Lars Eidinger schreit das Publikum an. © picture alliance / Franz Neumayr / picturedesk.com | Franz Neumayr

Lars Eidinger - Filmporträt einer Rampensau

Stand: 26.03.2023 19:19 Uhr

Dokumentarfilmer Reiner Holzemer hat Lars Eidinger neun Monate mit der Kamera begleitet. Herausgekommen ist ein beeindruckend nahes Porträt: "Lars Eidinger: Sein oder nicht sein".

von Barbara Block

Er gibt alles: Lars Eidinger - Rampensau und Ausnahme-Schauspieler, preisgekrönt und polarisierend. "Das ist mir aber auch tatsächlich erst spät bewusst geworden, dass das ein Wagnis ist", sagt Eidinger über den Dokumentarfilm

Verena Altenberger (Buhlschaft) und Lars Eidinger (Jedermann) während der Fotoprobe zum Schauspiel "Jedermann" von Hugo von Hofmannsthal, © picture alliance / BARBARA GINDL / APA / picturedesk.com | BARBARA GINDL
Zwei Jahre lang spielte Lars Eidinger bei den renommierten Salzburger Festspielen den "Jedermann".

Der Film zeigt, wie Eidinger seine Figuren entwickelt. Ausgehend vom passenden Schuhwerk. "Ich könnte niemals in meinen Schuhen eine Figur wie Hamlet, Richard oder Jedermann spielen", schildert Eidinger. "Das funktioniert für mich nur über den Schuh. Ich würde sogar behaupten, wenn der Absatz ein kleines Stück kürzer ist, kann ich das schon nicht mehr spielen."

Egal ob Theater, Film oder Fernsehen: Sein Spiel ist immer mutig, exzessiv - und lebt von der Improvisation. "Ich glaube an den spielerischen Moment, ich glaube, dass alle Kreativität daher rührt", sagt Eidinger. "Ich nehme alles nur aus dem Partner und dem Gegenüber. Ich hab noch nie irgendwas, von dem was ich auf der Bühne mache, zuhause für mich so geprobt. Wenn da keiner zuguckt, weiß ich gar nicht, was ich machen soll."

"Auf der Bühne, hab ich das Gefühl, dass ich frei bin."

Lars Eidinger © Filmwelt
Eidinger präsentiert in seiner Kunst immer auch den Menschen.

Die Kamera stört Eidinger nie - im Gegenteil. Er macht keinen Hehl daraus, dass er Aufmerksamkeit braucht. "Ich konnte aus seiner Sicht eigentlich nie nah genug an Lars dran sein", sagt Holzemer. Wenn er mal nicht da gewesen sei, dann habe Eidinger das auch vermisst. "Wenn Lars probt, gibt er normalerweise vielleicht 60 Prozent, damit er dann bei der Vorstellung 100 Prozent geben kann. Aber so war er ständig unter Beobachtung, das war natürlich am Ende für ihn ein bisschen erschöpfend und ein Dauerdruck, immer gut zu performen."

In Eidingers intensiven Spiel entdeckt man gleichzeitig auch den Menschen dahinter: "Auf der Bühne, hab ich das Gefühl, dass ich frei bin. Da gibt es keine Limitierung oder Einschränkung", erklärt Eidinger. "Ich kann mich auf einer Bühne kurioserweise viel mehr fallen lassen, mich viel mehr öffnen: Ich habe das Gefühl, dass ich im Spiel mehr ich selbst bin als im Alltag - was ein Paradox ist." 

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Lars Eidinger: Süchtig nach Aufmerksamkeit

Lars Eidinger geht im Spiel an seine Grenzen, ist verwundbar. Unaufmerksamkeit kränkt ihn dann zutiefst. Eine Szene des Films zeigt Eidinger bei der Probe - als der Regisseur einen Moment abgelenkt ist, unterbricht Eidinger sein Spiel.

Eidinger: "Was ist das für ein Glockenläuten? Mich dünkt, es... "Was macht ihr denn jetzt? Das ist ein komischer Moment. Was macht ihr da?"
Regisseur: "Wie meinst du?"
Eidinger: "Warum gehst du jetzt rüber und redest mit ihr?"
Regisseur: "Ich mache das die ganze Zeit, ich mache Notizen." Szene aus dem Film "Lars Eidinger - Sein oder nicht sein"

 "Das ist für mich eine der stärksten Szenen", schildert Holzemer. "Man sieht mit welchem emotionalen Ballast der Körper da unter Spannung steht und wie er so langsam nach Fassung ringt - aus einer anderen Welt zurückkommt."

"Sein oder nicht sein": Großartiger Film über einen außergewöhnlichen Schauspieler

Lars Eidinger als DJ © picture alliance / Franz Neumayr / picturedesk.com | Franz Neumayr
Zur Festspieleröffnung der Salzburger Festspiele legte Lars Eidinger im Karl Böhm Saal des Festspielhaus selbst auf.

Eidinger lässt sich nicht in Schubladen stecken: Er ist nicht nur Schauspieler, sondern auch DJ, Fotograf und Designer. Als er mit der selbst entworfenen Luxusversion einer Alditüte posiert, erntet er einen Shitstorm, fühlt sich missverstanden. Der Hass setzt ihm schwer zu. "Ich werde nicht so richtig fertig mit der Situation, dass man oft mit einem Bild von sich konfrontiert ist, dem man nicht entspricht", sagt Eidinger. "Daher kommt der Begriff Image, es beschreibt eigentlich die Sicht von jemanden auf mich. Die kann ich nicht korrigieren, da hab ich gar keinen Einfluss drauf. Ich kann nur versuchen, mir selbst gegenüber ehrlich zu sein."

Mal wild, mal zart: Ein bisschen extrem ist Eidingers Spiel oft schon - etwa als Hamlet mit Tourette-Syndrom. "Darin sehe ich eigentlich meine Hauptaufgabe als Künstler, dass ich mich sozusagen als Projektionsfläche zur Verfügung stelle", sagt Eidinger. "Dass die Leute letztendlich nicht wegen mir ins Theater gehen, sondern am Ende gehen sie wegen sich selbst rein und sie wollen sich selbst begegnen." "Lars Eidinger - Sein oder nicht Sein" ist ein großartiger Dokumentarfilm über einen außergewöhnlichen Schauspieler.

Lars Eidinger - Sein oder nicht sein

Genre:
Doku
Regie:
Reiner Holzemer
Länge:
92min
FSK:
6
Kinostart:
23. März 2023

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NDR Kultur - Das Journal | 20.03.2023 | 06:00 Uhr

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Theater

Dokumentarfilm

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