Breakdancerin Jilou: "Wir leben den olympischen Spirit aus"
Breakdance vereint Musik, Bewegung und Jugendkultur und wird in Paris unter dem Namen "Breaking" erstmals Teil der Olympischen Spiele sein. Ein Gespräch mit der Breakerin Jilou Rasul aus Berlin.
Auf dem Place de la Concorde, im Herzen der französischen Hauptstadt, werden am 9. und 10. August die besten B-Boys und B-Girls, wie sich die Tänzerinnen und Tänzer selbst nennen, um eine olympische Medaille kämpfen. Für Deutschland wird leider niemand dabei sein, zuletzt scheiterten die besten deutschen Breakerinnen Sanja Jilou Rasul (B-Girl Jilou) und Pauline Nettesheim (B-Girl Pauline) bei der Qualifikation im Juni in Budapest.
Auch wenn Du es ganz knapp nicht geschafft hast, dich für Olympia jetzt zu qualifizieren, ist es für Dich, glaube ich doch ein Riesenerfolg, das Breaking olympisch geworden ist, oder?
Jilou Rasoul: Ja, absolut. Das war tatsächlich das Beste, was meiner Karriere als Profi passieren konnte, weil Breaking eine so große Aufmerksamkeit bekommen hat, dass jetzt auch Sponsoren und die Medien auf uns aufmerksam geworden sind und wir jetzt viel mehr Möglichkeiten haben.
Breaking hat einen hohen Freestyle-Anteil; Kreativität und Improvisationskönnen spielen eine ganz wichtige Rolle. Lässt sich das überhaupt in so ein Regelsystem wie bei Olympia überführen?
Jilou: Ich glaube, dass das eigentlich eine sehr große Chance für das Regelsystem ist: mehr Individualität in den Vordergrund zu rücken, weil Breaking diesen sehr individuellen Charakter hat. Was auch ein interessanter Faktor ist: Wir kennen die Musik nicht, und deswegen ist es auch so wichtig, zu freestylen und nicht nur eine vorgefertigte Choreografie abzuspulen.
Ihr reagiert also direkt darauf, was der DJ macht. Das ist ganz anders als beim Eistanz, wo jemand seine Lieblingsmusik schon mitbringt, oder?
Jilou: Ganz genau. Es ist schon so, dass wir die Songs manchmal kennen. Wir wissen auch, in welche Richtung das Genre geht. Aber welcher Song dann tatsächlich läuft - das kann auch ein ganz neuer Song sein - das wissen wir nicht. Die DJs können auch einfach mal reinscratchen und das Ganze noch spannender machen. Darauf kann man natürlich auch reagieren.
Wie wird eigentlich bewertet? Welche Kriterien bestimmen am Ende über die Medaillenplätze?
Jilou: Bewertet werden fünf Kriterien, und sie werden alle gleich bewertet. Da gibt es Musikalität, Originalität, Vokabular, Technik und Variation.
Vokabular heißt in dem Fall Ausdrucksvokabular, also welche Moves Ihr macht, richtig?
Jilou: Genau. Macht man nur Footwork, also die Schritte am Boden, oder man baut zwischendurch auch ein Power Move oder ein Freeze ein, die noch ein bisschen dynamischer sein können.
Genau genommen ist das ein kommunikativer, interaktiver Sport, der das Publikum auf eine besondere Weise mitnimmt, viel mehr als bei Wettkämpfen, wo man irgendetwas fliegen sieht,oder wo nachgemessen werden muss, oder?
Jilou: Absolut. Für uns ist auch das Publikum ein essenzieller Faktor. Wir spielen mit dem Publikum, wir leben von der Energie des Publikums.
Wirst Du trotzdem nach Paris reisen, um die Kolleginnen und Kollegen da zu erleben? Oder guckst Du Dir das im Fernsehen an?
Jilou: Ich werde nach Paris reisen, um ein bisschen olympische Luft zu schnuppern, werde dort mit meinen Partnern ein bisschen zusammenarbeiten. Aber wenn die Breaking-Competition losgeht, werde ich nicht in Paris sein. Indirekt bin aber trotzdem dabei, weil ich das für Eurosport kommentiere. Da freue ich mich jetzt schon drauf.
Es ist ein bisschen schade, dass bei den Olympischen Spielen 2028 in Los Angeles Breaking nicht mehr dabei sein wird. Was sagst du dazu?
Jilou: Ja, das ist tatsächlich schade. Das ist ein bisschen unfair, weil man uns gar nicht die Chance gegeben hat, uns zu beweisen, mal zu zeigen, wie wir den olympischen Spirit ausleben. Denn ich glaube, dass Breaking etwas ist, das - vielleicht entgegen der öffentlichen Stimmen - ziemlich gut den olympischen Spirit überträgt, weil es für jeden ist. Man braucht sehr wenig, um Breaking zu lernen. Ein super Beispiel ist Samuka aus Brasilien: Das ist ein Tänzer, dem ein Bein fehlt. Und der hat es letztens tatsächlich geschafft, eine Competition zu gewinnen gegen Menschen, die vier Gliedmaßen haben. Das ist ein super Beweis, dass Breaking für jedermann ist und man nicht viel dafür braucht.
Die Kunstform verändert sich auch ständig. Inzwischen ist das Subkulturelle auch kein Widerspruch mehr zum Kommerziellen - oder wie beobachtest Du das?
Jilou: Nein, ich denke, dass das Kommerzielle die Subkultur finanzieren und den Menschen die Möglichkeit geben kann, sich zu 100 Prozent in ihrer Kultur auszuleben. Das Problem ist: Wenn man einen 40-Stunden-Job hat, dann ist es manchmal schwierig, noch die Energie aufzubringen, seinen Charakter als Künstler auszuleben. Da hilft die öffentliche Aufmerksamkeit extrem, dass wir uns finanzieren können. Auf der anderen Seite ist es natürlich auch schön, weil wir dann auch mehr zurückgeben können. Wir können der Öffentlichkeit mehr von unseren Geschichten erzählen, wir können sie mehr auf unsere Reise mitnehmen und dann hoffentlich auch nicht nur sportlich motivieren, sondern ihnen vielleicht auch fürs Leben etwas mitgeben, weil wir als Athleten oder als Künstler oftmals unseren eigenen Kampf innerlich austragen. Das kann Menschen motivieren, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und selbstbewusster durchs Leben zu gehen.
Gerade in diesem Punkt kann ich die Dokumentation "Breaking Boundaries" über Dich empfehlen. Darin erfährt man von Deinen beiden Kindheitsträumen: Kanzlerin oder zu Olympia. Da es mit Olympia ganz knapp nicht geklappt hat, wirst du Kanzlerin, oder?
Jilou: Auf jeden Fall. Generell habe ich einfach Lust, die Welt ein Stückchen besser zu verlassen, als ich sie betreten habe. Wenn das in der Politik, in der Kultur oder im Sport ist - irgendwie werde ich das schon schaffen.
Das Interview führte Philipp Cavert.