Umwerfende Bilder: "Terra. Gesichter der Erde" von Michael Martin
Der Fotograf Michael Martin weist in seinem Bildband "Terra. Gesichter der Erde" konsequent auf den drohenden Untergang der Erde hin. Ganz schön schrecklich. Aber vor allem: schön.
Seit mehr als 40 Jahren bereist der Fotograf Michael Martin die Welt. Zunächst haben ihn vor allem die Wüsten, die Arktis und die Antarktis interessiert. Doch dann entschied er sich für ein neues Großprojekt, mit dem Ziel, ganz verschiedene "Gesichter dieser Erde" abzubilden. 32 Reisen hat er dafür seit 2017 unternommen. Davon erzählt er in Vorträgen, Multivisions-Shows und einem opulenten Bildband.
Michael Martin: "Die Erde steht in ihrer Blütezeit"
Schrecklich schön ist dieses Buch. Umwerfende Bilder sind hier zu sehen, die zeigen, was Michael Martin meint, wenn er sagt: Die Erde steht in ihrer Blütezeit. "Erst vor 12.000 Jahren ist die letzte Eiszeit zu Ende gegangen, wir haben eine Warmzeit", erklärt Martin. "In dieser Warmzeit konnte dann der Mensch sich weiterentwickeln, konnte Ackerbau betreiben, konnte Kulturen, Städte entwickeln. Diese Entwicklung, die wir jetzt haben, dass wir dabei sind, das System Erde zu zerstören, ist ganz aktuell, aber auf die lange Distanz steht die Erde nach wie vor in der Blüte ihrer Zeit - nur beschädigt durch uns Menschen."
Dass der Eisbär so klein wirkt vor der Gletscherfront in der Arktis, scheint mit Bedeutung aufgeladen, auch wenn Michael Martin diesem großen Raubtier mit der Kamera dann noch ganz nah kommt und im Text versichert: In Spitzbergen ist die Population trotz des Klimawandels stabil. Zehn Regionen rund um den Globus hat er bereist, die jeweils durch andere Faktoren geprägt sind, darunter die Arktis, die mongolische Steppe, Polynesien und den pazifischen Feuerring, einen Vulkangürtel von ungefähr 40.000 Kilometern Länge, beginnend an der Südspitze Südamerikas.
Bilder von fast unbegreiflicher Schönheit
Wie ein magisches Silvesterfeuerwerk wirken die roten Feuerblitze, die der Vulkan Yasur im südpazifischen Archipel Vanuatu gen Himmel schickt, doch Martin zeigt auch schneebedeckte Vulkangipfel und weiße Wölkchen über dem kreisrunden Schlund des Krakatau. Wie ein Spiegelei liegt dieser gefährliche Vulkan gischtgesäumt in dem an den Rändern senfgelben Ozean. Michael Martin komponiert seine Bilder, setzt auf starke Farbakzente und ja, auch Überwältigung. Manche Bilder sind von einer fast unbegreiflichen Schönheit. Um das zu erreichen, braucht es Expertise, Glück und Geduld. Die Martin, so behauptet er jedenfalls, nicht hat: "Nein, überhaupt nicht. Ich bleibe nie länger als ein paar Stunden am gleichen Ort. Zwei- bis dreimal war ich in der Zwangslage, warten zu müssen und dann warte ich natürlich auch. Aber nein, ich bin immer unterwegs. Ich behaupte, dass die Wahrscheinlichkeit, ein gutes Bild zu bekommen, größer ist, wenn ich mich bewege, als wenn ich am gleichen Platz bleibe."
Dann heißt es oft: schnell sein. Ein Kind stürzt sich in die Fluten - Michael Martin erwischt es mitten im Sprung. Und den Jungen, der im Wasser Fußball spielt, im Fallrückzieher, mit dem Ball am Fuß. Die prächtigen Aras spreizen die Flügel scheinbar nur für ihn; ein Kolibri trinkt Nektar aus einer Blüte. Und der Nenze in der sibirischen Eiswüste wirft sein Lasso genau in diesem Moment um das Geweih des Rentiers. Deutlich zeigen viele Aufnahmen aber auch das Interesse des Fotografen für Strukturen. Seien es die fast borstigen der Eiskristalle, die geschmeidigen der Sandwellen in der Wüste oder - mit der Drohne aufgenommen - Strukturen, die die Menschen in die Landschaft einschreiben: wie die Hamen in Äthiopien. Deren Rundhütten mit angrenzenden, umzäunten Grundstücken stellen aus der Luft ein ganz eigenwilliges Muster dar: Pilze in Sandlagunen.
Michael Martin: "Die Welt ist voller Strukturen"
"Ich bin ein sehr grafischer Mensch", findet Martin. "Sie finden in der Natur überall Strukturen, egal ob Sie auf die polygonen Muster auf einem Salzsee blicken oder auf das Kräuseln der Wellen auf dem Pazifik aus dem Flugzeug. Die Welt ist voller Strukturen. Die Kunst besteht darin, das nicht überzustrapazieren, sondern das mit normalen Bildern zu kombinieren. Ich finde es auch schön, wenn man verschiedene Maßstäbe miteinander vermischt und den Zuschauer erstmal im Unklaren lässt: Ist es ein Makrobild oder gar eine Luftaufnahme?"
Stundenlang kann man hier blätternd auf die Reise gehen, wohldosiert in die Bilder abtauchen. Und lesen. Denn Michael Martin ist Fotograf und Geograf. Ausführlich erzählt er die Geschichte der Erde und weist konsequent auf den drohenden Untergang des Planeten hin, also all dessen, was er so eindrucksvoll zeigt. Ganz schön schrecklich. Aber noch vor allem: schön.
Terra. Gesichter der Erde
- Seitenzahl:
- 448 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Verlag:
- Knesebeck
- Bestellnummer:
- 978-3-95728-337-5
- Preis:
- 75 €