Roman "Hotel Milano" von Tim Parks: Gefangen im Luxushotel
Der 1954 in Manchester geborene Tim Parks gilt als einer der besten Kenner europäischer Geistesgeschichte. Sein neues Buch spielt zu Beginn der Corona-Zeit: Ein Mann sitzt in einem Mailänder Hotel fest.
Ein gebildeter Autor namens Frank sitzt in seiner behaglichen Wohnung in einem ruhigen Stadtteil von London. Er soll zu einer Beerdigung nach Mailand kommen. Sein alter Freund Dan ist in New York gestorben, hatte sich aber überraschenderweise gewünscht, in Mailand neben einer früheren Geliebten beigesetzt zu werden. Dan war eine Zeitlang in der Vergangenheit auch der Geliebte von Franks geschiedener Frau Connie. Connie hat damals übrigens getobt, weil Frank nicht um sie gekämpft, ihretwegen nicht geheult und geschrien hat.
"Die Medien leben von dem, was sie anprangern"
Selbstironie, Witz und Treffsicherheit in allen Details sind die Merkmale des Lebensberichtes von Frank. Er ist ein notorischer Medien- und Nachrichtenverweigerer - seitdem er sich das Wenige, was er lesen möchte, nicht mehr selbst schreibt, sowieso.
Mir war, vermutlich in den Nullerjahren, klar geworden, dass mein Beruf langsam toxisch wurde. Vielleicht war es einst möglich gewesen, Fakten und sogar wohldurchdachte Meinungen ohne eine bestimmte Agenda zu übermitteln. Aber so war es nicht mehr. Alles war überhitzt, hastig, polarisiert. Sofortreaktionen waren gang und gäbe. Innerhalb von Stunden baute sich ein unvorstellbarer Druck auf, diese oder jene Erklärung, diesen oder jenen Protest oder Hashtag zu unterstützen. Oder abzulehnen. Und sich Stunden später dafür zu entschuldigen, ihn nicht unterstützt zu haben. Oder ihn nicht abgelehnt zu haben. (...) Zeitungsredakteure baten mich, Meinungen zu äußern, die sie vielleicht selbst gerne geäußert hätten. Oder in der Luft zerrissen hätten. Ansichten, von denen sie wussten, dass sie einen Skandal auslösen würden. Die Medien leben von dem, was sie anprangern. Leseprobe
Kluger, selbstironischer Bilck aufs eigene Leben
Wegen seiner Medienabstinenz versäumt Frank die Information, dass es nicht opportun ist, im März 2020 in ein Flugzeug zu steigen, um nach Mailand zu fliegen. Er fliegt gleichwohl nach Italien. Als er dort in einem Luxushotel in Mailand festsitzt, weil es keinen Rückflug mehr gibt, schaltet er den Fernseher ein und klickt sich durch die Nachrichten.
Ich lieferte mich aus. Große Verwerfungen und die modernen Medien, erkannte ich, waren wie füreinander geschaffen. Vor allem eine Verwerfung, die dazu führte, dass die Menschen verängstigt und allein mit ihrem Fernseher oder Computer irgendwo festsaßen. Immer wieder die gleichen Informationen. Auf allen Kanälen. Mit immer größerer Dringlichkeit präsentiert. Eine stärkere Droge als der Lotos. Ohne die selig machende Wirkung. Anscheinend gab es auch solche, die den Notfall leugneten, aber die waren entweder verrückt oder böse. Leseprobe
Unserem Helden ist natürlich klar, dass es ihn schlimmer hätte treffen können, als in einem Luxushotel festzusitzen. Er wird sich verlieben, er wird eine Flüchtlingsfamilie kennenlernen und sich nach Menschen aus seiner Vergangenheit sehnen. Aber vor allem wird er auf sehr angenehm kluge, selbstironische Art über das Leben nachdenken. Dabei sitzt man ausgesprochen gern mit ihm in dem noblen Hotel fest.
Hotel Milano
- Seitenzahl:
- 238 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Aus dem Englischen von Ulrike Becker
- Verlag:
- Antje Kunstmann
- Bestellnummer:
- 978-3-95614-563-6
- Preis:
- 24 €