"Ein Tag ohne Frauen": Zeitzeugin über Islands soziale Revolution
Hrafnhildur Gunnarsdóttir war beim historischen Frauenstreik von 1975 in Island dabei und hat mit US-Regisseurin Pamela Hogan den kurzweiligen Kinodokumentarfilm über diesen Tag gemacht. Er startet am 13. März im Kino. Ein Gespräch.
Der achte März gilt als Tag der Frauen. Auf Island markiert aber vor allem der 24. Oktober 1975 eine Zäsur in der Geschichte Islands. Damals haben mehr als 90 Prozent der weiblichen Bevölkerung gestreikt - und einen Tag lang ihre Arbeit niedergelegt. Das galt für Erwerbsarbeit genauso, wie für Hausfrauen. So mussten sich damals die Ehemänner und Kollegen um Kinder, Jobs, Pflege und alles kümmern. Mit dem Streik wollten die Frauen beweisen, wie sehr die Nation von der weiblichen Hälfte der Bevölkerung abhängig ist. Das Ziel war: Gleichbehandlung.
Die isländische Dokumentarfilmerin Hrafnhildur Gunnarsdóttir hat den Tag damals selbst erlebt - und erzählt im Interview mit NDR Kultur von ihren Erinnerungen und der mühsame Suche nach historischem Material für diese Doku "Ein Tag ohne Frauen". Die Autorin und Produzentin hat im November 2024 ihren Film bei den Nordischen Filmtagen in Lübeck vorgestellt - also lange vor der Machtübernahme Donald Trumps im Weißen Haus Anfang des Jahres. In Lübeck wurde die Produktion als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet.
Frau Gunnarsdóttir: Warum kommt dieser Film jetzt heraus - 50 Jahre nach dem historischen Tag in Island?

Hrafnhildur Gunnarsdóttir: Der Grund, warum wir den Film jetzt 2025 herausbringen ist wegen der US-Filmemacherin Pamela Hogan. Sie rief mich an und sagte: "Ich würde gern einen Film über den Tag machen, an dem die Frauen in Island einen Tag frei hatten". Ich hatte als Dokumentarfilmerin schon mehrere Beiträge produziert, die sich mit den Frauenparteien auf Island beschäftigen. Ich hatte auch schon kurze Beiträge fürs Fernsehen gemacht, die sich mit dem historischen Tag der Frauen in Island beschäftigten. Pamela fragte: "Habt ihr denn schon einen Dokumentarfilm über den Tag 1975 gedreht?" Ich sagte, "nein".
Sie müssen verstehen: Dieser Tag ist so fest verankert in unserem kollektiven Gedächtnis, dass wir dachten, "diesen Tag von 1975 kennen doch alle!" Doch dann kommt eben die amerikanische Produzentin als Außenstehende und gibt den Impuls: "Ich will diesen Dokumentarfilm im Kino sehen!" Das war auch gut so, denn für einige Beteiligte von damals war es die letzte Chance, im Film vorzukommen. Einige Zeitzeuginnen sind bereits verstorben. Daher habe ich gesagt, das ist der richtige Moment, um die Doku zu machen, um das Historische daran festzuhalten. Wenn wir nicht wissen, woher wir kommen, kann alles in Vergessenheit geraten.
Amüsant ist es zu sehen, wie die Aktivistinnen andere von der Sache überzeugt waren, dass möglichst alle islandischen Frauen streiken sollten. Sie hatten die Idee, auch die konservativen Frauen mitzunehmen: Statt es als Streik zu verkaufen, haben Sie denen gesagt, sie hätten einen "freien Tag" - so klappte es. Wer hat das damals alles gefilmt?
Gunnarsdóttir: Die Männer haben gefilmt. Und das nationale Fernsehen hat gefilmt. Außerdem haben andere Sender aus dem Ausland Einiges mitgefilmt, darunter SVT aus Schweden, es gibt einige wenige Aufnahmen aus den USA. Das meiste Material von 1975 ist aber zerstört und verloren gegangen. Das musste ich leider herausfinden. Zum Beispiel hat das Filmteam unseres Nationalsenders damals sein Material weggeschmissen, wir konnten nur noch 15 Minuten von dem Tag wiederfinden.
Warum ist das Material verschwunden?
Gunnarsdóttir: Wahrscheinlich, weil es noch auf Film gedreht wurde, auf 16 Millimetern. Ich vermute, sie haben nicht wirklich gewusst, dass sie einen einzigartigen historischen Moment festhalten.
Wer genau ist die Zielgruppe des kurzweiligen und humorvollen Filmes, der nur 71 Minuten dauert?
Gunnarsdóttir: Im Herbst lief er mit großen Erfolg in Island, wir waren auf vielen Festivals und drei Länder haben sich sofort die Rechte für die Doku gesichert. Japan, Spanien und Polen. Ich glaube, Spanien und Polen haben unseren besonderen Tag als Inspiration genutzt, um etwas Ähnliches in ihrem Land zu organisieren. Ich würde gern einen Frauenstreik in allen Ländern organisieren (lacht).
Ein Teil des Archivmaterials zeigt eine Aktion, die halb Island schockierte: Sie haben eine Hausfrauen-Puppe an einen Tannenbaum genagelt. Darüber gab es wütende Reaktionen …
Gunnarsdóttir: Ja, viele Leute haben sich sehr aufgeregt, besonders die Männer. Die Frauen haben den Witz an der Sache verstanden. Ich erinnere mich gut an unsere eigenen Weihnachtsvorbereitungen. Alles musste sauber sein. Alle mussten neue Kleidung tragen, meine Mutter hat ständig gebacken, gekocht. Als es dann endlich Weihnachten war, waren die Frauen am Ende ihrer Kräfte. Die Aktion eine Hausfrau als Puppe am Weihnachtsbaum zu kreuzigen, war befreiend. Eine tolle Idee. Ich glaube, es ist eine gute Sache, dass man Proteste mit Humor verknüpft. Wenn man die Faust ausfährt, gibt es gleich Gegenwehr. Mit Humor kommt die Kritik unterm Radar besser an.
Woran erinnern Sie sich noch von diesem historischen 25. Oktober 1975?
Gunnarsdóttir: Ich erinnere mich, ich stand damals auf dem großen Platz, ich war elf Jahre alt. Das war ein unglaubliches Gefühl. Damals haben vielleicht 80.000 oder 90.000 Menschen in Reykjavik gewohnt. Es war so voll mit Menschen und man hat wirklich gespürt, dass etwas Besonderes passiert. Ich dachte: Jetzt wird sich alles ändern.
Aus heutiger Sicht weiß ich rückblickend, dieser Tag hat mir eine Plattform gegeben, auf der ich stehen kann. Fast meine ganze Arbeit kommt aus diesem Gefühl der Ermächtigung, den ich an dem Tag gespürt habe. Es war eine unglaubliche soziale Revolution. Ich kann mich an kein anderes Ereignis erinnern, das solche bedeutenden Folgen hatte - für so einen großen Teil der Bevölkerung Islands.
Seit Jahren treffen sich viele Frauen in Island an diesem Oktobertag und demonstrieren. Warum ist der Tag nicht ein isländischer Feiertag?
Gunnarsdóttir: Genau das ist die Sache - bei Feiertagen werden die Menschen gemütlich. Man muss den Kampf aber am Leben erhalten, den Funken wachhalten. Das erzählen mir jedenfalls die Organisatorinnen der Veranstaltung.
1980 wurde Vigdís Finnbogadóttir die erste Präsidentin Islands. Sie erzählt in Ihrem Film aus heutiger Sicht von der damaligen Zeit. War dieser Wahlsieg der erste sichtbare Erfolg von 1975?
Gunnarsdóttir: Ja, das war meines Erachtens eine direkte Folge des Streiks von 1975. Sie hat mit nur kleinem Vorsprung gewonnen, aber die Leute waren erstmals bereit, für eine Frau zu stimmen. 1982 folgte die erste rein aus Frauen zusammengesetzte Partei. Diese hat die anderen Parteien beeinflusst, mehr Frauen aufzunehmen.
Heute besteht unser Parlament zu 48 Prozent aus Politikerinnen. Frauen haben einen anderen Blick und anderen Themen, als Männer. Es ist also wichtig, dass wir an der Macht teilhaben. Unser Polizeioberhaupt ist auch eine Frau. Das haben wir gut gemacht. An anderen Themen wie Frauen im Vorständen von Großunternehmen müssen wir noch arbeiten. Der Kampf geht weiter.
Die Musik im Abspann ist von Islands wohl international bekanntester Künstlerin - von Björk. Wie kam es dazu?
Gunnarsdóttir: Als ich Pamelas Anruf erhielt, war das erste, was sie sagte: "Ich will diesen Film mit dir machen und Björk soll Musik zum Film komponieren." Ich habe gelacht. Ich kenne Björk nämlich, wir sind zur selben Schule gegangen. Wir leben in der selben Straße. Aber sie ist sehr berühmt und schwer zu erreichen. Ich habe Pamela gesagt, "also zum Komponieren bringe ich sie bestimmt nicht, aber lass mich mal sehen, ob ich etwas bewirken kann."
Also habe ich einerseits Björks Lieblingsstudioingenieur engagiert, er diente bei unserer Doku als Soundingenieur. Und dann habe ich sie über private Kanäle erreicht - und sie hat uns einen Song gegeben. Es ist das erste Mal in 25 Jahren, dass Björk einem Film einen Song gegeben hat. Übrigens: Es gibt eine Aufnahme im Film auf der sie zu sehen ist. Sie steht auf der Bühne, weil sie an dem Tag Flöte für eine Marsch-Kapelle gespielt hat. Sie ist ein Jahr jünger als ich, war damals also wahrscheinlich zehn Jahre alt.
Das Gespräch führte und übertrug aus dem Englischen Patricia Batlle. "Ein Tag ohne Frauen" kommt am 13. März ins Kino. In Hamburg läuft er als Preview am 8. März in den Kinos Zeise und Alabama, *in Lübeck ebenfalls am 8. März im Kommunalen Kino, dann regulär ab dem 13. Märze. Im Kieler Kommunalen Kino wird er vom 14.-17. März gezeigt. In Rostock läuft er am 16. und 23. März im Lichtspieltheater Wundervoll.
