"Témoin": Vibrierender Breakdance-Abend auf Kampnagel
Breakdance ist seit Paris nicht nur Olympische Sportdisziplin, sondern erobert längst auch die Hochkultur. Der französische Starchoreograf Saïdo Lehlouh zeigte beim Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel sein neuestes Stück.
Der Vorhang geht auf, eine Klangwelle schwappt über das Publikum, Lichtfinger brechen durch den Bühnennebel. Etwa 20 Tänzer und Tänzerinnen stehen wild verstreut, den Blick nach rechts. Dort bewegt sich ein schwarz gekleideter Tänzer ruckhaft, zuckend, gestikuliert mit den Händen, als wolle er etwas sagen. Die anderen sehen ihm teilnahmslos zu. Als wäre keine Kommunikation möglich.
Dann setzen sich die Stehenden, alle in scheinbar wahlloser Trainings- und Sportkleidung mit Sneakern, in Bewegung. Sie kommen auf den Einzelnen zu, scheinen ihn als Gruppe zu verschlucken. Immer wieder lösen sich Gestalten, fangen an zu breaken. Blitzschnell, federleicht gehen sie in die Knie, beugen den Rücken nach hinten wie Gummi oder stützen ihr Gewicht auf eine Hand, als würden sie liegend über dem Boden schweben.
Breakdance ist mehr als eine Bewegungsabfolge
"Témoin", also "Zeuge" heißt diese Arbeit des französischen Starchoregrafen Saïdo Lehlouh. Der kommt selbst aus der Hip-Hop-Szene. Breakdance ist mehr als eine coole Bewegungsabfolge. Die Hip-Hop-Kultur kommt von der Straße, hat eine soziale Botschaft. Es geht um Identität, Status und Gruppengefühl.
Das Ensemble scheint mit unsichtbaren Seilen verbunden. Immer wieder schält sich eine Person heraus, sieht der Gruppe zu: Er wird zum Zeugen. Ein einzelner steht einer unkontrollierbaren Gruppe gegenüber. "Ich fand es teilweise etwas einsam", meint ein Besucher: "Die Künstlerinnen und Künstler haben eher für sich alleine getanzt als miteinander. Das war eine neue Erfahrung. Es hat mir gefallen, aber mir fehlte etwas."
Das Publikum wird zum "Témoin"
Die Tänzer und Tänzerinnen kommen ganz nah ans Publikum heran: starren. Zwei Breakdancer werfen und schlingen sich um sie herum, dauernd in Bewegung. Das Ensemble sendet diese überbordende Energie in den Saal hinein. Man sieht zu - und der eigene Körper scheint mitzuvibrieren.
Genau diese politische Botschaft steckt auch in dieser Arbeit, denn wir, das Publikum, werden sprichwörtlich zum "Zeugen". Es geht ums genaue Hingucken, gerade heute, gerade jetzt. "Jeder und jede achtet auf sich selbst und nimmt die anderen nicht mit. Das ist so, wie wir leben leider", sagt ein Zuschauer. "Der Hip-Hop bringt eine Emotionalität rein, die andere Musik nicht rüberbringen könnte in der Konstellation", findet eine andere Zuschauerin.
Manchmal rutscht der Abend ins Pathetische. Die Message ist relativ schnell erzählt. Er berührt weniger emotional als körperlich, energetisch: Dieser vor Kraft strotzende Abend ist fast ein bisschen oberflächlich. Der Breakdance aber und die Glaubwürdigkeit des Ensembles, reißen mit.
Am Sonnabend beginnt um 11 Uhr in der Kunsthalle Saïdo Lehlouhs Tanzparcours quer über die Hamburger Kunstmeile. Das große Finale findet um 19 Uhr auf dem Rathausmarkt statt. Der Eintritt ist frei.
"Témoin": Vibrierender Breakdance-Abend auf Kampnagel
"Zeuge" heißt das neue Stück des französischen Choreografen Saïdo Lehlouh übersetzt. Er zeigte es beim Sommerfestival auf Kampnagel.
- Art:
- Bühne
- Datum:
- Ende:
- Ort:
-
Kampnagel
Jarrestraße 20
22303 Hamburg - Preis:
- ab 24 Euro