Verschollenes Thomas-Mann-Manuskript in Hamburg aufgetaucht
In Hamburg ist eine Original-Handschrift von Thomas Mann aufgetaucht. Das Manuskript galt jahrzehntelang als verschollen. Die Hamburger Buchhandlung Felix Jud hat die wertvollen Blätter jetzt aus einem Privatbesitz erworben.
Robert Eberhardt streift sich weiße Handschuhe über und öffnet vorsichtig das Schloss der Vitrine. "So, hier ist unser Schatz", lächelt der Buchhändler und nimmt das kostbare Original in die Hand: Thomas Manns Essay über die Zukunft der Deutschen vom März 1943. Es sind vier hellblaue Blätter Briefpapier mit einem Aufdruck der Adresse Thomas Manns aus Princeton. Die Seiten sind mit kleinen Buchstaben eng beschrieben.
Weltpolitik auf veraltetem Briefpapier
Mann hatte zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr in Princeton gelebt, sondern bereits in dem berühmten Haus an der Westküste. Das alte Papier hat der Literaturnobelpreisträger und Sparfuchs Thomas Mann aber noch benutzt. "An mehreren Nachmittagen hat er dann diesen Text geschrieben", erläutert Eberhardt. Immer wieder sind Worte und Sätze in dem Text durchgestrichen. Man sieht Thomas Mann beim Denken zu. "Am Ende kippt er komplett ins Englische. Ich glaube, er dachte: 'Jetzt habe ich ein paar sehr gute Einfälle, die niemand beim Übersetzen verändern soll.' Deshalb hat er sich getraut, auf Englisch zu schreiben."
Thomas Mann erhoffte sich Revolution in Deutschland
Der Text ist eine Auftragsarbeit der US-amerikanischen Kriegsbehörde 'Office of War Information', die Thomas Mann um eine Einschätzung zur Lage in Deutschland gebeten hat. Und das ist neu: Thomas Mann erhofft sich zu diesem Zeitpunkt offenbar eine Revolution in Deutschland. So klingt das im Manuskript.
Wenn das deutsche Volk dieser Tatsache endlich einsichtig wird, so wird es, glaube ich, ihn und das schändliche Gesindel, das so lange bei ihm den Meister spielen durfte, abschütteln in einem Aufstande, der ihm in den Augen der Welt seine Ehre zurückgeben wird. Thomas Mann, im März 1943
Für Robert Eberhard, der sich selbst intensiv mit Thomas Mann beschäftigt, ist das eine Überraschung. "Das wurde in der Thomas-Mann-Forschung bislang so nicht gesehen, dass er Hoffnung hegte, die Deutschen würden eine Revolution gegen ihren Verführer, gegen Hitler, anzetteln."
Für den Text haben die Amerikaner haben am Ende keine Verwendung - vielleicht auch wegen dieser, sehr aktuell anmutenden Zeilen. "Die Nazi-Revolution sah in dem liebenswürdigen Wien nicht besser, sondern eher noch gemeiner aus, als in dem militaristischen Berlin, und eine faschistische Revolution in Amerika, wäre sie denkbar, würde sich ganz bestimmt auch nicht besser ausnehmen."
Text wanderte von Manns Sekretär in den Privatbesitz
Der Text landete zunächst in Thomas Manns Privatarchiv, kam später zu dessen Privatsekretär. Zuletzt taucht er bei einer Auktion in den 70er-Jahren auf. Als Robert Eberhard und sein Team in der Buchhandlung von dem Manuskript erfahren, wollen sie es unbedingt haben. "Wir halten es für ein bedeutendes Dokument der deutschen Zeitgeschichte und Weltgeschichte: Thomas Mann, der Literaturnobelpreisträger, der -aus amerikanischer Sicht- Hauptfeind Hitlers, macht sich hier diese Gedanken. Da waren wir sicher, dass wir das hier brauchen und keinem anderen überlassen dürfen." Der bekannte Thomas-Mann-Forscher Dieter Borchmeyer hat das Manuskript und seine Geschichte untersucht und spricht in der Neuen Zürcher Zeitung von einem "spektakulären Fund".
Wertvoll wie ein großes Auto
Jetzt steht der Text in der gesicherten Vitrine in der Buchhandlung. Aber behalten wollen sie das Dokument nicht. Dieser Thomas Mann hat allerdings seinen Preis. "Wie ein großes Auto", lächelt Eberhardt. "Da muss man schon was auf der hohen Kante haben." Die Buchhandlung erwartet einen hohen fünfstelligen Betrag. "Wir wollen aber nicht, dass es der Erstbeste bekommt. Das Manuskript soll jetzt nicht in die Wüste, nur weil jemand Geld hat, und dann verschwindet es dort. Unser Ziel ist schon, dass es in eine öffentliche Sammlung kommt." Aber auch einem privaten Sammler im Umkreis der Buchhandlung würden sie das Thomas-Mann-Original anvertrauen.