"Welttag der Poesie": Reim Dich, oder ich lieb' Dich!
Der 21. März ist der "Welttag der Poesie". Initiiert von der UNESCO um, wie es heißt, "sprachliche Vielfalt und mündliche Traditionen rund um den Globus" zu feiern. Aber was macht ein Gedicht zu einem Gedicht?
Eigentlich ist es ganz einfach: Ein Gedicht reimt sich. Robert Gernhardt machte und mochte das so, wie bei seinem Gedicht "Warum war Herr Schlegel so kregel?".
Denn in dem Brief schrieb ihm Herr Fichte:
"Ich schick' Dir heut noch meine Nichte,
die sollst Du, mag sie noch so maulen,
an drei verschied'nen Stellen kraulen".
Auszug aus "Warum war Herr Schlegel so kregel?" von Robert Gernhardt
Claudia Benthien ist Germanistik-Professorin und forscht an der Uni Hamburg. Sie ist mit viel Geld und einem neunköpfigen Stab von Mitarbeiterinnen und Doktoranden ausgestattet und untersucht das Thema "Lyrik im digitalen Zeitalter". Ihre Definition darf also als akademisch gültig gelten: "Ein Gedicht macht aus meiner Sicht aus, dass es auf sehr kleinem Raum sehr viel machen kann. Dass es zum Beispiel komplexe Bilder erfassen kann, dass es nicht einfach etwas erzählt, sondern Bilder entwirft, die rätselhaft sind oder vielleicht auch widersprüchlich, und die zum Denken anregen."
Gedicht wird zur Performance
Folgende Dichter haben sprachlich komplexe Bilder geliefert: Rilke mit "Panther" im Käfig, Tucholsky und seine "Augen der Großstadt", Eichendorff mit dem Himmel, der "die Erde still geküßt" hat. Dazu Schiller, Goethe, Heine, Hölderlin - jeder Name ein Universum. Doch lang ist es her. Heute, im digitalen Zeitalter, werden Gedichte als "Poetry" erforscht, als "Interart-Konzepte". Musik, Film, Performance - alles ist möglich, wie bei Bob Dylan, der den Literturnobelpreis erhalten hat.
Slam poetry, spoken word, Insta- und Tiktok-Poetry - wo Liebe nicht mehr in Verse geschmiedet, sondern in Beziehungen verhandelt wird. Durch die Präsentation wird das Gedicht zur Performance, stellt die Germanistin Claudia Benthien fest: "Anders als Erzähltexte, ist Lyrik meistens im Präsens verfasst. Es findet im Hier und Jetzt statt, und es ist verdichtete Sprache. Gedicht heißt ja auch schon ver-dichtete Sprache. Mit Gedichten kann man alles Mögliche anstellen und das wird produktiv genutzt."
Die ganze Welt in einem Bild
Alles ist ge-und ver-dichtet, es ist Kunst und Poesie und eigentlich überall zu finden. Jürgen Abel ist Lektor in Hamburg, ein Spezialist gerade für die neuen, freien, jungen Formen der Poesie. Er schätzt Jan Wagner, Mirko Bonné, Clemens Setz. Er berät und lektoriert Matthias Politycki - seit vielen Jahren schon. "Das sind Autoren, die die tradierten Formen der Lyrik beherrschen", so Abel. "Bei Matthias Politycki gibt es dazwischen auch Vorgefundenes, das er in eine Form bringt und dann sagt, das ist ein Gedicht. Vielleicht müsste man sich dem annähern über den Begriff des Poetischen."
Jürgen Abel geht sogar noch weiter und findet eine Formel für alles was Lyrik kann: "Das Poetische wäre dann eine metaphorische Übersetzung der Welt." Die ganze Welt in einem Bild, einem schrägen, einem schönen Bild. Dafür braucht Joachim Ringelnatz nur Sekunden: "Ich habe dich so lieb. Ich würde dir ohne Bedenken eine Kachel aus meinem Ofen schenken."
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