Wie klingt der Vatikan? Volker Bertelmann über Filmmusik für "Konklave"
Vier Filme haben der Regisseur Edward Berger und Volker Bertelmann gemeinsam gemacht. Der Musiker erzählt, wie die beiden zusammenarbeiten, wie eine Papstwahl klingt und welches seltene Instrument für das Leitmotiv beim neuen Thriller "Konklave" dient.
Regisseur und Produzent Edward Berger und Komponist Volker Bertelmann - vielen bekannt als Musiker Hauschka - haben bislang viermal fürs Kino zusammengearbeitet. Für ihren Thriller "Im Westen nichts Neues“ gab es sieben britische Bafta-Filmpreise und vier Oscars - einen davon für Bertelmann. Noch nie gab es in Hollywood so viele Auszeichnungen für einen deutschen Film. Mit dem gerade im Kino anlaufenden Thriller "Konklave“ steuern die beiden wieder auf die Oscar-Rampe zu.
Der Musiker macht jedoch nicht nur Filmmusik, er komponiert für Podcasts, für deutsche Fernsehfilme wie "Sörensen hat Angst" und tourt mit seinen Alben als Hauschka. Ein Gespräch über die preisgekrönte Zusammenarbeit mit dem Wolfsburger Regisseur Edward Berger, darüber, welches seltene Instrument die musikalische Seele dieses Films "Konklave" bildet und wie wichtig ihm die norddeutsche Filmreihe um Kommissar Sörensen ist.
Sie sind seit wie vielen Jahren Mitglied der Oscar-Akademie …
Volker Bertelmann: … schon lange, jetzt schon sieben Jahre …
… seit Ihrer Oscar-Nominierung für die Filmmusik zum Drama "Lion". Und sie haben einen Bafta und den Oscar für die beste Filmmusik von "Im Westen nichts Neues" erhalten. Müssen Sie überhaupt noch arbeiten?
Bertelmann: Selbst, wenn ich nicht mehr arbeiten müsste, würde ich weiterhin viel arbeiten. Weil es mir Spaß macht. In der heutigen Zeit muss man gucken, dass man einfach weitermacht. Es kann auch Jahre geben, wo es plötzlich nicht mehr weitergeht. Da ist ein Oscar oder eine Auszeichnung natürlich hilfreich. Aber sie rettet einen nicht vorm Nicht-Arbeiten. Ich bin immer ein Freund von: 'Mach weiter, so wie vorher auch'. Ich möchte mir nicht nur noch die Dinge aussuchen, von denen man meint, die seien die Leuchttürme. Sondern auch deutsche Filme aussuchen: kleine Projekte, die mich interessieren. Podcasts mache ich sehr gerne, wenn die Themen haben, die mich interessieren.
Sie haben einen Podcast für die "New York Times" musikalisch bereichert und einen deutschen über Immobilien: "Teurer Wohnen". Das verblüfft zunächst, dass ein vielleicht kostspieliger Oscar-Kandidat fürs Komponieren von Podcastmusik engagiert wird.
Bertelmann: Podcasts haben eine wahnsinnige Renaissance. Oder nicht eine Renaissance, aber die Art des Formats scheint sehr wichtig zu sein. Das macht mir Spaß, weil es eine längere Möglichkeit ist, Dinge zu besprechen. In einer Interviewsituationen muss man Dinge auf zwei Minuten und kurze knappe Sätze zuspitzen. Das ist im Podcast schon toller. Dafür werden auch immer mehr Budgets zur Verfügung gestellt, um so etwas vernünftig zu machen. Ich habe zum Beispiel eine Musik über die Flut im Ahrtal im Podcast gemacht, der heißt "Die Flut". Da gab es viele Reaktionen auf die Musik. Daran merkt man, sie hilft auch, die Informationen und die Berichte emotional zu präsentieren.
Sie stammen aus einer großen Familie im Rheinland, die religiös aufgewachsen ist und haben das Klavier und die Musik etwa von Chopin im Zusammenhang von Kirche entdeckt. War nun das Komponieren des Soundtracks, in dem es um eine Papstwahl geht, so etwas, wie ein Kreis, der sich schließt?
Bertelmann: Nein, es hätte auch etwas anderes sein können. Es ist nicht der Fall, dass ich mir Filme aufgrund meines Lebens aussuche. Wenn ich ein Drehbuch lese und merke, es gibt Bestandteile in meinem Leben, die da resonieren, fällt es mir einfacher, mich mit Dingen zu beschäftigen, zum Beispiel mit religiösen Fragen. Insofern spiegelt sich das schon in der Geschichte von "Konklave" wider.
Wie war die Vorgabe von Edward Berger für diese Musik?
Bertelmann: "Konklave" ist inzwischen schon das fünfte gemeinsame Projekt von Edward und mir. Aber das macht die Zusammenarbeit mit ihm auch so toll, weil es sich jedes Mal wie etwas ganz Neues anfühlt Das ist nicht immer so. Edward und ich sind beide nicht immer zufrieden - wir sind Menschen, die versuchen, das Beste herauszuholen. Das bedeutet auch, man muss ein bisschen tiefer schürfen.
Bei "Konklave“ war es weitaus schwieriger als bei "Im Westen nichts Neues": Bei "Konklave" war diese Vielschichtigkeit und die Sensibilität für die einzelnen Angelegenheiten, die man mit der Musik ausdrücken wollte, anders gelagert. Man musste viel mehr überlegen, wie viel Power will ich in den Film reindrücken? Wie extrem soll die Musik sein? Wenn man das Buch liest und die Geschichte, kann man sich im ersten Moment Musik für einen Hollywoodfilm wie für "JFK" vorstellen. Ich hatte das Gefühl, wir brauchen etwas Spirituelles, was vielleicht wie ein Leitmotiv ist, was sich durch den Film als Reflektion einer ideellen Vorstellung von Religion zieht, was auch die Räume betrifft, die hohen Wände, die Geschichte der Räume im Vatikan. Wenn man in eine Kirche geht, macht das irgendwas mit einem. Zumindest bei mir.
Ralph Fiennes als Kardinal Lawrence liest man die Verzweiflung, die Liebe, den Glauben, die Last der Verantwortung und der Wahrheit - im Gesicht ab. Wie klingt dieser Zweifel? Das wirkt zum Teil ätherisch …
Bertelmann: So ein Suchprozess hat viel damit zu tun, dass man erstmal sagt, 'was gibt es für Instrumente? Was sind absurde Instrumente?' Das kann auch sein, dass man mit einem Karton Musik machen kann. Oder man bläst in einen Gegenstand rein und sagt, das könnte der Sound sein, den ich brauche, den kann ich sogar stimmen. Wir haben auch schon mal mit Klimaanlagengeräuschen oder Ventilatoren gearbeitet.
Ich habe etwas gesucht, das ein bisschen wie eine Orgel funktioniert, was wie ein ätherisches, spirituelles, religiöses Instrument ist, was nicht verstörend klingt, aber so brüchig, verstimmt ist. Auch ein bisschen "otherworldly", aus einer anderen Welt ist. Ich habe ein Instrument gefunden, was 1952 in Frankreich gebaut wurde, das nennt sich das Cristal Baschet, eine Art Glasinstrument. Manspielt es vom Prinzip her wie das Weinglas mit Wasser, wo man die Kreise über den Glasrand zieht. Hier sind es aber Stäbe und man muss die Hände befeuchten, die Fingerkuppen, dann reibt man über die Stäbe. Man kann Akkorde damit spielen. Das erzeugt dann so ein etwas verzerrten, fast schon Synthesizer-artigen Sound.
Beim Cristal Baschet war es so, dass ich das Gefühl hatte, das ist genau das, was ich eigentlich suche. Es hat eine Tiefe, es hat aber auch etwas Haptisches und man kann es zart spielen, es kann aber umkippen in etwas, was wie eine Grunderschütterung, wie ein Erdbeben ist.
Als ich Edward Berger die ersten Themen vorgestellt habe, hat er gesagt, dass diese Teile super sind, weil wir die immer als "Schatten" nehmen, wenn Ralph Fiennes irgendwo sitzt und sich Gedanken macht oder betet. Dafür hatten wir erst ein ganzes Musikstück und haben dann gemerkt, das braucht nur dieses Leitmotiv, das kann immer durchschimmern. Dadurch schafft man immer so eine Art von "in ihm arbeitet gerade die Religiösität, er arbeitet sich gerade an etwas ab". Da schafft die Musik einen Hinweis, aber auch eine Verbindung zu anderen Szenen.
Sie arbeiten als Musiker oft mit einem so genannten präparierten Klavier, an dem Sie bestimmte Teile angefügt oder abgeklebt haben. Wo haben Sie das hier verwendet?
Bertelmann: Das habe ich hier auch gemacht. Ich habe das da benutzt - das gibt immer so Schläge, so (ahmt den Sound nach) "bom, krrr, jjjjuiid". Diese Geräusche sind wie gerutschte Seiten. Wenn das Pedal am Flügel runtergedrückt wird und man kratzt mit den Händen über die Seiten - aber sehr schnell, so "sssst" - dann klingt das im ersten Moment wie Krach. Aber im Zusammenhang eines Arrangements klingt das wie ein wuchtiges Kratzgeräusch. Etwas, das ein bisschen wie eine Explosion ist. Genauso wie Klopfen auf dem Rahmen - oder man hält die Seiten gedämpft und spielt tiefe Basstöne. Beim Flügel gibt es sehr lange Saiten. Die haben eine unglaubliche Wucht. Das kombiniert mit Cello-Tönen, wo an den Saiten gerissen wird, erzeugt Momente, wo man merkt, es gibt Eruptionen in dem Film. Diese Schläge schaffen diese Eruptionen.
Das große Orchester haben Sie hier auch eingesetzt. Für wen oder was steht es in "Konklave"?
Bertelmann: Das richtig große Orchester habe ich erst ganz am Ende eingesetzt, bei den Endcredits, wo der Film eigentlich schon vorbei ist. Die Idee war: In dem Moment, wo Veränderung stattfindet und die Fenster aufgehen, dass dann auf einmal der Sommer anbricht. Da war die Entscheidung, da das größte Ensemble einzusetzen. Alle anderen Stücke, alle anderen Instrumentierungen sind teilweise mit Orchester, aber eher in einem kleineren, kammermusikalischen Kontext. Manchmal haben wir das gedoppelt, zum Beispiel bei Szenen mit schönen, imposanten Filmeinstellungen. Das Schöne ist: Man ist nach solchen Szenen wieder bereit, sich mit internen Konflikten auseinanderzusetzen, wenn man mal zwischendurch eine Pause hat.
Figuren in Ihren Filmen haben oft Leitmotive. Welches Leitmotiv würde ein Edward Berger haben?
Bertelmann: Das ist schwierig, weil er jemand ist, der sehr viele Qualitäten hat. Eigentlich drücken die Musiken, die ich für seine Filme mache, also für "Im Westen nichts Neues" und auch für "Konklave", sehr viel von Edward als Sound aus. Weil sie sehr präzise sind. Das ist eine große Qualität von ihm. Er ist jemand, der für sich sehr präzise und klar die Dinge auflistet. Im Endresultat merkt man: Da hat alles seinen Platz und ist sinnvoll. Das ist eine schwierige, aber sehr tolle Leistung.
Werden Sie weiter für die Filmreihe um Kommissar Sörensen, gespielt von Bjarne Mädel komponieren? Für die ersten zwei Fernsehfilme haben Sie bereits den Soundtrack komponiert.
Bertelmann: Auf jeden Fall! Sörensen hat bei mir erste Priorität.
Das Gespräch führte Patricia Batlle, NDR Kultur.