Becoming a B-Girl: Breakdance lernen Ü-40
Alexandra Friedrich hört seit rund 30 Jahren Rap und findet Breaking ungefähr genauso lange cool. Es selbst auszuprobieren, hat sie sich damals nicht getraut. Aber jetzt soll es so weit sein.
Ü-40 zum B-Girl werden - eigentlich ein Widerspruch in sich, oder? Egal, ich will es auf einen Versuch ankommen lassen. Ich bin bestens präpariert, habe einige Video-Tutorials gesehen, viel gelesen über Technik, Regeln, Geschichte des Sports und natürlich recherchiert, wer ein guter Lehrer sein könnte. Denn ich brauche einen richtigen Profi.
Ein Profi ist definitiv Chris Rock Jackson. Als Zwölfjähriger hat er in Hamburg Schnelsen mit dem Breaken begonnen. 24 Jahre später ist er nicht nur erfahrener Tänzer, sondern auch langjähriger, erfolgreicher Trainer. Eine seiner Truppen ist schon mal deutscher Meister geworden. Genau der richtige Mann für meine Challenge. Und tatsächlich: Ich konnte ihn überreden, sich für mich am Sonntagnachmittag Zeit zu nehmen. Gleich gibt er mir einen Crashkurs. Ich bin aufgeregt!
Was braucht es zum Breaken?
Chris Rock Jackson spaziert im schwarzen Trainingsanzug aufs Gelände. Ein Kraftpaket, eindeutig. Aber dass er es tatsächlich mal geschafft hat, im einarmigen Handstand über 200 Mal auf einer Hand zu hüpfen? Unfassbar! Was braucht es, um das zu schaffen? Welchen Tipp kann er mir mit auf den Weg geben, wenn ich das Breaken lernen will?
"Das Wichtigste ist, zu überdenken, ob man wirklich Lust darauf hat. Zu oft lerne ich Leute kennen, die es gerne können wollen würden, aber Lust auf den Tanz, auf das Üben, haben sie nicht", erzählt Chris Rock Jackson. "Ich würde auch gerne einige Sachen können. Ich würde gern Klavier spielen können, nur auf das Üben habe ich keine Lust. Das ist der wichtigste Tipp: dass man sich Gedanken darüber macht, ob man überhaupt Lust hat, das Tanzen zu üben. Wenn man darauf Lust hat, dann ist eigentlich schon alles geschafft."
Chris Rock Jackson: "Hip-Hop ist immer ein Lifestyle"
Ha, so einfach ist das also! Lust aufs Tanzen habe ich! Jetzt brauche ich nur noch einen dieser lässigen Breakdance-Namen. Wie Madmax, Swift Rock oder Phil Wizard. Ich habe mir schon einen ausgedacht: Loose Lex, also wie der englische Ausdruck für die lockeren Beine. Nur doppeldeutig, als Wortspiel mit meinem Namen: Alexandra, kurz Lex. Richtig guter Name, finde ich. Chris Rock Jackson eher nicht.
Noch vor dem ersten Move einen Namen geben? "Das ist so eine Sache. Es ist nicht verboten, aber verpönt. Wenn man sich B-Boy oder B-Girl nennt, ist das auch Lifestyle. Das ist nicht einfach ein Tanz, den man tanzt, sondern am Ende des Tages ist es Hip-Hop, was wir machen. Hip-Hop ist immer ein Lifestyle. Ab dann ist man eigentlich ein B-Boy."
Breaken lernen heißt Demut und Bescheidenheit lernen
Dann also erstmal ohne Namen. Womit fangen wir an? Baby Freeze, Helicopter, Kick Up und Back Spin sahen in den YouTube-Tutorials für Anfänger teilweise machbar aus. Baby Freeze - Baby-leicht, oder? "Baby Freeze ist zu schwierig. Wir machen ganz leichte Sachen, die Basis-Schritte. Zwei Schritte sollten reichen, glaube ich", findet Jackson.
Hmm, na gut. Breaking lernen heißt offenbar vor allem Demut und Bescheidenheit lernen. Immerhin musikalisch hauen wir auf den Putz. Zum Funk des Godfather of Soul James Brown lerne ich meinen ersten Top-Rock-Move, also einen Bewegungsablauf im Stehen. "Indian Step" heißt er: Arme vor der Brust verschränken, mit dem rechten Fuß nach schräg links vorn, dabei die Arme öffnen, dann zurück in die Ausgangsposition hüpfen. Klingt einfach, aber mein Koordinationsvermögen ist ausbaufähig.
Ganz elementar: Geschichtsbewusstsein
Nach ein paar Durchgängen habe ich den Schritt einigermaßen drauf. An der richtigen Attitüde und dem entspannten Gesichtsausdruck muss ich aber arbeiten: Neben Technik und Musikalität gehören vor allem eine gewisse Coolness und Lockerheit in der Performance dazu.
Da ist noch etwas, das für Chris Rock Jackson ganz elementar ist: ein Geschichtsbewusstsein. "Heutzutage machen oder betreiben viele Leute Rap, die keine Ahnung von der Kultur haben. Bei uns im Breaking ist es total wichtig. Ich kann andere B-Boys nicht für voll nehmen, wenn die sich nicht mit der Geschichte des Breaking auseinandergesetzt haben."
In seinen Workshops gibt Chris Rock Jackson deshalb neben den praktischen Übungen auch Geschichtsunterricht. "Das Besondere an meinem Unterricht ist, dass ich mit den Kids sehr viel rede und denen erkläre, wer die Leute sind, die mich inspiriert haben. Es gibt immer Leute, die die Vorarbeit leisten und ganz oft zu wenig Credit bekommen. Das sind die Leute, die uns am Ende des Tages die Brücke gebaut haben, über die wir jetzt laufen."
Viele Spielregeln und moralische Kodexe
Zum B-Boy-Führerschein gehört also nicht nur die praktische Prüfung, sondern auch die Theorie. Neben den Wegbereitern muss man viele Spielregeln und moralische Kodexe kennen: Das Kopieren der Moves anderer ist zum Beispiel verboten. Ein B-Boy oder B-Girl muss einen eigenen Style entwickeln, der durch einen individuellen Twist in der Interpretation und die Kombination von elementaren Grundschritten und Bewegungen funktioniert.
Davon will ich jetzt die nächsten lernen - dazu wechseln wir auf den Boden. Footwork heißt das im Breaking. "Ab da wird es ein bisschen schwerer, tut an den Händen weh und Gleichgewichtssinn ist gefragt", sagt Jackson.
Es ist nie zu spät, um anzufangen
Chris Rock Jackson hat mich mit der Footwork nicht nur physisch aufs Tanzparkett, sondern mit seinem Realitätscheck emotional auf den Boden der Tatsachen geholt. Trotz leichter Desillusioniertheit: Ich habe Feuer gefangen. Breaking macht richtig Spaß und ist ein krasses Workout. Nach unserem Crashkurs bin ich ganz schön aus der Puste. Das ist aber okay: Wichtig auf dem Weg zum B-Girl und B-Boy ist das Dranbleiben, der lange Atem. "Am Ende des Tages gibt es Leute, die tanzen ein halbes Jahr, ein Jahr, sind supergut superschnell, aber haben kein Durchhaltevermögen", erzählt Jackson. "Dann bringt denen das Talent auch nichts."
Zu spät, um anzufangen, sei es aber eigentlich nie. "Es gibt ein B-Girl, ich glaube aus Finnland, die dürfte jetzt 77 oder 76 sein. B-Girl Crazy Grandma nennt sie sich. Ich glaube, die hat mit Mitte 50 angefangen. Sie ist natürlich nicht super gut, aber sie macht schon Sachen, die die Kids teilweise nicht können. Einen Kopfstand mit einer Hand oder eine Windmühle kriegt sie auch hin. Wenn die früher bei uns bei den Jams in den Kreis reingegangen ist, wurde es auf jeden Fall laut." Ein B-Girl Ü40 ist also kein Widerspruch in sich.