Herrlich unterhaltsam: "Die Frau mit dem Arm" von Dorau und Regener
"Die Frau mit dem Arm" erzählt davon, wie befriedigend es ist, wenn aus einer Fantasie Wirklichkeit wird. Sven Regener gibt den Geschichten von Andreas Dorau Farbe, Tempo, Witz, Lakonie und Tiefe.
"Er ist der interessanteste Mensch und unberechenbarste Künstler, den ich kenne", sagt der Schriftsteller und "Element of Crime"-Sänger Sven Regener über Andreas Dorau, den Hamburger Musiker und Videokünstler, der einst, noch als Jugendlicher, mit dem Neue Deutsche Welle-Hit "Fred vom Jupiter" berühmt wurde, seitdem aber noch Tausend weitere Abenteuer erlebt hat. Einige davon haben Sven Regener und Andreas Dorau wieder aufgeschrieben - nach ihrem ersten Buch "Ärger mit der Unsterblichkeit" ist jetzt "Die Frau mit dem Arm" erschienen.
"Die Frau mit dem Arm": In der Aussichtslosigkeit fängt der Spaß erst an
Künstler zu sein, bedeutet, nie genau zu wissen, was morgen oder in zwei Wochen passieren wird: Fällt mir dann noch was ein, will überhaupt noch irgendjemand was von mir wissen, und wenn ja, wie unerträglich wird mich das dann bedrängen? Wie immer es sich auch anfühlen mag, diese Ungewissheit zu erleiden - darüber zu lesen ist jedenfalls herrlich unterhaltsam:
Das neue Jahrtausend fing an und es lief nicht gut für mich. Das Jahrtausend davor war ein inspirierender Spaziergang gewesen, erst neunhundertvierundsechzig Jahre Ruhe, dann sechsunddreißig Jahre Spaß und Freude, Hit, Flop, Studium, Geld, kein Geld, Arbeit, keine Arbeit, Ausland, Inland, Japan, neue Haarfarbe, alles super. Aber kaum fing das neue Jahrtausend an, war irgendwie der Wurm drin, die Luft raus, das Getränk des Lebens schal geworden, die Hitmaschine lahmte, ich war raus, Schnee von gestern. Leseprobe
Aber in der relativen Aussichtslosigkeit fängt der Spaß ja erst an. Das Prinzip Dorau beruht auf der Entschlossenheit, mit dem Anschein größtmöglicher Ambitionslosigkeit doch immer irgendetwas Spektakuläres zu versuchen, was immer es auch sei: Film, Musik, Hitalbum, Konzeptalbum, Theater, Musical - Hauptsache: Kunst. Da ist immer jeden Tag alles möglich, so fing das ja schon an, als er damals, mit 15, während einer Projektwoche an der Schule eher nebenbei den späteren Smash-Hit "Fred vom Jupiter" komponierte, und so ging das eigentlich immer weiter, durch Höhen und Tiefen, die Andreas Dorau in der Wahrnehmung seines Eckermanns Sven Regener mit tapferer Gleichmut durchschreitet.
Andreas Dorau stürzt sich von einem Abenteuer ins nächste
"Das Tolle ist, dass Andreas so einen Riesentritt in den Hintern bekommt und in etwas hineingeschubst wird, in eine Geisterbahn, aus der er nicht mehr rausgekommen ist", erzählt Regener. "Das ist irgendwie toll! Kunst eben. Man würde sich wünschen als Romanautor, der ich ja eigentlich bin, dass man sich so eine Romanfigur ausdenken kann. Es ist bloß zu befürchten, dass die Leute dann sagen würden: 'Da hast du aber ein bisschen dick aufgetragen.'"
Was Andreas Dorau zur tatsächlich sogar sehr komplexen Romanfigur macht, ist der Umstand, dass er sich immer geschickt der Gefahr entzieht, auf irgendetwas festgelegt zu werden. Eine irrsinnige Idee fliegt ihm zu, die normalerweise sofort verworfen werden müsste, aber weil es viel spannender ist, mal zu schauen, was passiert, wenn er sie nicht verwirft, stürzt er sich ins Abenteuer: Er ärgert sich darüber, dass moderne Theaterstücke immer hässliche Bühnenbilder haben, also nimmt er sich vor, eines mit schönem Bühnenbild zu schreiben. Bekannte fragen ihn, ob er nicht mal als DJ arbeiten wolle, also entschließt er sich, als DJ zu arbeiten, trotz erheblichen Mangels an Talent und großer Katastrophengefahr. Und weil er findet, dass die klassische Songstruktur auch nicht der Weisheit letzter Schluss ist, fängt Andreas Dorau an, Lieder zu schreiben, die aus nichts als Refrain bestehen.
Wenn aus einer Fantasie Wirklichkeit wird
Diese Geschichten erzählen davon, wie befriedigend es ist, wenn aus einer Fantasie Wirklichkeit wird - völlig losgelöst von irgendwelchen Erfolgsaussichten. "Das Interessante ist ja: Hit und Erfolg ist ja keine künstlerische, sondern eine gesellschaftliche Kategorie", sagt Regener. "Und natürlich ist bei Leuten wie Andreas oder zum Beispiel Kurt Weill der Umstand, dass bestimmte Lieder zu solchen Hits wurden, oft gar nicht intendiert gewesen. Es kann auf einem Missverständnis beruhen!"
Dorau liefert die Geschichten, Regener gibt ihnen Farbe, Tempo, Witz, Lakonie, Tiefe und immer auch Dekonstruktion von Tiefe. Die Geschichte von der "Frau mit dem Arm" zum Beispiel braucht's vordergründig nicht in einem Buch aus dem Weinberg der Kunst: Sie erzählt von Andreas Doraus übergroßer Lust daran, zum Arzt zu gehen. Aber die "Frau mit dem Arm" - eine Arzthelferin, die zu einem bestimmten Zeitpunkt den Arm heben soll während einer Untersuchung - teilt dem Patienten schließlich mit, er habe ein signifikant übergroßes Gehirn.
Das ließ sie so stehen. Sie gab mir den Briefumschlag. Da hatten sich die Arztbesuche aber wirklich mal gelohnt! Leseprobe
Die Frau mit dem Arm
- Seitenzahl:
- 192 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Galiani
- Bestellnummer:
- 978-3-86971-274-1
- Preis:
- 22 €