Der Schauspieler Tobias Schormann als Ismene, die Schwester von Antigone auf einer Bühne. © Oldenburgisches Staatstheater Foto: Stephan Walzl
Der Schauspieler Tobias Schormann als Ismene, die Schwester von Antigone auf einer Bühne. © Oldenburgisches Staatstheater Foto: Stephan Walzl
Der Schauspieler Tobias Schormann als Ismene, die Schwester von Antigone auf einer Bühne. © Oldenburgisches Staatstheater Foto: Stephan Walzl
AUDIO: "Antigone/Schwester von": Mutiger Doppelabend mit Perspektivwechsel (4 Min)

"Antigone/Schwester von": Mutiger Doppelabend mit Perspektivwechsel

Stand: 21.09.2024 06:00 Uhr

Das Oldenburgische Staatstheater kombiniert in einem Doppelabend die Stücke "Antigone" mit "Schwester von" aus der Sicht von Antigones Schwester Ismene. Am Sonnabend feiert die Inszenierung der neuen Hausregisserin Ebru Tartıcı Borchers ihre Premiere.

von Helgard Füchsel

Die grauen, leeren Treppen auf der Bühne im Kleinen Haus des Oldenburgischen Staatstheaters erinnern an antike Tempel. Im kalten Licht fleht Antigone das Volk, in diesem Fall das Publikum, an.

Welches göttliche Gebot habe ich denn gebrochen? Zu welchem Gott kann ich Unglückliche noch aufschauen? Wen kann ich noch um Hilfe anflehen? Alles, was ich tat, war, den heiligen Gesetzen fromm zu dienen. Und jetzt nennt man mich eine Verbrecherin. Bühnenzitat: "Antigone"

Antigone soll lebendig begraben werden, weil sie versucht hat, ihren toten Bruder Polyneikes zu bestatten. Damit hat sie den Befehl des Königs, ihres Onkels Kreon, missachtet. Es steht das ethische Gebot gegen das Gesetz des Staates. An den extremen Positionen geht die ganze Familie zugrunde. Ein heute hochaktuelles Stück, sagt die Regisseurin Ebru Tartıcı Borchers. "Es macht mich traurig, dass Antigone heute noch so aktuell bleibt, weil es auch für mich wieder erzählt, wie wenig wir überhaupt voran gekommen sind was die Schritte der Demokratiearbeit angeht."

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Perspektivwechsel von Antigone zur Schwester Ismene

Auf "Antigone" von Sophokles in der Fassung von Roland Schimmelpfennig folgt direkt der Monolog "Schwester von" der niederländischen Autorin Lot Vekemans. Antigones Schwester Ismene erzählt darin ihre Sicht auf das Drama. Der Perspektivwechsel sei besonders spannend, sagt Tartıcı Borchers. "Dass die beiden einfach zwei ganz nachvollziehbare, logische Ansatzpunkte haben, was diese Entscheidung angeht. Und dass man die beiden in ihrer eigenen Menschlichkeit in ihren eigenen Schwächen und Stärken sehen kann."

Die Schwestern könnten kaum unterschiedlicher sein: Antigone, die Entschlossene, Handelnde. Ismene steht in ihrem Schatten. Eine Bedenkenträgerin, die versucht zu schlichten, es aber nicht schafft - gespielt von einem Mann: Tobias Schormann.

Ich liebte Polyneikes. Ich liebte Polyneikes über alles. Als er die Stadt verließ, um sich gegen seinen Bruder zu rüsten, habe ich tagelang geweint. Bühnenzitat: "Schwester von"

Rollen unabhängig vom Geschlecht besetzt

Viele Schauspielerinnen und Schauspieler in ähnlichen Gewändern und mit geflochtenen Zöpfen sitzen und liegen auf einer Bühne. © Oldenburgisches Staatstheater Foto: Stephan Walzl
Im Stück "Antigone" tragen alle Darstellenden ähnliche Gewänder und Frisuren mit geflochtenen Zöpfen - egal ob König, Antigone oder Ismene.

"Es ist bei uns in der gesamten Besetzung der Fall, dass wir die Figuren nicht durch die Geschlechter besetzt haben", erklärt die Regisseurin. Bei der Auswahl der Spielenden sei sie nicht nach dem Geschlecht gegangen, sondern danach, welche Persönlichkeit zu welcher Rolle passe.

Das Spiel mit den Geschlechtern kann verwirren, ist aber auch eine spannende Form der Abstraktion. Die neue Hausregisseurin des Oldenburgischen Staatstheaters geht bewusst Risiken ein. Mit Erfolg: Sie wurde bereits für ihre Inszenierung von "Amsterdam" gefeiert und für den Faust-Theaterpreis nominiert. "Ich mag es auch als Zuschauerin, wenn ich mir Stücke anschaue, wo ich das Gefühl habe, einige werden sagen: 'Das ist megageil, das will ich mir noch einmal anschauen!' Und einige werden sagen: 'totale Katastrophe. Ich verstehe gar nichts'", betont sie.

Als Hausregisseurin ganze Spielzeiten gestalten

Ebru Tartıcı Borchers ist in der Türkei geboren und hat dort auch Schauspiel studiert. Dann ging sie zum Regiestudium nach Salzburg. Das Schauspielen vermisst die 34-Jährige nicht, sagt sie. Sie freut sich, dass sie jetzt als Hausregisseurin ganze Spielzeiten mitgestalten kann. Beim Doppelabend präsentiert sie nach dem Ensemblestück "Antigone" mit "Schwester von" einen Monolog - ein Wagnis, sagt sie: "Ich bin sehr gespannt und hoffe Tag und Nacht die ganze Zeit, dass das Publikum das auch genauso spannend findet, wie wir uns das vorgestellt und gehofft haben."

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Datum:
Ende:
Ort:
Oldenburgisches Staatstheater
Theaterwall 19
26122 Oldenburg
Telefon:
(0441) 2225 111
Hinweis:
Spielstätte: Kleines Haus
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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Morgen | 21.09.2024 | 07:20 Uhr

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