Hamburger Kammerspiele: Authentischer Abend mit Schlinks "20. Juli"

Stand: 24.08.2024 14:01 Uhr

Was wäre, wenn? Wenn Stauffenbergs Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 geglückt wäre? Das fragen sich einige Abiturienten in Bernhard Schlinks Werk "20. Juli". Nun wurde das Stück in den Hamburger Kammerspielen zur Saisoneröffnung uraufgeführt.

Spielszene aus "20. Juli". Junge Menschen stehen mit besorgten Gesichtern auf der Bühne. © Screenshot
Beitrag anhören 3 Min

von Kerry Rügemer

Fünf Schülerinnen und Schüler haben ihre letzte Unterrichtsstunde in ihrem Geschichts-Leistungskurs. "37 Prozent für die Rechten. Hätte einer von euch das für möglich gehalten?", heißt es im Stück von Bernhard Schlink - auf der Bühne in der Regie von Franz-Joseph Dieken. "Ich habe schon vor Wochen gesagt, dass die DA die Landtagswahlen gewinnt. Aber nicht vor der CDU mit 21 Prozent." Im Buch heißt die rechte Partei DA und kommt doch allzu vertraut daher.

Es ist ein 20. Juli, genau wie 1944, als das Attentat auf Hitler misslang. Und so kommt die Frage auf: Kam der Anschlag auf Hitler zu spät?

"Soll man jemanden ermorden, von dem man weiß, dass er Furchtbares anrichten wird?"
"Ein präventiver Tyrannenmord?"
"Ja! Wenn sie Tyrannen sind, dann ist es zu spät. Wenn ein Hitler an der Macht ist, dann kommt man nicht mehr an ihn ran."
"Die Geschichte lehrt, dass der Anschlag auf den Tyrannen präventiv erfolgen muss." Szene aus Bernhard Schlinks "20. Juli"

Authentischer Abend in den Kammerspielen

Der Tyrann im Stück ist der charismatische Politiker Rudolf Peters. Darin sagt er: "Deutsche Frauen sind kein Freiwild für Grapscher und Vergewaltiger aus der Levante und dem Maghreb. Was Deutsche erwirtschaftet und erarbeitet haben, ist keine Beute für Araber und Afrikaner." Auf der Abiturfeier fassen die Schüler dann den Plan: Peters muss weg, mit Gewalt. Es beginnt eine emotionale, scharfzüngige Diskussion um das Pro und Contra, um die Frage, ob man sein eigenes Leben mit all seinen Plänen für eine solche Sache opfern kann und muss - und zieht man das Attentat wirklich durch?

Es ist faszinierend, den jungen Schauspielschülerinnen und -schülern dabei zuzuschauen und zuzuhören. Leidenschaftlich, aufgebracht, schwankend und zweifelnd - dass hier fünf tatsächlich sehr junge Menschen in Alltagsklamotten auf der Bühne stehen, macht den Abend so authentisch. Das Publikum folgt gebannt der Achterbahn von Gefühlen und den kritischen Auseinandersetzungen.

Weitere Informationen
Die Front eines weißen Jugendstil Hauses mit einem großem Schild  "Kammerspiele" © Kammerspiele/ Bo Lahola Foto: Bo Lahola

Hamburg: Kammerspiele starten mit Paukenschlag in die neue Saison

In der Uraufführung des Theaterabends "20. Juli" von Bernhard Schlink geht es um den Umgang mit Rechtsextremisten. mehr

Fragen zur Zeitgeschichte und zum Heute

Bis zum Schluss steht die Frage im Raum: Tun sie's oder nicht? Aber eigentlich geht es gar nicht um die wirkliche Tat. Dieses - von Autor Bernhard Schlink im Untertitel "Ein Zeitstück" genannte - Werk stellt ganz aktuell die Frage, ob und wie man sich engagieren kann und will, auch vor dem Hintergrund der Geschichte. Es wurde Zeit, dass dieses sehr zum Nachdenken anregende Stück rund um eine gewagte Idee endlich zum Leben erweckt wird und auf die Bühne kommt. Mit dieser Aufführung und dem jungen Ensemble ist den Kammerspielen ein richtig guter Saisonstart gelungen.

Weitere Informationen
Bernhard Schlink im Jahr 2017 © dpa Foto: Marta Perez

Bernhard Schlink und die Dramaturgie des Erzählten

Mit "Der Vorleser" wurde er weltberühmt. Das Schreiben sei für ihn ein Fluchtort, erzählt er bei NDR Kultur à la carte. mehr

Der Autor Siegfried Lenz hält ein weißes Buch in der Hand hoch und lächelt (Archivbild von 2009) © picture-alliance/ dpa | Marcus Brandt Foto: Marcus Brandt

Siegfried Lenz zum 100.: Vier Hamburger Theater mit riesigem Projekt

Vier Häuser würdigen den vielleicht größten literarischen Star, der jemals in Hamburg gelebt hat, mit fast 100 Events. mehr

Ida Ehre (1900 - 1989), Schauspielerin, Regisseurin und Intendantin, hier am 25.6.1971 bei der Ankunft auf dem Flughafen Berlin Tempelhof. © picture alliance / Sammlung Richter Foto: ammlung Richter/LB

Ida Ehre: Sie war die "Mutter Courage" des Theaters

Die Gründerin der Hamburger Kammerspiele brachte nach dem Ende des Nazi-Terrors ein Stück Welttheater in die Hansestadt. Am 16. Februar 1989 starb sie in Hamburg. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Sonnabend | 24.08.2024 | 06:40 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Theater

Hände halten ein Smartphone auf dem der News-Channel von NDR Kultur zusehen ist © NDR.de

WhatsApp-Channel von NDR Kultur: So funktioniert's

Die Kultur Top-News aus Norddeutschland direkt aufs Smartphone: NDR Kultur ist bei WhatsApp mit einem eigenen Kanal aktiv. mehr

Eine Grafik zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Podest vor einem roten Hintergrund. © NDR

Legenden von nebenan: Wer hat Ihren Ort geprägt?

NDR Kultur erzählt die Geschichte von Menschen, die in ihrer Umgebung bleibende Spuren hinterlassen haben - und setzt ihnen ein virtuelles Denkmal. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum - Die Philosophie und wir

Bei einem Becher Tee philosophieren unsere Hosts über die großen Fragen. Denise M‘ Baye und Sebastian Friedrich diskutieren mit Philosophen und Menschen aus dem Alltag. mehr

Mehr Kultur

Ein Sänger steht auf einer Bühne, hält in einer Hand das Mikrofon und die andere ist nach oben gestreckt. © picture alliance / Gonzales Photo/Nikolaj Bransholm Foto: Gonzales Photo/Nikolaj Bransholm

Hurricane Festival: The Prodigy, Apache 207 und Sam Fender kommen 2025

Die englische Elektro-Punk-Band The Prodigy und ein Who-is-Who der deutschen Pop- und HipHop-Szene haben sich für 2025 angekündigt. mehr

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?