Der Literaturnobelpreisträger Thomas Mann im Hotel Adlon mit einem Pagen. © picture alliance/Kempinski Hotels
Der Literaturnobelpreisträger Thomas Mann im Hotel Adlon mit einem Pagen. © picture alliance/Kempinski Hotels
Der Literaturnobelpreisträger Thomas Mann im Hotel Adlon mit einem Pagen. © picture alliance/Kempinski Hotels
AUDIO: Sehnsuchtsort und Projektionsfläche: Hotels in der Literatur (4 Min)

Sehnsuchtsort und Projektionsfläche: Hotels in der Literatur

Stand: 06.07.2024 06:00 Uhr

Hotels sind ein beliebter Schauplatz für Geschichten und dienen als Metaphern - auch weil zahlreiche Autorinnen und Autoren die Herbergen durchaus schätzen. Manchmal aber werden sie auch zu einem Ärgernis. Ein paar Auszüge.

von Alexander Solloch

Die Dichter und ihre Hotels - ein höchst spannungsvolles Verhältnis ist das, wie ein Tagebucheintrag von Thomas Mann andeutet: "Nachts tadelnswerte Störung durch lärmende Gäste", notierte er einst. Mann hatte sich im Waldhotel Arosa in der Schweiz einquartiert - in der trügerischen Hoffnung, hier in Ruhe schreiben zu können.

Weitere Informationen
Schriftsteller Thomas Mann auf einer undatierten Aufnahme © picture-alliance / dpa Foto: Bifab

Thomas Mann: 100 Jahre "Der Zauberberg"

Für die "Buddenbrooks" erhielt Thomas Mann den Literaturnobelpreis. Sein Werk "Der Zauberberg" wird jetzt 100 Jahre alt. mehr

Schriftstellerinnen und Schriftsteller auf Lesereise, denen die Veranstalter die hübschesten Unterkünfte buchen, in denen sie dann aber doch nur Zeit totschlagen und nachts Erdnüsse in sich hineinstopfen, können es bezeugen: Das Hotel ist ein Sehnsuchtsort, der immer wieder gewaltsam mit der trüben Realität zusammenprallt. Deswegen eignet es sich so gut als literarischer Schauplatz.

Das Hotel als Metapher bei Joseph Roth

"Zum erstenmal nach fünf Jahren stehe ich wieder an den Toren Europas. Europäischer als alle anderen Gasthöfe des Ostens scheint mir das Hotel Savoy mit seinen sieben Etagen, seinem goldenen Wappen und einem livrierten Portier. Es verspricht Wasser, Seife, englisches Klosett, Lift, Stubenmädchen in weißen Hauben, freundlich blinkende Nachtgeschirre wie köstliche Überraschungen in braungetäfelten Kästchen; und Betten, daunengepolsterte, schwellend und freudig bereit, den Körper aufzunehmen. Ich freue mich, wieder ein altes Leben abzustreifen." aus: Joseph Roth "Hotel Savoy"

"Hotel Savoy" - Joseph Roth, der sich selbst als "Hotelbürger, Hotelpatriot" bezeichnete, dient in seinem 1929 erschienenen Roman das Hotel als Metapher für eine Zeit, in der alles aus den Fugen geraten ist: Nach außen zeigt es Pracht und Glanz. Aber im Inneren herrscht das chaotische Gewusel von Menschen, die der Erste Weltkrieg seelisch, materiell und moralisch aus der Bahn geworfen hat.

Nach außen glänzende Fassade, nach Innen verwirrendes Chaos

Zeitgleich veröffentlichte Vicky Baum ihren Roman "Menschen im Hotel" - auch hier ist das Hotel der Spiegel einer flirrenden, nervösen Unruhe, einer verzweifelten Suche nach Halt.

"All right!", sagte der kleine Georgi, als Portier Senf mit einem Anschwung die Loge erreichte, wie einen Heimathafen.
"Die Sieben-Uhr-Post. Achtundsechzig hat Krach gemacht, weil der Chauffeur nicht gleich zu finden war. Bisschen hysterische Dame, was?"
"Achtundsechzig - das ist die Grusinskaja", sagte der Portier, und dabei begann er schon mit der rechten Hand die Post zu sortieren.
"Das ist die Tänzerin, das kennen wir schon. Seit achtzehn Jahren. Vor dem Auftreten kriegt sie jeden Abend ihre Nerven und macht Krach." aus: Vicky Baums "Menschen im Hotel"

In Stephen Kings "Shining", John Irvings "Hotel New Hampshire", in gewisser Weise auch in "Und jeden Morgen das Meer" von Karl-Heinz Ott - immer ist das Hotel Projektionsfläche unserer Hoffnungen, die sich dann als (oft tragisch) unerfüllbar erweisen.

Weitere Informationen
Buch-Cover: Tim Parks - Hotel Milano © Antje Kunstmann Verlag

Roman "Hotel Milano" von Tim Parks: Gefangen im Luxushotel

Ein Autor sitzt zu Beginn der Corona-Zeit in Mailand fest und denkt auf selbstironische Art über das Leben nach. mehr

Eugen Ruge erzählt in seinem bislang stärksten Roman "Metropol" von deutschen Kommunisten, die in der Zeit der Schauprozesse in diesem berühmten Luxushotel im Zentrum von Moskau einquartiert werden. Ihre Angst wird gedämpft von der vermeintlichen Sicherheit, die das Hotel bietet, es ist Silvester 1936, die Leute tanzen im Ballsaal, was soll schon passieren?

"Charlotte und Wilhelm holen sich Nachschlag und noch ein Glas Sekt und schauen den ausgelassenen, verrückten, betrunkenen Paaren zu, die sich vollkommen regellos zur Jazzmusik bewegen, sich verdrehen und verbiegen, sich umfassen, umarmen, sich aneinander reiben, sich voneinander abstoßen, sich gegenseitig anschmachten. Dann ist es plötzlich 3 Uhr, aber was sollen sie auf dem Zimmer, müde sind sie nicht, solange sie hier unten sitzen, kann sie niemand abholen, denkt Charlotte, der sicherste Platz in ganz Moskau." aus: Eugen Roth "Metropol"

Wie trügerisch. Das Hotel ist eben doch nur Fassade. Den Frieden, den der Mensch sucht, kann er auch hier nicht finden. "Tadelnswert" fand das Thomas Mann. Thomas Bernhards Verbitterung nach einem Besuch im "Waldhaus" in Sils Maria ging noch weit darüber hinaus: "Wir hatten kein Wetterglück und in jeder Beziehung auch widerwärtige Gäste an unserem Tisch gehabt. Auch als sie mit ihrem Auto tödlich verunglückt und schon in der Kirche von Sils aufgebahrt waren, haben wir sie immer noch gehasst", schreibt der österreichische Grantler und macht damit seine Verachtung nur allzu deutlich.

Weitere Informationen
Der Schriftsteller Thomas Mann © picture alliance/akg-images Foto: akg-images / Fritz Eschen

Verschollenes Thomas-Mann-Manuskript in Hamburg aufgetaucht

Die Buchhandlung Felix Jud hat ein Manuskript von Thomas Mann erworben, das als verschollen galt. Ein Essay über die Zukunft der Deutschen aus dem März 1943. mehr

Jan Bülow (l) steht hinter Olivia Roos und schaut in die Kamera, im Hintergrund verschneite Berge © Neue Visionen Filmverleih

Ein Film wie eine Wundertüte: "Die Theorie von Allem"

Mit seinem düsteren Verwirrspiel in Schwarz-Weiß war der junge Regisseur Timm Kröger als einziger deutscher Wettbewerbsfilm zum Festival nach Venedig eingeladen. mehr

Timm Kröger schaut in die Kamera © picture alliance / | -

Timm Kröger über seinen Film: "Je weniger man weiß, desto besser"

Timm Kröger aus Itzehoe war mit "Die Theorie von Allem" im Wettbewerb der Filmfestspiele Venedig. Jetzt kommt der Film ins Kino. mehr

Logo vom Podcast "eat.READ.sleep" © NDR
67 Min

(54) Frühstückscurry mit Michael Drewniok

Crime Time im Podcast-Studio: Katharina und Jan suchen diesmal die besten Kriminalromane. Die Spur führt dabei über indisches Essen bis nach Laos. 67 Min

Cover - Joseph Roth: "Radetzkymarsch" © dtv

Joseph Roth: "Radetzkymarsch"

Der Roman "Radetzkymarsch" von 1932 ist ein Schwanengesang auf die alte Monarchie von Habsburg Österreich. Hanjo Kesting stellt ihn in "Große Romane der Weltliteratur" vor. mehr

Cover: Eugen Ruge - Pompeji © dtv

"Pompeji" von Eugen Ruge: Nur Pappkameraden am Vesuv

In den Details zeigt Eugen Ruge, was für ein großartiger Schriftsteller er sein kann. Meist aber greift er lieber auf Abziehbilder zurück. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Morgen | 06.07.2024 | 06:10 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Romane

Ein Latte Macchiato, eine Brille und eine Kerze liegen auf einem Buch © picture alliance / Zoonar | Oleksandr Latkun

Neue Bücher 2024: Die interessantesten Neuerscheinungen

Unter anderem gibt es Neues von Martina Hefter, Frank Schätzing, Markus Thielemann, Isabel Bogdan oder Lucy Fricke. mehr

Logo vom NDR Kultur Podcast "eat.READ.sleep" © NDR Foto: Sinje Hasheider

eat.READ.sleep. Bücher für dich

Lieblingsbücher, Neuerscheinungen, Bestseller – wir geben Tipps und Orientierung. Außerdem: Interviews mit Büchermenschen, Fun Facts und eine literarische Vorspeise. mehr

Eine Grafik zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Podest vor einem roten Hintergrund. © NDR

Legenden von nebenan: Wer hat Ihren Ort geprägt?

NDR Kultur erzählt die Geschichte von Menschen, die in ihrer Umgebung bleibende Spuren hinterlassen haben - und setzt ihnen ein virtuelles Denkmal. mehr

Hände halten ein Smartphone auf dem der News-Channel von NDR Kultur zusehen ist © NDR.de

WhatsApp-Channel von NDR Kultur: So funktioniert's

Die Kultur Top-News aus Norddeutschland direkt aufs Smartphone: NDR Kultur ist bei WhatsApp mit einem eigenen Kanal aktiv. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mehr Kultur

Geigerin Janine Jansen beim Konzert mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester in der Elbphilharmonie. © Screenshot

Jetzt im Livestream: Sakari Oramo & Janine Jansen

Janine Jansen spielt eine Deutsche Erstaufführung von Britta Byström. Sakari Oramo bringt Elgars Zweite Sinfonie zum NDR EO. Video-Livestream

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?