"Pompeji" von Eugen Ruge: Nur Pappkameraden am Vesuv
Eugen Ruges Roman "Pompeji" steht für einen nicht kleinen Teil der deutschen Gegenwartsliteratur, die, statt einfach mal eine Geschichte zu erzählen, offenbar immer irgendetwas demonstrieren muss.
Noch heute bewegt die Künste eine antike Naturkatastrophe: Im Jahre 79 n. Chr. verschüttete die Asche des Vulkans Vesuv die Stadt Pompeji am Golf von Neapel, etwa 2.000 Menschen kamen dabei ums Leben. Erst im 18. Jahrhundert wurde Pompeji wiederentdeckt und nach und nach - und bis heute noch nicht vollständig - wieder ausgegraben. Viele Maler, Musiker und Literaten haben sich vom Schicksal der Stadt und ihrer Bewohner inspirieren lassen; der jüngste von ihnen ist Eugen Ruge. Der Berliner Schriftsteller - 2011 für "In Zeiten des abnehmenden Lichts" mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet - hat jetzt seinen neuen Roman "Pompeji oder Die fünf Reden des Jowna" vorgelegt.
Radikale Kehrtwende eines Aussteigers
Klein und kläglich sind seine Anfänge. Metzgerssohn Jowna, genannt Josse, ist ein linkischer junger Mann, dem die Zähne so schief gewachsen sind, dass kaum ein Wort aus seinem Munde dringt. Aber der Ehrgeiz in ihm brennt! Seine erste Rede ist noch ganz schlicht, er hält sie im Kreise der Mitglieder des Vogelschutzvereins von Pompeji, nachdem ein griechischer Bergbauspezialist einen baldigen Vulkanausbruch vorhergesagt hat:
"Wenn man das hier ansieht, zusammenfassend, kann man wohl nur, als Außenstehender, eine Schlussfolgerung ziehen, und das wäre, dass uns, den … äh … somit Betroffenen, da der Berg sich kaum von der Stelle bewegen wird, wohl kaum etwas anderes übrig bleibt, als uns selbst von der Stelle zu bewegen." Leseprobe
Man ahnt es hier ja noch nicht, doch bald schon wird er der größte und verschlagenste Rhetoriker von ganz Pompeji sein! Gegen viele Widerstände schafft er es, eine nicht ganz kleine und langsam wachsende Zahl von Menschen davon zu überzeugen, knapp 20 Meilen entfernt, am Ufer des Meeres, ein neues Gemeinwesen zu gründen: Hier kommen Aussteigerinnen und Aussteiger zusammen, die sich in sicherer Entfernung vom Vulkan dem freien Leben - der freien Liebe vor allem! - hingeben wollen. Josse sammelt Macht und Einfluss, formt aus dem einstigen Vogelschutz- den Vulkanverein. Dann aber verleiten ihn vielfältige Interessen - ökonomische und erotische Interessen und nicht zuletzt blanker Opportunismus - zur radikalen Wende: In einer seiner fulminantesten Reden fordert er plötzlich die Rückkehr nach Pompeji. Man müsse lernen, "mit dem Vulkan zu leben".
Eugen Ruge greift auf Abziehbilder zurück
"Pompeji" ist also kein historischer Roman, sondern eine kaum verbrämte Gegenwarts-Satire. Ein historisches Vorbild für seine Hauptfigur gebe es nicht, erklärt Eugen Ruge im Nachwort seines neuen Romans - und schränkt gleich ein: "jedenfalls nicht in Pompeji". Im Grunde ist das natürlich eine Gemeinheit, vor allem gegen die Figur selbst, die sich gar nicht aus sich heraus entwickeln kann, sondern bloß eine Funktion als Pappkamerad erfüllt. In den Details, den Landschaftsbeschreibungen, auch den Porträts einzelner Zeitgenossen, etwa Plinius des Älteren, zeigt Ruge ja immer wieder, was für ein großartiger Schriftsteller er sein kann, wenn er es will. In den großen Zügen aber greift er lieber auf Abziehbilder zurück:
Der Mensch braucht eine Idee, ein Ziel, eine Beschäftigung über den täglichen Broterwerb hinaus. Er möchte für etwas eintreten, für etwas kämpfen (was auch immer bedeutet: gegen etwas). Er möchte Gefahren erkennen. Er möchte recht haben. Er möchte zu den Guten gehören. Und das alles bot der Vulkanverein gegen einen kleinen Mitgliedsbeitrag. Leseprobe
Ein Symbol für die bundesdeutsche Politik
Wer es nun immer noch nicht kapiert hat, dem fällt es dann immerhin ein paar Seiten später, bei der Festlegung der Vereinsfarbe "grün", wie Schuppen von den Ruge-Lektüre-müden Augen. All der literarische Aufwand also bloß, um sich an einer Partei abzuarbeiten und an einer ihrer zwar historischen, aber nun doch eigentlich nicht antiken Figuren:
Seine Stirnfalten schoben sich über der Nasenwurzel zusammen, und er probierte einen stechenden Blick, wodurch die Nase sich verlängerte und sein Gesicht jenen besserwisserischen, vogelartigen, man möchte sagen: staatsmännischen Ausdruck annahm, der mit der Zeit immer deutlicher hervortreten sollte.
Wie heißt dieser Mann? Jowna, Josse, Josephus. Warum nicht gleich: Joschka?
So wie Pompeji und der Vesuv hier das von Eugen Ruge so wahrgenommene Elend bundesdeutscher Politik symbolisieren, so steht dieser Roman für das Elend eines nicht kleinen Teils der deutschen Gegenwartsliteratur, die, statt einfach mal eine Geschichte zu erzählen, immer irgendetwas demonstrieren zu müssen meint.
Pompeji oder Die fünf Reden des Jowna
- Seitenzahl:
- 368 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- dtv
- Bestellnummer:
- 978-3-423-28332-8
- Preis:
- 25 €