Hamburger Kammerspiele: Authentischer Abend mit Schlinks "20. Juli"
Was wäre, wenn? Wenn Stauffenbergs Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 geglückt wäre? Das fragen sich einige Abiturienten in Bernhard Schlinks Werk "20. Juli". Nun wurde das Stück in den Hamburger Kammerspielen zur Saisoneröffnung uraufgeführt.
Fünf Schülerinnen und Schüler haben ihre letzte Unterrichtsstunde in ihrem Geschichts-Leistungskurs. "37 Prozent für die Rechten. Hätte einer von euch das für möglich gehalten?", heißt es im Stück von Bernhard Schlink - auf der Bühne in der Regie von Franz-Joseph Dieken. "Ich habe schon vor Wochen gesagt, dass die DA die Landtagswahlen gewinnt. Aber nicht vor der CDU mit 21 Prozent." Im Buch heißt die rechte Partei DA und kommt doch allzu vertraut daher.
Es ist ein 20. Juli, genau wie 1944, als das Attentat auf Hitler misslang. Und so kommt die Frage auf: Kam der Anschlag auf Hitler zu spät?
"Soll man jemanden ermorden, von dem man weiß, dass er Furchtbares anrichten wird?"
"Ein präventiver Tyrannenmord?"
"Ja! Wenn sie Tyrannen sind, dann ist es zu spät. Wenn ein Hitler an der Macht ist, dann kommt man nicht mehr an ihn ran."
"Die Geschichte lehrt, dass der Anschlag auf den Tyrannen präventiv erfolgen muss."
Szene aus Bernhard Schlinks "20. Juli"
Authentischer Abend in den Kammerspielen
Der Tyrann im Stück ist der charismatische Politiker Rudolf Peters. Darin sagt er: "Deutsche Frauen sind kein Freiwild für Grapscher und Vergewaltiger aus der Levante und dem Maghreb. Was Deutsche erwirtschaftet und erarbeitet haben, ist keine Beute für Araber und Afrikaner." Auf der Abiturfeier fassen die Schüler dann den Plan: Peters muss weg, mit Gewalt. Es beginnt eine emotionale, scharfzüngige Diskussion um das Pro und Contra, um die Frage, ob man sein eigenes Leben mit all seinen Plänen für eine solche Sache opfern kann und muss - und zieht man das Attentat wirklich durch?
Es ist faszinierend, den jungen Schauspielschülerinnen und -schülern dabei zuzuschauen und zuzuhören. Leidenschaftlich, aufgebracht, schwankend und zweifelnd - dass hier fünf tatsächlich sehr junge Menschen in Alltagsklamotten auf der Bühne stehen, macht den Abend so authentisch. Das Publikum folgt gebannt der Achterbahn von Gefühlen und den kritischen Auseinandersetzungen.
Fragen zur Zeitgeschichte und zum Heute
Bis zum Schluss steht die Frage im Raum: Tun sie's oder nicht? Aber eigentlich geht es gar nicht um die wirkliche Tat. Dieses - von Autor Bernhard Schlink im Untertitel "Ein Zeitstück" genannte - Werk stellt ganz aktuell die Frage, ob und wie man sich engagieren kann und will, auch vor dem Hintergrund der Geschichte. Es wurde Zeit, dass dieses sehr zum Nachdenken anregende Stück rund um eine gewagte Idee endlich zum Leben erweckt wird und auf die Bühne kommt. Mit dieser Aufführung und dem jungen Ensemble ist den Kammerspielen ein richtig guter Saisonstart gelungen.