterschiedlichen Maßeinheiten in die Berechnung einfließen. Doch im Zeitverlauf lässt er Schlüsse auf die Verdienst- und Beschäftigungssituation von Frauen im Vergleich zu Männern zu. Und er zeigt vor allem: In Sachen Gleichberechtigung muss sich auf dem Arbeitsmarkt noch einiges tun.
Ein gesamtgesellschaftliches Problem
"Ich bin aber von einem total überzeugt: Es liegt nicht daran, dass Frauen defizitär sind, dass sie deswegen weniger verdienen", stellt Touré klar. Es liege vielmehr an einer Gesellschaft, die es für selbstverständlich hält, dass Frauen beispielsweise viel Care-Arbeit leisten und dafür nicht bezahlt werden. Und in vielen Bereich arbeiten, die früher unentlohnt waren und jetzt schlecht entlohnt sind. "Das heißt, wir haben hier eine Aufgabe, als Politik, als Gesellschaft, als Unternehmen und auch Männer in der Gesellschaft, Frauen nicht alleine in dieser Verantwortung zu lassen."