Sehnsuchtsort und Projektionsfläche: Hotels in der Literatur
Hotels sind ein beliebter Schauplatz für Geschichten und dienen als Metaphern - auch weil zahlreiche Autorinnen und Autoren die Herbergen durchaus schätzen. Manchmal aber werden sie auch zu einem Ärgernis. Ein paar Auszüge.
Die Dichter und ihre Hotels - ein höchst spannungsvolles Verhältnis ist das, wie ein Tagebucheintrag von Thomas Mann andeutet: "Nachts tadelnswerte Störung durch lärmende Gäste", notierte er einst. Mann hatte sich im Waldhotel Arosa in der Schweiz einquartiert - in der trügerischen Hoffnung, hier in Ruhe schreiben zu können.
Schriftstellerinnen und Schriftsteller auf Lesereise, denen die Veranstalter die hübschesten Unterkünfte buchen, in denen sie dann aber doch nur Zeit totschlagen und nachts Erdnüsse in sich hineinstopfen, können es bezeugen: Das Hotel ist ein Sehnsuchtsort, der immer wieder gewaltsam mit der trüben Realität zusammenprallt. Deswegen eignet es sich so gut als literarischer Schauplatz.
Das Hotel als Metapher bei Joseph Roth
"Zum erstenmal nach fünf Jahren stehe ich wieder an den Toren Europas. Europäischer als alle anderen Gasthöfe des Ostens scheint mir das Hotel Savoy mit seinen sieben Etagen, seinem goldenen Wappen und einem livrierten Portier. Es verspricht Wasser, Seife, englisches Klosett, Lift, Stubenmädchen in weißen Hauben, freundlich blinkende Nachtgeschirre wie köstliche Überraschungen in braungetäfelten Kästchen; und Betten, daunengepolsterte, schwellend und freudig bereit, den Körper aufzunehmen. Ich freue mich, wieder ein altes Leben abzustreifen." aus: Joseph Roth "Hotel Savoy"
"Hotel Savoy" - Joseph Roth, der sich selbst als "Hotelbürger, Hotelpatriot" bezeichnete, dient in seinem 1929 erschienenen Roman das Hotel als Metapher für eine Zeit, in der alles aus den Fugen geraten ist: Nach außen zeigt es Pracht und Glanz. Aber im Inneren herrscht das chaotische Gewusel von Menschen, die der Erste Weltkrieg seelisch, materiell und moralisch aus der Bahn geworfen hat.
Nach außen glänzende Fassade, nach Innen verwirrendes Chaos
Zeitgleich veröffentlichte Vicky Baum ihren Roman "Menschen im Hotel" - auch hier ist das Hotel der Spiegel einer flirrenden, nervösen Unruhe, einer verzweifelten Suche nach Halt.
"All right!", sagte der kleine Georgi, als Portier Senf mit einem Anschwung die Loge erreichte, wie einen Heimathafen.
"Die Sieben-Uhr-Post. Achtundsechzig hat Krach gemacht, weil der Chauffeur nicht gleich zu finden war. Bisschen hysterische Dame, was?"
"Achtundsechzig - das ist die Grusinskaja", sagte der Portier, und dabei begann er schon mit der rechten Hand die Post zu sortieren.
"Das ist die Tänzerin, das kennen wir schon. Seit achtzehn Jahren. Vor dem Auftreten kriegt sie jeden Abend ihre Nerven und macht Krach."
aus: Vicky Baums "Menschen im Hotel"
In Stephen Kings "Shining", John Irvings "Hotel New Hampshire", in gewisser Weise auch in "Und jeden Morgen das Meer" von Karl-Heinz Ott - immer ist das Hotel Projektionsfläche unserer Hoffnungen, die sich dann als (oft tragisch) unerfüllbar erweisen.
Eugen Ruge erzählt in seinem bislang stärksten Roman "Metropol" von deutschen Kommunisten, die in der Zeit der Schauprozesse in diesem berühmten Luxushotel im Zentrum von Moskau einquartiert werden. Ihre Angst wird gedämpft von der vermeintlichen Sicherheit, die das Hotel bietet, es ist Silvester 1936, die Leute tanzen im Ballsaal, was soll schon passieren?
"Charlotte und Wilhelm holen sich Nachschlag und noch ein Glas Sekt und schauen den ausgelassenen, verrückten, betrunkenen Paaren zu, die sich vollkommen regellos zur Jazzmusik bewegen, sich verdrehen und verbiegen, sich umfassen, umarmen, sich aneinander reiben, sich voneinander abstoßen, sich gegenseitig anschmachten. Dann ist es plötzlich 3 Uhr, aber was sollen sie auf dem Zimmer, müde sind sie nicht, solange sie hier unten sitzen, kann sie niemand abholen, denkt Charlotte, der sicherste Platz in ganz Moskau." aus: Eugen Roth "Metropol"
Wie trügerisch. Das Hotel ist eben doch nur Fassade. Den Frieden, den der Mensch sucht, kann er auch hier nicht finden. "Tadelnswert" fand das Thomas Mann. Thomas Bernhards Verbitterung nach einem Besuch im "Waldhaus" in Sils Maria ging noch weit darüber hinaus: "Wir hatten kein Wetterglück und in jeder Beziehung auch widerwärtige Gäste an unserem Tisch gehabt. Auch als sie mit ihrem Auto tödlich verunglückt und schon in der Kirche von Sils aufgebahrt waren, haben wir sie immer noch gehasst", schreibt der österreichische Grantler und macht damit seine Verachtung nur allzu deutlich.