NS-Zwangsarbeit in Rüstungsfirma der Welfen
Dunkle Geschäfte in einer dunklen Zeit: Während der Nazi-Herrschaft hat das Adelsgeschlecht der Welfen einige skrupellose Geschäfte gemacht. Es war zum Beispiel an den "Arisierungen" jüdischer Unternehmen beteiligt. Ernst August Herzog von Braunschweig und Lüneburg (1887 - 1953) und sein Sohn Ernst August (1914 - 1987) profitierten als Hauptgesellschafter einer Rüstungsfabrik vom Krieg. Ihr Name: Flugzeug- und Metallbauwerke Wels, kurz FMW. Das Unternehmen war einer der "kriegswichtigen" Rüstungsbetriebe des "Dritten Reiches" und an der Geheimproduktion des ersten Kampfflugzeugs mit Düsenantrieb beteiligt. Erstmals kann belegt werden, dass für die Fabrik der Welfen auch Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge geschuftet haben.
Erst Ernst August machte die Firma zum Rüstungsunternehmen
Die Wiener Historikerin Sabine Loitfellner hat im Auftrag des NDR mehr über das Rüstungsunternehmen der Welfen in Erfahrung gebracht. Bis dahin war nichts über die Beteiligung der Welfen bekannt. Im Wiener Landesarchiv ist Loitfellner auf Dokumente der Flugzeug- und Metallbauwerke Wels gestoßen. Sie werden in der Dokumentation "Adel ohne Skrupel" zum ersten Mal veröffentlicht. "Die Firma wurde 1938 von Ernst August [dem Großvater des heutigen Welfenoberhaupts, d. Red.] angekauft", erklärt die Historikerin. "Es handelt sich hier um keine "Arisierung", sondern um einen normalen Erwerb mit redlichen Mitteln." Ursprünglich hatte das Unternehmen Landwirtschaftsmaschinen gefertigt. Loitfellner hat jedoch herausgefunden, dass Ernst August die Firma schon ein Jahr nach dem Kauf, im August 1939, in die Flugzeug- und Metallbauwerke umgewandelt hat. "Das war einen Monat bevor der Zweite Weltkrieg begonnen hat."
Ein Millionengeschäft - ermöglicht durch die Ausbeutung von Zwangsarbeitern
Bereits 1935 hatten Hitler und Göring in Vorbereitung auf den Krieg die deutsche Luftwaffe gegründet. Sie brauchten Hersteller und neue Flugzeugmodelle, aber auch Wartungs- und Reparaturwerkstätten, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Genau diese Aufgabe erfüllte die neue Firma des Herzogs Ernst August. Beschädigte Flugzeuge der deutschen Luftwaffe wurden dort repariert - ein Millionengeschäft. Die Welfen verdienten am Krieg: Der Umsatz betrug bis zu 16 Millionen Reichsmark - umgerechnet auf heute waren das bis zu 60 Millionen Euro pro Jahr. 1942 machte die Firma einen Gewinn von mindestens 76.000 Reichsmark, circa 340.000 Euro pro Jahr. "Etwa 1943 hatte die Firma ein Stammkapital von zwei Millionen Reichsmark. Das ist natürlich ein beträchtlicher Wert", so Historikerin Loitfellner.
Ausländische Arbeitssklaven bei der FMW
Die Fabrik der FMW stand im oberösterreichischen Wels. Heute sind fast sämtliche Spuren getilgt. Kaum etwas deutet noch auf das ehemals riesige Betriebsgelände hin. Auch viele Unterlagen gingen nach dem Krieg verloren. Doch im Stadtarchiv Wels hat Sabine Loitfellner Hinweise auf den systematischen Einsatz von Zwangsarbeitern, Männern wie Frauen, gefunden: "In den historischen Dokumenten, die erhalten geblieben sind, haben wir ganz klare Belege dafür, dass ausländische Zwangsarbeiter eingesetzt wurden. So gibt es zum Beispiel im Stadtarchiv Wels Unterlagen, die das sogenannte Franzosenlager auf dem Gelände der FMW betreffen. Mit der Fortdauer des Krieges und der immer prekärer werdenden Arbeitskräftesituation wurden immer mehr Zwangsarbeiterinnen in immer größerem Ausmaß eingesetzt. Bis zu Kriegsende sind etwa 40, 45 Prozent der Belegschaft sogenannte Auslandskräfte, ZwangsarbeiterInnen." Insgesamt waren es bei der FMW der Welfen geschätzt mehrere Hundert.
Zeitzeugen erinnern sich:
Unterirdisches Stollensystem wurde zur Produktionsstätte
Im Frühjahr 1944 wurde in der Fabrik der Welfen diskutiert, wie man die Rüstungsproduktion effizienter gestalten konnte. Mit dabei waren auch die Söhne des Herzogs. Zudem erhielt die FWM den Auftrag, Teile für das erste Düsenflugzeug der Welt, das in Serie ging, die Me (Messerschmitt) 262, herzustellen. Das Geheimprojekt ließ sich aber im eigentlichen Flugzeugwerk in Wels nicht mehr realisieren, da es durch Bombardements schwer zerstört war.
Eine neue, geheime Produktionsstätte wurde im oberösterreichischen Gusen gefunden. Der Ort war wie geschaffen für die Produktion der Wunderwaffe. Daran waren, neben den FMW, noch andere Firmen beteiligt. Gusen liegt 50 Kilometer von den Flugzeugwerken in Wels entfernt; zudem nicht weit vom KZ Mauthausen, das dort mehrere Außenlager hatte. Ab Januar 1944 begannen die ersten Häftlinge des Konzentrationslagers mit den Ausbauarbeiten der unterirdischen Lagerkeller einer Brauerei.
Menschenverachtende, todbringende Zustände unter Tage
Schon beim Bau des Stollens herrschte ein unfassbares Grauen. Rudolf Haunschmied, Wissenschaftlicher Berater im Gusen Memorial Committee, erzählt vom Zeugnis eines Franzosen: "Dieser Mann konnte nur unter Tränen berichten, dass ein gesunder kräftiger Mann diese Arbeit vorn beim Betonrüssel nur wenige Stunden aushalten konnte und dann brachen die zusammen, durch die Hitze, durch den Durst, durch die Entkräftung. Er sagte damals auch, man hätte sich fallweise nicht einmal die Mühe gemacht, die Leute wegzuschaffen, um sie nach Gusen zu bringen, zum Krematorium, sondern man hätte sie einfach hinter die Schalung geworfen und der nächste hätte sie mit Beton zugespritzt."
Überlebender: "Da war kein Mitleid, keine Barmherzigkeit"
Die Fabrik war ein Ort des Grauens. Dort haben Arbeitssklaven des Flugzeugswerks FMW und anderer Firmen bis in die allerletzten Kriegstage im April 1945 Waffen produziert. Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge stellten in nur sechs Monaten etwa 1.000 Rümpfe für Düsenflugzeuge in den Tunnelanlagen her. Dušan Stefančič kennt die Zustände, unter denen die Arbeitssklaven schuften mussten. Er kam 1944 als KZ-Häftling von Mauthausen nach Gusen und war bei der Vormontage des Düsenjägers eingeteilt. "Wenn Sie ein menschliches Leben ganz zur Seite stellen, dann kann man das schaffen. Tausend Leute? Bitte, machen Sie das: Die werden das so lange machen, solange sie leben und wenn einer umfällt, kommt ein anderer. Und so wurde das geschafft. Da war kein Mitleid, keine Barmherzigkeit. Da war gar nichts. Nur um einen Zweck wurde es gemacht: zum "Sieg". Sie wissen ja, es war damals die Parole 'Räder müssen rollen für den Sieg'. Alles musste für den Sieg sein." In Gusen wurden insgesamt etwa 40.000 KZ-Häftlinge getötet.
Zweite geheime Produktionsstätte der FMW entdeckt
Der Stollen war nicht die einzige geheime Produktionsstätte, an der die FMW der Welfen beteiligt war. Im Archiv entdeckte Sabine Loitfellner Hinweise, dass KZ-Häftlinge in eine weitere unterirdische Fabrik der Welfen geschickt wurden. Auf einer Liste des KZ-Außenlagers Grein mit Arbeitern fand sie unter anderem Elektroschweißer, aber auch einen Aeromechaniker. Für die Wissenschaftlerin ein deutlicher Hinweis darauf, dass auch in Grein an der Donau Flugzeugteile produziert wurden.
Dort betrieben die FMW ihre eigene unterirdische Produktionsstätte in einem ausgebauten Sandstollen. Die Welfen-Firma ließ Tankdeckel für die Me 262 fertigen. Wieder werden Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge ausgebeutet. Wie viele es sind, ist nicht bekannt. Einer von ihnen ist der Flugzeugmechaniker Carlo Sesti, der auch schon im Werk in Wels für die FMW als Zwangsarbeiter arbeiten musste.
Der Italiener hat seine Erinnerungen vor seinem Tod zu Protokoll gegeben: "Am 26. November 1944 wurde ich nach Grein geschickt. Dort auf dem Berg waren Tunnel abgebaggert worden. Dorthin waren die Arbeitsgeräte der Fabrik geschickt worden, in der ich arbeitete. Wir blieben drei bis vier Monate dort, um den Menschen aus Mauthausen - oder ich weiß nicht aus welchem anderen Lager sonst auch - beizubringen, wie man mit solchen Geräten umgeht."
Opfer kämpfen bis heute um Anerkennung und Wiedergutmachung
Allein in den Stollen von Gusen, der ausgebauten Brauerei-Lagerstätte, wurden Tausende Menschen bei den Arbeiten für die unterirdische Rüstungsproduktion getötet. Viele Opfer des Konzentrationslagers Gusen kämpfen bis heute um Anerkennung und Wiedergutmachung. Noch immer sind nicht alle entschädigt. Auch nicht die Opfer der Welfen. "Eine Firma, die hier so massiv verstrickt ist in die Rüstungsindustrie und in die NS-Zwangsarbeit, trägt natürlich auch Mitschuld an diesen Verbrechen und Ernst August als Eigentümer und als Gesellschafter der FMW hat natürlich auch hier seinen Anteil zu tragen", betont Historikerin Sabine Loitfellner.
Was sagen die Welfen zu den Orten des Grauens?
Wissen die heutigen Welfen, was ihr Großvater in den unterirdischen Produktionsanlagen tat? Herzog Ernst August, das aktuelle Oberhaupt der Welfen, hat ein Interview mit dem NDR abgelehnt. Heinrich von Hannover hat sich jedoch vor der Kamera zur Verfügung gestellt. Der Bruder Ernst Augusts ist jedoch nicht der offizielle Sprecher der Welfen.
Zitat 1: "Gerade in der Endphase des Krieges war es so, dass man auf jeden Fall alle Mittel anwenden wollte, um die Niederlage zu verhindern", sagt Heinrich von Hannover im Interview mit dem NDR. "Da war die Moral weg und da hat man weggeguckt. Mein Großvater und mein Vater, die haben sicher diese Werke mal gesehen, aber die haben nicht gewusst, was genau da läuft. Dass da Zwangsarbeiter eingeliefert wurden, das kann sein - KZ-Mitglieder vermutlich auch. Ob sie das gewusst haben? Gehe ich mal von aus. Aber sie haben es gut geheißen. ... Ich weiß es gar nicht, ob sie es gut geheißen haben, aber ich vermute, hätte ich vielleicht auch in der damaligen Zeit, wo alles drunter und drüber ging, oder? Mein Vater war ja auch in Charkow, in der Ukraine, hatte einen Lungendurchschuss gehabt und hatte es ja miterlebt, diese ganze Schweinerei im Russland-Feldzug. Und die waren natürlich keine Nationalsozialisten, aber der Sieg, das stand oben auf." (Der Interview-Auszug als Video.)
Zitat 2: "Ich glaube schon, dass sie moralische Schuld hatten, inwieweit sie da in dem Betrieb Einblick hatten oder Entscheidungen, bin ich sicher, haben sie sicher nicht gehabt. Aber trotzdem ist das sicher, entschuldigt das sicher nichts. Mein Großvater hat sicher dort operative Geschäfte nicht getätigt und mein Vater auch nicht. Aber das entschuldigt nichts."
Die Enkel des Herzogs tragen keine persönliche Schuld. Aber sie könnten helfen, die Vergangenheit aufzuklären. Doch sie tun es nicht.
Anmerkung der Redaktion (17.11.2016): Ernst August hat das Familienarchiv 2014 für Historiker geöffnet. Ein Zwischenbericht belegt nun die Verstrickungen seiner Vorfahren in der Nazi-Zeit.