Timm Kröger über seinen Film: "Je weniger man weiß, desto besser"
Timm Kröger stammt aus Itzehoe in Schleswig-Holstein und war mit seinem Film als einziger Deutscher im Wettbewerb um den Goldenen Löwen bei den Filmfestspielen in Venedig vertreten. "Die Theorie von Allem" ist nun in den Kinos.
In "Die Theorie von Allem" geht es um einen jungen Physiker, der mit seinem Doktorvater an einem Physiker-Kongress in den Schweizer Alpen teilnimmt. Wir sind im Jahr 1962. Es gibt eine mysteriöse Jazzpianistin, in die sich der Held verliebt. Es gibt Altnazis und Atomtests - es ist eine Wundertüte von Film. Vielleicht sagt der Regisseur mal, was seine Theorie zu seinem Film ist?
Timm Kröger: Der Film ist natürlich nicht nur für Kritiker gemacht, aber es macht eine enorme Freude zu lesen, was die sich so ausdenken. Der Film ist dafür gemacht, dass Leute ihre eigene Theorie entspinnen von dem, was da eigentlich vor sich geht. Die Frage "Was geht da vor sich?" kann bei manchen Menschen so lange dauern wie der Film - oder sogar noch länger anhalten. Das ist nicht nur okay so, sondern es ist von uns beabsichtigt, dass man diesen Film so wahrnimmt. Ich glaube, das macht einen großen Teil des Unterhaltungswertes aus - auch wenn es natürlich ein bisschen Frustrationspotenzial hat, weil man sich vielleicht irgendwann im Gewirr der Welt nicht mehr auskennt. Eigentlich ist aber alles ganz einfach. Das haben manche schon bemerkt.
Vielleicht können wir es dann tatsächlich etwas einfach machen: Sie sprachen schon an, es ist gewollt, das Gewirr der Welten. Je mehr man von verschiedenen Welten kennt, desto besser kann man sich dann in diesem Film auskennen. Ist das eine Voraussetzung für das Publikum?
Kröger: Nein, überhaupt nicht. Ich glaube, dass dieses Multiversen-Ding uns links und rechts, popkulturell, umgibt: Leute haben "Dark" gesehen, Leute kennen "Rick & Morty" vielleicht. Man weiß zumindest, dass die Marvel-Filme existieren. Viel mehr weiß ich selber auch nicht davon. Wir machen das aber ganz anders. Auf dreierlei Arten braucht dieser Film kein Vorwissen. Man muss kein cinephiler Mensch sein. Es hilft natürlich, aber man muss nicht alle Filmzitate erkennen. Man muss kein Physiker sein, denn der Film handelt zwar von Physik, aber benutzt sie als Metapher für seine Geschichte. Und man muss sich ganz bestimmt nicht mit Multiversen auskennen. Ich glaube, je weniger man weiß, desto besser.
Multiversum ist tatsächlich ein Stichwort. Nun könnten ja auch Zuschauer, die nicht Marvel sehen, mit dem Begriff Multiversum etwas anfangen. Denn die Vorstellung von Parallelwelten ist keine Marvel-Erfindung.
Kröger: Nein, wir haben uns eine Doktorarbeit von 1957 als Template genommen. Die ist von Hugh Everett III.. Diese Arbeit hat er fertiggestellt und die hieß später "Die Viele-Welten-Interpretation der Quantenmechanik". Es wurde so umbenannt. Die wurde Niels Bohr zum Beispiel vorgelegt und er wollte mit dem Quatsch nichts zu tun haben. Everett wurde dann Alkoholiker und hat fürs Pentagon gearbeitet. Irgendwann in den 80er-Jahren ist er gestorben und erst posthum ist seine Theorie zu dem geworden, was man heute unter den "Viel-Welten" versteht. Es hat quasi eine Grundierung in der Realität und wir haben die Formeln davon benutzt. Wir haben natürlich auch ein bisschen von seiner Lebensgeschichte entliehen und der Film macht es trotzdem auf seine ganz eigene Art.
Wir sehen eine Hauptfigur, die immer die gleiche bleibt. Es ist gar nicht so verwirrend. Er begegnet einer Frau, die Dinge über ihn weiß, die sie eigentlich gar nicht wissen kann. Früher oder später müssen wir uns fragen: Wie kann sie das eigentlich wissen? Ist sie eine Wahrsagerin oder scheint sie ihn aus einer anderen Zeit oder einer anderen Welt zu kennen - vielleicht auch als einen anderen Menschen?
Tatsächlich kommt es im Film zu einer Szene, in der sie ihm etwas erzählt, von dem sie glaubt, dass es stimmt: nämlich ein Traum, den er hatte. Er windet sich im Schlaf, hat einen Alptraum. Dann wacht er auf. Sie sitzt am Schreibtisch und sagt: Ich kann dir sagen, was du gerade geträumt hast. Dann erzählt sie ihm eine Geschichte - und die stimmt. Aber die stimmt eben nur fast. Das ist ein bisschen die Schlüsselszene des Films. An der Stelle merken wir vielleicht - aber auf jeden Fall merkt unsere weibliche Hauptfigur, dass sie es mit einer anderen Person zu tun hat. Da beginnt sich unsere Hauptfigur zu fragen, was denn hier wirklich vor sich geht.
Wie ist Ihnen die Idee zu diesem Film gekommen? Man stolpert ja auch nicht einfach zufällig über eine Theorie eines Physikers von Parallelwelten. Gibt es Vorbilder in der Literatur, im Leben? Haben Sie es geträumt?
Kröger: Nichts von alledem und alles wahrscheinlich. Die Idee kam so, wie man das kennt: Man fährt mit dem Zug durch die Gegend und dann hat man plötzlich eine Filmidee. Das kam nach dem Film "Zerrumpelt Herz", den wir zusammen gemacht haben. Der spielt 1929. Wir hatten damals schon die vage Idee, wir könnten eine Trilogie draus machen. Dann habe ich überlegt: Was könnte der nächste Film sein, ohne dass man voraussetzt, dass man den ersten Film gesehen haben muss?
Der Film sollte in den 60er-Jahren spielen, so viel wusste ich. Ich wusste, der sollte "Die Theorie von allem" heißen, weil es so ein schöner, bekloppter Titel ist. Ich habe skifahrende Physiker vor Augen gesehen, in einer Art: Erich Kästner-Pastiche-Welt trifft auf Edgar Wallace trifft auf was viel "Weirderes" ["Seltsameres"] - um einen zu nennen: David Lynch, den König des weirden Kinos. Und es war klar: Das muss im Schweizer Berghotel spielen und es gibt ein dunkles Geheimnis. Vielmehr wusste ich erst mal gar nicht. Dann kam Roderick Warich dazu, mein Drehbuchautor, mit dem ich schon länger zusammengearbeitet habe. Der hat mich über Jahre hinweg fast psychoanalytisch begleitet und versucht, aus dieser vagen Idee einen tatsächlichen Plot zu schärfen. Das war vor allem sein Verdienst.
Das Gespräch führte Bettina Peulecke.