Toxische Männlichkeit: Wann ist ein Mann ein Mann?
Was bedeutet Männlichkeit in Zeiten, in denen Vorbilder sich stark unterscheiden und alte Ideale aufbrechen? Gibt es eine neue Männlichkeit?
1984 hat Herbert Grönemeyer gefragt: "Wann ist ein Mann ein Mann?" Und gleich mehrere widersprüchliche Antworten angeboten. Demnach war ein Mann, ein Mann, wenn er "Geborgenheit geben kann" und "Kriege führt", wenn er "verletzlich" und gleichfalls "allzeit bereit" ist. Und recht hatte Herr Grönemeyer.
Das ungesunde Leitbild des harten Kerls
Denn das klassische Männlichkeitsideal à la John Wayne konkurrierte bereits in den 1980ern mit Alternativen und vor allem mit männlichen Befindlichkeiten und Realitäten. Es gibt eben nicht nur das eine Bild vom Mann und es handelt sich eben auch nur um unvollständige Leitbilder. Doch es gibt eines, dass sich trotz seiner toxischen Wirkmacht noch immer hält - auch wenn es hinkt: das ungesunde Leitbild des harten Kerls.
Von Männern auf Covern und dem Einen
Die neuen Männlichkeiten sind da. Es ist nicht nur eine, es sind viele, die dem alten Ideal des harten Kerls Konkurrenz machen. Sie strahlen von Magazinen, Plattencovern, werden im Internet gefeiert und angegriffen. Viele Medien präsentieren alternative Männlichkeitsangebote, stellen abweichende Lebensentwürfe vor. Fernsehsendungen dokumentieren das Leben leidenschaftlicher Väter und Hausmänner. Erfahrungsberichte über feinfühlige Teilnehmer von Männergruppen kursieren in den Mediatheken.
Ein Coming Out ist nicht mal mehr eine Schlagzeile wert. Haben wir es also überwunden, das alte Ideal vom heterosexuellen Mann, der natürlich schön, stark, dominant, kognitiv überlegen, psychisch stabil, fruchtbar, standhaft, sachlich und emotional unerschütterlich ist? Nein, denn ganz so antiquiert, wie es den Anschein macht, ist das klassische Männlichkeitsideal nicht.
"Toxische Männlichkeit": Was hat das mit uns zu tun?
Zugegeben, "giftige Männlichkeit" klingt sehr drastisch. Handelt es sich bei diesem Begriff also um eine überzogene Interpretation, einen feministischen Schlachtbegriff, um eine laute Anklage, die mit der breiten Masse - egal welchen Geschlechts - nichts zu tun hat?
Der Begriff entstand in den 1980er-Jahren durch Frauenrechtlerinnen und bezeichnet Männlichkeitsideale, die von Dominanz geprägt sind. "Toxisch" ist Männlichkeit, wenn emotionale Kälte zum Ideal wird. Damit ist die Verherrlichung oder Legitimierung von Aggressionen, Unterdrückung und Gewalt auf Basis der Geschlechtszugehörigkeit gemeint. Blockbuster der vergangenen Jahrzehnte transportieren diesen Geist.
Madeleine Swann: "Sie sollten nicht so starren."
James Bond: "Und Sie sollten nicht so aussehen."
Dialog aus dem James-Bond-Film "Ein Quantum Trost"
Anderen zu schaden, ist jedoch nur eine Seite der Medaille toxischer Männlichkeit. Männer, die sich an einem destruktiven Ideal orientieren, schaden sich selbst. Das giftige Potential dieses Rollenbildes richtet sich auch gegen die eigene Gesundheit.
Junge Männer begrüßen neue Rollenbilder
Die gute Nachricht ist, dass ein Wandel im gesellschaftlichen Bewusstsein stattfindet, der sich auch in den kulturellen Darstellung "neuer Männlichkeit" abbildet. Die Lust am neuen Männerbild ist da. Das belegt auch eine aktuelle Studie der Stiftung Männergesundheit, aus der hervorgeht, dass junge Männer sich eher mit partnerschaftlich-einfühlsamen Erwartungen identifizieren als mit dem klassischen Modell:
"Traditionell-hegemoniale Männlichkeitskonstruktionen erscheinen nicht mehr als attraktives, legitimes Ideal, sondern werden als 'toxisch' stigmatisiert." Auszug aus der Studie von 2022 "Junge Männer und ihre Gesundheit"
Jungs sind das "lebens-schwächere" Geschlecht: Fünf Jahre weniger Lebenserwartung
Das kulturelle Angebot an neuen Vorbildern kommt gut an. Einige ungesunde Vorstellungen davon, wie ein Mann zu sein hat, halten sich jedoch hartnäckig. Als Mann definiert zu werden hat biologische und normative Aspekte. In jeder Gesellschaft herrschen Vorstellungen darüber, wie ein Mann sich im Hinblick auf seine Gesundheit zu verhalten, was er zu empfinden hat.
Wer dieser Tage als Junge in Deutschland geboren wird, blickt fünf Jahren weniger Lebenserwartung entgegen als ein gleichaltriges Mädchen. Trotz des Aufziehens neuer Männlichkeitskonzepte in der Gesellschaft, zeigt die Studie der Stiftung Männergesundheit, dass alte krankmachende Rollenerwartungen jungen Männern noch immer als Orientierung dienen.
Die Wissenschaftler stellten fest, dass Männer zwar zunehmend destruktive Männlichkeitsformen ablehnen, das selbstschädigende Verhalten jedoch nach wie vor zeigen. Sie rauchen häufiger als Frauen, essen mehr Fleisch, neigen zu ungesünderem Medienkonsum, einem riskanteren Lebensstil und konsumieren häufiger Alkohol und Drogen.
"Mit zunehmendem Alter treten (…) mehr und mehr umwelt- und verhaltensbedingte Faktoren in den Vordergrund, (…) sodass Jungen im Vergleich zu Mädchen als das 'lebens-schwächere' Geschlecht bezeichnet werden können." Auszug aus der Studie von 2022 "Junge Männer und ihre Gesundheit"
Gleichberechtigung durch Gleichgewicht
Jungen konsumieren Medien. Einige tragen zu einem neuen, gesunden Rollenverständnis bei, andere zementieren Fantasien männlicher Überlegenheit - etwa in Pornos. Die Verherrlichung von Aggressionen und die Unterdrückung von Frauen waren noch nie ein Ausdruck von Stärke. Sie wurden lediglich - und nur für Männer dienlich - als solche inszeniert.
Jahrzehntelang prägten "Machos" auf Covern und Bildschirmen die Identität von Jungen und Männern. Führungsbedürftige, zarte Frauenideale stellten das perfekte Pendant dar. Doch mit dem Aufbrechen der traditionellen Frauenrollen ist auch bei den Männern eine Entspannung eingetreten. Die althergebrachten Muster zwischen Männern und Frauen weichen auf. Starke Frauen nehmen den Männern die Last von den Schultern. Dadurch entstehen Freiheiten. Und diese können wir feiern und ausbauen.