Matthias Politycki: "Da draußen müssen wir die Antwort als Mann geben"
Im Gespräch sagt Schriftsteller Matthias Politycki, dass Jahrtausende alte Geschlechtertraditionen noch immer in unseren Genen stecken.Traditionelle und neue Männerbilder müssen sich seiner Meinung nach ergänzen.
Vor vier Jahren ist der weltgereiste Autor Matthias Politycki aus seiner, wie er sie selbst nennt, "linksgrünen Blase" in Hamburg nach Wien gezogen. Er fühlte sich im Schreiben und Debattieren zunehmend eingeschränkt durch 'political correctness', 'wokeness' und 'cancel culture'. Nun veröffentlicht er den zu jener Zeit entstandenen Essay "Mann gegen Mann" und schreibt darin "von alten und neuen Tugenden" - wohlgemerkt männlichen Tugenden: Wehrhafte, verteidigungsbereite Männer brauche das Land. "Oder besser: Menschen mit alten, traditionell den Männern zugeschriebenen Tugenden braucht das Land, welchen Geschlechts auch immer."
Während Alphamännchen à la Trump und Putin ihr Testosteron auf der Weltbühne verströmten, marodierten gleichzeitig maskulinistische Machos durch unsere Straßen. Beidem müsse man sich in den Weg stellen, und zwar mannhaft.
Herr Politycki, gibt es männliche oder weibliche Tugenden - oder sind es nicht ganz einfach humane, menschliche Tugenden, über die wir sprechen müssen?
Matthias Politycki: Ich bin viel im Ausland, und dort werden unsere Geschlechterdebatten - wenn überhaupt wahrgenommen - eher belächelt. Dort gibt es noch sehr klassische Zuschreibungen. Man sieht in Afrika, in Zentralasien, im fernen Osten, in Lateinamerika, auch schon, wenn wir aus unseren großstädtischen Bezugsrahmen herausgehen aufs Land, mitunter sehr klassische Rollenerwartungen mit den entsprechenden Zuschreibungen. Das sind Jahrtausende, die uns noch in den Genen stecken. Das ist durch 20, 30 Jahre Diskussionskultur und Reflexivität nicht aus der Welt zu schaffen. Das heißt nicht, dass wir uns dem beugen oder dass wir dem Klischee für immer huldigen müssen. Wir müssen aber andererseits akzeptieren, dass wir eine gewisse Prägung mitbringen qua Geschlecht, und ein Leben lang daran arbeiten können, das aufzulösen und zu entfalten.
Wie können wir bei dem sich wandelnden Männerbild etwas bewahren, das möglicherweise gut ist, aber uns doch weiterentwickeln zu einer empathischeren Spezies?
Politycki: Im Moment ist erst ein Zwischenschritt zu gehen: Wir müssen uns wieder ohne die schon selbstverständlich gewordenen Scheuklappen dem Thema Männlichkeit nähern. Wir können nicht einfach nur sagen: Trump ist ein Wahnsinniger, Putin ist ein Wahnsinniger, und Orban ist auch ein Wahnsinniger. Das bringt uns selbst nicht weiter in der Erkenntnis. Wir müssen genauer hinschauen lernen. Wir müssen verstehen lernen, nach welchen Mechanismen solche Männer nicht nur Politik machen, sondern schon wie sie ihre Gäste begrüßen, in welche Rituale sie hineingedrängt werden. Das fängt mit dem Händedruck an - das sind ja zum Teil auch schon gewisse Machtoffenbarungen: Wer drückt wem die Hand kaputt? Da müssen wir viel genauer hinschauen, um eine zunächst mal wahrscheinlich auch wieder empörte, aber letztlich auch spielerische Antwort zu finden.
Ich glaube, für Empörung ist keine Zeit mehr - damit haben wir schon viel zu viele Jahre verplempert. Wir haben uns über uns selbst empört, wir haben uns eigentlich über alles empört, was nicht in unsere Blase hineingepasst hat, und wir müssen nun mal erkennen, dass da draußen, außerhalb der Blase, die Spielregeln völlig anders sind. Wenn wir nicht untergehen wollen und damit auch die mit uns verknüpften Werte, dann müssen wir im Schnellverfahren die Regeln lernen, die in ganz anderen Blasen und letztlich auch ganzen Kulturkreisen herrschen. Und wir müssen schauen, wo wir mitspielen können und wo wir eigenständige Antworten darauf finden müssen.
Sie haben gerade das Stichwort "spielerisch" genannt - ist es ein Spiel? Das klingt doch alles sehr ernst, was Sie sagen. Wenn ja, wie kann man dann so leichtfüßig zwischen den womöglich verschiedenen Rollenerwartungen hin und her springen?

Politycki: Ich glaube, wir müssen uns lösen. Das Thema Männlichkeit ist nicht primär eines der Gewalt. Sondern ich glaube, ein Mann hat vor allen Dingen die Fähigkeit, Gewalt verhindern zu können. Und dazu gehört Deeskalation. Er tritt auf eine gewisse Weise auf, aber unter Männern funktioniert dieses Spiel, dass man ab einem gewissen Punkt ernst genommen wird, man vertritt eine Sache. Ich habe es sehr oft selber erlebt und mir das zum Teil auch angewöhnt, dass man, obwohl man gewissermaßen Kontrahent ist, sich sogar in den Arm nimmt. Manchmal sehe ich in Deutschland die Hilflosigkeit, wenn übergriffige Männer im Zug sitzen oder auf der Straße sind - da trauen wir uns oft nicht hin. Wenn in dunkleren Seitengassen eine Gruppe von Männern steht und meine Begleitung sagt: "Da gehen wir jetzt vielleicht lieber auf die andere Straßenseite." Nein, wir müssen da durch! Das ist auch ganz einfach, wenn man die Codes kennt und bereit ist, bei diesem Austausch von Codes mitzuspielen. Da fängt es an.
Heißt das, sich diesen Codes anzupassen, sie sich zu eigen zu machen? Oder aber an der Überwindung zu arbeiten? Denn das, was Sie gerade beschrieben haben, ist sehr testosterongeschwängert. Sollten wir nicht eher sagen: Wir sind jetzt einfach mal Mensch, verhältnismäßig geschlechtsneutral?
Politycki: Da kommen Sie nicht weiter - das kann ich Ihnen zumindest aus meiner Reiseerfahrung sagen. Da draußen müssen wir die Antwort als Mann geben, aber wir verraten uns nicht dabei, sondern wir wissen ja, wo wir stehen. Wir wollen nicht überlaufen, wir wollen auch nicht so werden. Aber wir müssen eine Antwort finden, eine Antwort, die uns dort auf gleicher Ebene einjustiert, sodass wir ernst genommen werden und mit unseren Ansichten auch weiterkommen.
Das Gespräch führte Jürgen Deppe. Das komplette Interview können Sie in der ARD Audiothek hören und überall, wo es Podcasts gibt.
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