Roman "Abgrund": Skandalöse Geschichte im Stil von "Downton Abbey"
Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs soll der britische Premierminister H.H. Asquith eine Affäre mit einer Frau gehabt haben - der er dann auch noch Staatsgeheimnisse verraten hat. Robert Harris hat die Geschichte in seinem Roman "Abgrund" verarbeitet und ausgeschmückt.
Die Briefe sind spektakulär. Krieg und Liebe innerhalb weniger Sätze:
Ich komme gerade vom Kriegsrat zurück. (…) Ziemlich interessant, weil es einem vor Augen führt, welches die ersten Schritte in einem echten Krieg sind. Du denkst morgen an mich, versprochen? (…) Die Post wird gerade geholt - obwohl ich Dir noch so viel zu erzählen habe. In Liebe, für immer. Leseprobe
Das schreibt der britische Premierminister H.H. Asquith, 1914. Aber nicht an seine Frau, sondern an Venetia Stanley, unverheiratete Tochter aus gutem Hause, 27 Jahre alt - er 62. Autor Robert Harris hat sich diese Briefe nicht ausgedacht, sie sind erhalten. 560 schrieb Asquith an Venetia. Ihre Antworten hat er verbrannt, für den Roman hat Robert Harris sich ihre Worte ausgedacht.
Asquith zeigt Venetia auch streng geheime Dokumente, die die Kriegstaktik der Briten und der Alliierten erklären. Einige wirft er achtlos aus dem Autofenster. Ein paar Papierfetzen landen schließlich bei einem Inlandsgeheimdienst. Nachwuchsagent Paul Deemer soll der heiklen Sache nachgehen.
"Wir müssen sicherstellen, dass das nicht unter den Teppich gekehrt wird, nur weil das irgendwelchen Volksvertretern oder Beamten peinlich sein könnte. (…) Also, worauf warten sie noch? An die Arbeit!" Leseprobe
Spannend, unterhaltsam und amüsant
Agent Deemer hat es nicht wirklich gegeben. Die Affäre wurde der breiten Öffentlichkeit erst bekannt, als Venetias Tochter Asquiths Briefe im Nachlass ihrer Mutter fand. Im Roman entwickelt sich eine Art Beziehungsdreieck. Agent Deemer verfolgt eine Spur, die zu Venetia führt. Venetia fühlt sich zunehmend überfordert vom Premier. Und dem droht ein gigantischer Skandal. Robert Harris erzählt das als Thriller, spannend, aber vor allem unterhaltsam, mitunter amüsant.
"Ich wollte einen Roman über einen Premierminister schreiben. Was das bedeutet, mit den ganzen Themen, die über ihre Schreibtische wandern. Die Entscheidungen, die getroffen werden müssen. Und ich wollte eine starke weibliche Figur. Ich merkte dann, ich könnte ja einfach über diese beiden schreiben", sagte Robert Harris kürzlich bei einem Literaturfestival in England.
Robert Harris spitzt die wahre Geschichte wunderbar zu
Über 500 Seiten ist die deutsche Übersetzung dick, aber es fühlt sich zu keiner Sekunde so an. Die wahre Geschichte dahinter ist unglaublich, und Harris arbeitet mit starken Figuren. Neben dem liebestollen Asquith kommt zum Beispiel auch Winston Churchill vor, der den Krieg vorantreibt. Das Buch ist weniger Geschichtsschinken, eher "Downton Abbey". Als Venetia schließlich einen anderen Mann heiratet, ist Asquith am Boden zerstört.
"Es ist einfach zu grausam. Keine Hölle kann so schlimm sein", schreibt er über Venetia, während Zehntausende britische Soldaten sterben. 1916 verliert er sein Amt, bleibt aber noch lange Anführer der britischen Liberalen. Venetia Stanleys Ehe ist unglücklich, sie hat Affären und verwitwet. 1928 bekommt sie Besuch von einem todkranken Mann, der kurz darauf stirbt. Es ist der ehemalige Premier H.H. Asquith.
"Abgrund" erzählt eine wahre Geschichte, die Robert Harris wunderbar zugespitzt aufgeschrieben hat.
Abgrund
- Seitenzahl:
- 512 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Aus dem Englischen von Wolfgang Müller
- Verlag:
- Heyne
- Bestellnummer:
- 978-3-453-27372-6
- Preis:
- 25 €