Reparaturarbeiten nach dem Dammbruch am Elbe-Seitenkanal 1976 © picture-alliance / dpa Foto: Lothar Heidtmann

Dammbruch: Als der Elbe-Seitenkanal auslief

Stand: 16.07.2021 10:15 Uhr

Nur 33 Tage nach der Eröffnung kommt es am Elbe-Seitenkanal am 18. Juli 1976 zur Katastrophe: Ein Damm bricht, Wasser schießt ins Umland. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt.

Bei der Eröffnung wird der Elbe-Seitenkanal am 15. Juni 1976 als Jahrhundertbauwerk gefeiert. 115 Kilometer zieht er sich durch die Lüneburger Heide, verbindet die Elbe mit dem Mittellandkanal. 33 Tage später ein Schock: Es ist Sonntag, der 18. Juli, als gegen 11 Uhr bei den Feuerwehren der Region Notrufe eingehen. Ein Leck im Kanal an einer schmalen Unterführung nahe des Dorfes Erbstorf bei Lüneburg. Wasser schießt aus dem höher gelegenen Trog in das Umland. Der Sog reißt immer mehr Material mit, der Kanal wird unterspült und bricht schließlich auf ganzer Breite ein. Schnell wird deutlich, dass gewaltige Überflutungen drohen. Die Feuerwehren vor Ort sind überfordert. Der Kreisdirektor löst Katastrophenalarm aus und fordert Hubschrauber an.

15 Quadratkilometer Land überschwemmt

Aus der Luft wird das Ausmaß des Unglücks deutlich. Wassermassen strömen auf die umliegenden Orte zu. Am schwersten treffen sie Erbstorf, ein Ortsteil der Gemeinde Adendorf. Keller laufen voll, Hauswände stürzen teilweise ein. Feuerwehren helfen den Bewohnern, ihre gefluteten Wohnungen zu verlassen. Noch drei Kilometer vom Kanal entfernt steht die Bahnlinie Lüneburg-Lübeck unter Wasser, nördlich von Lüneburg wird die Bundesstraße 4 unterspült. Das Wasser des Kanals breitet sich auf etwa 15 Quadratkilometern aus. Immer mehr Helfer beteiligen sich an den Rettungsarbeiten: Technisches Hilfswerk, Rotes Kreuz, Bundeswehr und Bundesgrenzschutz sind alarmiert. Ihre Aufgabe: das Wasser stoppen.

Die Flut lässt sich nicht aufhalten

Sicherheitstor am Elbe-Seitenkanal bei Erbstorf. © Axel Franz / NDR Foto: Axel Franz
Das Sicherheitstor Erbstorf nördlich der Unglücksstelle verhinderte noch größere Schäden.

Sicherheitstore, mit denen künstliche Wasserstraßen ausgerüstet sind, sollen in dieser Situation verhindern, dass der gesamte Kanal leer läuft. Am Elbe-Seitenkanal muss das Erbstorfer Tor wenige Hundert Meter nördlich der Unglücksstelle geschlossen werden. Doch bis der zuständige Mitarbeiter informiert und vor Ort ist, vergeht kostbare Zeit. Nach etwa anderthalb Stunden ist die Barriere geschlossen, aus Norden strömt kein Wasser mehr nach. Schwieriger ist es in südlicher Richtung. Das nächste Sicherheitstor bei Wieren ist gut 45 Kilometer entfernt. Bis zur Schleuse Uelzen sind es immerhin rund 40 Kilometer - dazwischen gewaltige Wassermassen. Ein Schiff, das etwa 400 Meter südlich der Unfallstelle fährt, soll quer in den Kanal gestellt werden und als Damm dienen. Doch der Versuch scheitert, Stahlseile reißen, das Schiff dreht sich wieder und läuft in Fahrtrichtung auf Grund.

Panzer fahren in den Kanal

Die beteiligte Panzerbrigade 8 der Bundeswehr aus Lüneburg schlägt nun vor, mit ihren tonnenschweren Fahrzeugen im Kanal eine Barriere zu bilden. Bergepanzer rollen über den Deich ins Wasser und stellen sich neben das Schiff. Zusätzlich verringern schwere Metallteile die Strömung in dem rund 50 Meter breiten Kanal. Helfer füllen Tausende Sandsäcke und stopfen damit weitere Lücken. Das Wasser beginnt sich zu stauen, die Aktion gelingt. 200 Meter hinter dieser provisorischen Barriere wird eilig ein fester Damm aus Steinen und Sand in den Kanal gebaut. Er stoppt schließlich auch das durchsickernde Wasser. Nach 15 Stunden, gegen 3 Uhr in der Nacht zum Montag, ist der Kanal verschlossen. Am Montagnachmittag wird der Katastrophenalarm aufgehoben.

Schäden in Millionenhöhe

Die Reparatur des Elbe-Seitenkanals dauert mehrere Wochen. Andere Unterführungen werden überprüft und teilweise verstärkt. Erst gut ein Jahr später, am 24. Juni 1977, können Schiffe die Unglücksstelle wieder passieren. Die Schäden gehen in die Millionen. Rund fünf Millionen Mark kostet die Reparatur der Bruchstelle, weitere 15 Millionen Mark Schaden richten die ausgeströmten Wassermassen an - etwa sechs Millionen Kubikmeter. Glück im Unglück: Niemand wird verletzt.

Gutachter entdecken Baumängel

Unterführung am Elbe-Seitenkanal bei Erbstorf. © Axel Franz / NDR Foto: Axel Franz
An der Unglücksstelle führt ein schmaler landwirtschaftlicher Weg durch den Kanal.

Untertunnelungen, am Elbe-Seitenkanal gibt es rund 15, gelten als kritische Punkte. Dort stoßen unterschiedliche Materialien und Bauelemente aneinander. Kanalbauer wissen, dass diese Stellen besonders sorgfältig geplant und gebaut werden müssen. Am Elbe-Seitenkanal gab es offenbar Pannen, denn Gutachter finden später eine ganze Reihe von Baufehlern. An der Unglücksstelle bei Kanalkilometer 102,709 sickerte durch undichte Fugen Wasser in die Erde um den Kanaltrog und sammelte sich in Hohlräumen. Immer größere Löcher entstanden, bis das Kanalbett aus Asphaltbeton schließlich riss.

Karte: Elbeseitenkanal

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