Segler Olaf Kanter: "Die Ostsee ist in Gefahr"
Der "Spiegel"-Redakteur und passionierte Einhandsegler Olaf Kanter hat das Binnenmeer mit seinem kleinen Küstenkreuzer "Bijou" erkundet. Im Sachbuch "Binnenmeer" beschreibt er, dass es dem Meer nicht gut geht.
Die Ostsee ist erdgeschichtlich gesehen das jüngste Meer der Welt und eines der meistbefahrenen. Zudem wird sie industriell intensiv genutzt. Der "Spiegel"-Redakteur und passionierte Segler Olaf Kanter hat sie monatelang mit seinem Küstenkreuzer erkundet und nun das Buch "Binnenmeer" über die "baltische Pfütze" geschrieben, wie Günter Grass sie spöttisch nannte. Ein Gespräch.
Sie ist einerseits Deutschlands Urlaubsziel Nr. 1, gleichzeitig aber auch ein intensiv genutzter Industrieraum. Wer hat welchen Anspruch auf die Ostsee?
Olaf Kanter: Es ist in den Seerechtsabkommen festgelegt, wie groß die Hoheitsgewässer von Staaten sind. In der Ostsee drängen sie sich eng an eng. Die Ostsee gehört den Nationen, die an die Ostsee grenzen. Jeder hat da seine Parzelle und nutzt die auch ausgiebig.
An der Oberfläche glitzert sie im Sonnenschein, unter dem Wasserspiegel lauern tonnenweise Weltkriegsmunition und sogenannte "Todeszonen". Was hat es mit denen auf sich?
Kanter: Das ist erstmal eine ganz natürliche Sache. Jedes Binnenmeer dieser Größe hat diese "Todeszonen". Das sind im Prinzip Zonen, in denen Bakterien den Sauerstoff im Wasser beim Verdauen und Verarbeiten von Material, das von der Wasseroberfläche runter gerieselt ist, aufgezehrt haben wie Plankton. Alles, was nach unten rieselt, wird von Bakterien verstoffwechselt und die verbrauchen den Sauerstoff. Da bilden sich, wie im Schwarzen Meer zum Beispiel, Zonen, die sich anoxisch nennen - also sehr arm an Sauerstoff. Aber auch da gibt es noch Leben: Da leben Bakterien die andere Bestandteile verstoffwechseln, die also keinen Sauerstoff brauchen. Ich weiß aber auch nicht ganz genau, was die futtern.
In der Ostsee ist es so, dass aus allen Anrainerstaaten unheimlich viel Dünger, vor allem aus der Landwirtschaft, in die Ostsee fließt. Wir düngen im Prinzip die Ostsee mit Mitteln, die eigentlich unser Getreide wachsen lassen sollen. Dieser Dünger nährt die Algen, die sich unfassbar vermehren. Wenn man in der Ostsee ins Wasser guckt, ist es meistens sehr trübe. Man kann unter Wasser in der Ostsee nicht sehr weit gucken, weil es so trüb ist von den Plankton-Partikelchen, die im Wasser schwimmen. Die rieseln in die Tiefe. Dort werden sie von Bakterien verdaut, die den Sauerstoff aufzehren. Diese Zonen werden immer größer. Die reichen jetzt von Estland über Gotland bis Bornholm - Zonen in denen in der Tiefe kaum noch Sauerstoff ist. Das ist ein großes Problem.
Für die Anrainer ist sie seit Jahrhunderten ein bequemer Weg, Waren zu transportieren und sich auszutauschen. Aber ist daraus auch eine gemeinsame Ostsee-Identität erwachsen?
Kanter: Die Wissenschaft verfolgt in der Tat die Frage: Gibt es eine Ostsee-Identität? Haben die Staaten schon einen gemeinsamen Rahmen gefunden? Da ist die Hoffnung, dass es so etwas einmal geben wird. Man muss nur kurz in die Geschichte zurück gucken: Das war sehr lange nicht besonders friedlich. Die Skandinavier, die heute ein Herz und eine Seele sind, waren sich über Jahrhunderte spinnefeind und haben sich jährlich immer irgendwo bekriegt. Die Zahl der Kriege ist wirklich lang. Die Russen haben auch immer mitgemischt, auch bevor es die Sowjetunion gegeben hat. Die Åland-Inseln zum Beispiel waren von den Schweden, den Dänen und den Russen besetzt - immer im schnellen Wechsel. Eine aufreibende Zeit auf jeden Fall. Dann hat der Kalte Krieg und das Erbe des Zweiten Weltkriegs das Meer noch mal hart geteilt. Da war wirklich eine Grenze in der Mitte. Das hat bekanntlich 40, 50 Jahre gedauert, bis wir das überwunden haben und bis da ein Raum werden kann, der vorher so brutal geteilt war.