Neues Lichtspielhaus Méliès: "Das schönste Kino in Göttingen"
Es hat in der Pandemie in einer alten Kirche neu eröffnet, viele Fans und ist bereits für sein Programm prämiert worden: das Göttinger Kino Méliès. Eine Begegnung mit seiner Leiterin Telke Reeck.
Bereits als Schülerin hat die gebürtige Staderin Telke Reeck an der Kinokasse gesessen. Ihr Traum aber war: Filmvorführerin. Doch was heute selbstverständlich scheint, war es damals nicht: "Die Vorführkabine war eine reine Männerwelt“, so die heute 52-Jährige. "Da hing an jeder Wand ein Pin-up, an jedem Schrank war eine nackte Frau zu sehen."
Doch Telke Reeck blieb hartnäckig und zeigte, dass sie auch als Frau was von Technik versteht und schwere Filmrollen tragen kann. Mittlerweile leitet sie zwei Programmkinos: das Lumière und das Méliès. Beide tragen Namen französischer Filmpioniere; doch nur das Méliès erinnert an eine Kirche.
Wie in einem kleinen Varieté-Theater
Und das nicht nur von außen. Die hohe Kuppel, Decke, Balken und Balkone aus Holz – der alte Kirchensaal ist auch im Innern noch zu spüren. Doch wo einst das Taufbecken der Baptisten stand, hängt heute die Leinwand. Und anstatt harter Bänke gibt es jetzt gemütliche Sitze, 106 an der Zahl und wie der große Vorhang aus leuchtend rotem Samt. "Das ist schon ein kuscheliger Raum," erklärt Telke Reeck. Sie schätzt die intime Atmosphäre, den Theatereindruck, eben nicht typisch Kino. Es ist ein Ort zum Wohlfühlen. Und das ist erstaunlich: Denn eigentlich gibt es keinen ungeeigneteren Raum für ein Kino als eine Kirche.
Von der Bruchbude zum Kino
"Als ich das das erste Mal gesehen habe, war hier ein großer Haufen Schutt - alles verrottet", erinnert sich die Cineastin. 2018 hatte sie die Göttinger Film- und Kinoinitiative und mit diesem Verein auch das einzige, noch existierende Programmkino in Göttingen übernommen: das Lumière.
Das läuft bis heute unter ihrer Ägide. Aber ein zweites sollte her. Daher übernahmen sie das heruntergekommene Gebäude an der Bürgerstraße 13. Das hatten die Göttinger Filmkunstfreunde bereits der Stadt abgerungen; sie hatten auch einen Investor gefunden.
Mit ihm begann der Umbau. "Der Kirchenraum ist etwas für Halleluja-Singen, preiset Gott. Man braucht einen Hall, einen kräftigen Ton,“ erklärt Reeck. Deshalb war es auch eine besondere Herausforderung, so zu dämmen, dass ein guter, trockener Kino-Ton entsteht. Die Holzdecke wurde per Hand abgeschliffen; die Balustrade mit rotem Samt überzogen. Für den Rest sorgte die moderne Technik.
Das schönste Kino in Göttingen
Das Ergebnis überzeugt: Das Publikum lobt den besonderen Charme des Kinos, es sei das schönste in ganz Göttingen. Doch nicht nur die besondere Atmosphäre kommt an, auch das Bistro "Cichon“ und vor allem die Filmauswahl. Das Méliès versteht sich als Arthouse-Kino. Ob Spielfilm, Kurzfilm oder Künstlerporträt - hier laufen vor allem Filme, die nicht in großen Studios produziert werden. "Wir arbeiten auch viel mit Schulen, Theatern oder der Universität zusammen,“ fügt die Chefin hinzu. Daher sind im Méliès häufig auch Filme von nicht so erfahrenen Filmschaffenden zu sehen. Das kommt an: Denn für ein herausragendes Jahresprogramm zeichnete die Staatsministerin für Kultur und Medien das Kino nun mit 10.000 Euro aus.
Das Méliès ist auch zwischen den Jahren geöffnet. Viele Filme laufen hier übrigens auch im Original. Etwa das aktuelle Porträt "Emily" der britischen Schriftstellerin Emily Brontë, Maria Schraders Film über den Weinstein-Skandal "She Said" und ab Januar die irische Tragikomödie "The Banshees of Inisherin" von Martin McDonagh mit Brendan Gleeson und Colin Farrell über eine zerbrechende Freundschaft.