"Besser allein als in schlechter Gesellschaft": Lebensbilanz zweier Frauen
Adriana Altaras wendet sich in "Besser allein als in schlechter Gesellschaft" ihrer Tante zu, bei der sie bis zum Alter von vier Jahren lebte. Ein Roman, der durch die Hände vieler Freundinnen wandern wird.
Die Tante der Autorin sitzt im Pflegeheim, die Nichte in Berlin. Es ist Corona-Zeit.
"Ich darf nicht nach Mantua reisen, ich darf sie nicht im Pflegeheim besuchen, denn Mantua ist "rote Zone", hundertzwanzig Kilometer von Bergamo, dem Epizentrum, entfernt." Leseprobe
Dieser verführerisch biografische Roman kommt als ein Zwiegespräch daher.
"Wenn ich tot bin, musst du ganz vorsichtig alles untersuchen und schütteln, ich habe überall etwas versteckt. Schmuck und Lire."
"Lire? Weißt du, welches Jahr wir schreiben? Wenn du tot bist, Tante, lasse ich alle Schränke mit einem Brecheisen aufbrechen und werfe alle Schlüssel in den Mincio. Schluss, aus!"
Leseprobe
Lakonischer Schlagabtausch mit präzisen Nahaufnahmen
Diese Seelenverwandten schenken sich nichts. Dass Adriana ihre Tante mit vier Jahren im sonnigen Mantua verlassen muss und zu ihren Eltern ins grauen Gießen zieht, das haben beide nicht gewollt. Nun ist die Nichte 60 Jahre alt, hat Liebeskummer und die Tante geht auf die 100 zu.
"Immer wieder habe ich ihr angeboten, nach Deutschland zu kommen, in ein schönes Heim in Berlin. Dann könnte ich sie öfter besuchen. Sie antwortet regelmäßig: 'Magari, schön wär’s, aber lass es uns ein andermal besprechen.'
Das jüdische Altersheim ist ihr zu russisch, im deutschen Heim fehlen ihr die Juden. Kochen tun alle schlechter als die Italiener, und so vergeht die Zeit."
Leseprobe
In einem lakonischen Schlagabtausch über 234 Seiten streifen die beiden Frauen durch ihre Vergangenheit, loten mit trockenem Humor die Klippen ihres Lebens aus und die Gegenwart des Alterns, den Verfall. In präzisen Nahaufnahmen schälen sich die Lebenskrise einer 60-Jährigen und das Ende einer hellwachen 100-Jährigen aus diesem symbiotischen Dialog facettenreich heraus - intim und ohne Illusion.
"Erst mal beschreibe ich unser Verhältnis und wie jeder über die andere denkt", erzählt Adriana Altaras im Interview. "Ich kann mich gut in sie hineinversetzen, weil sie die engste Person in meinem Leben war."
"Besser allein als in schlechter Gesellschaft": Eine Allegorie auf die Tücken der Zeit
Wie in einem Hohlspiegel enthüllt sich in diesem Zwiegespräch ein Jahrhundert, dessen erstes Kennzeichen die Marginalisierung von Menschen war. Die Tante hat sich immer neu erfinden müssen. Wie Sisyphos den Berg hinauf zieht sie gegen das ihr zugefügte Unrecht zu Feld. In den diversen Telefonaten mit ihrer Nichte und in ihren Selbstgesprächen in Mantua zieht sie Bilanz - und Adriana, die daran gescheitert ist, der Liebe ihres Lebens ein jüdisches Refugium im deutschen Berlin zu bauen, steht vor den Trümmern ihrer Ehe. Er ist zu einer Jüngeren geflohen. Und da sich die Nichte und ihre Tante bis in die Intimpflege der Anderen kennen - die Lieblingscreme der Tante aus dem KaDeWe spielt auch mit in dem Stück - und da sie sich nichts schenken, erleben wir ihr Ringen wie das der nackten Ringer auf den klassischen Amphoren mit.
Entstanden ist in der Sprache von Ephraim Kishon und mit dem Witz von Groucho Marx eine Allegorie auf die Tücken der Zeit. Ein Roman mit biografischen Elementen, der durch die Hände vieler Freundinnen wandern wird.
Besser allein als in schlechter Gesellschaft
- Seitenzahl:
- 240 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- KiWi
- Bestellnummer:
- 978-3-462-00424-3
- Preis:
- 22 €