Studie: Fischbestände in Ost- und Nordsee dramatisch überschätzt
Aufgrund fehlerhafter Fischerei-Modelle wurden erlaubte Fangmengen laut einer Studie seit Jahren viel zu hoch angesetzt. Das trug offenbar zu einer massiveren Überfischung bei, als bisher angenommen - auch in Nord- und Ostsee.
Die weltweiten Fischbestände sind offenbar deutlich bedrohter als gedacht oder bereits sogar zusammengebrochen. Das ist das Ergebnis einer australischen Studie. Wie das Team um Graham Edgar von der University of Tasmania im Fachmagazin "Science" berichtet, wurden die vorgeschriebenen Fangmengen seit Jahren viel zu hoch angesetzt.
Kieler Ökologe Froese: Fangmengen wurden nicht ausreichend reduziert
Auch als erholt eingestufte Bestände schrumpften der Analyse zufolge in Wirklichkeit oft weiter, so der Evolutionsökologe Rainer Froese vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, Mitautor eines Kommentars zu der Studie. "Das führte dazu, dass Fangmengen nicht ausreichend reduziert wurden, obwohl es dringend notwendig gewesen wäre", so Froese. Er spricht von einer Art Kettenreakion.
Unsere Fischbestände erholen sich sehr schnell, wenn man sie nur lässt. Die wachsen sehr schnell. So ein Dorsch, der drei Jahre alt ist, verdoppelt sein Körpergewicht in einem Jahr. Rainer Froese, Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung
Froese: Fischereiwissenschaft trägt Mitverantwortung
Das Problem betreffe nicht nur die Vergangenheit. "Die bekannten Überschätzungen der Bestandsgrößen aus den letzten Jahren werden auch jetzt nicht zur Korrektur der aktuellen Bestandsgrößen herangezogen", so Froese. "Warum die zum Teil sehr unwahrscheinlichen Vorhersagen der offiziellen Modelle akzeptiert wurden und werden, ist die große Frage", so Froese. Die Fischereiwissenschaft habe die Politik jahrelang falsch beraten und trage damit einen Teil der Verantwortung für die überfischten und zusammengebrochenen Bestände, auch in Europa. "Wir müssen richtige, nachhaltige Fischereipolitik betreiben. Das ist relativ einfach, das geht auch relativ schnell. Wir können danach auch mehr Fisch essen. Wir müssen es nur endlich tun", appellierte Froese.
Hamburger Forscher: Erholung unwahrscheinlich
Die Auswirkungen zeigen sich laut Hamburger Forschern auch in der Ostsee. Die Dorsch- und Heringsbestände seien viel zu positiv geschätzt worden, was zur Überfischung beigetragen habe. Eine Erholung sei weitgehend unsicher oder sogar unwahrscheinlich, sagte Christian Möllmann von der Universität Hamburg. In Richtung der Fischereiindustrie sagte er, der Wille und das Einsehen, umsichtig und zurückhaltend zu fischen, sei oft nicht erkennbar.
230 Fischgründe untersucht
Fischerei-Modelle liefern die Basis zur Regulierung der globalen und regionalen Fischerei und gelten als ein wichtiges Werkzeug gegen Überfischung. Für die Studie untersuchten die Forscher Daten von 230 Fischgründen weltweit und glichen die Werte mit denen aus Modellen ab. Demnach wurde bei den Empfehlungen vielfach deutlich überschätzt, wie viele Fische einer Art es noch gibt und wie schnell sich ein Bestand erholen kann. Besonders bei bereits überfischten Populationen sei die Abweichung der genutzten Modelle gravierend.
Bereits im Februar diesen Jahres erklärten die drei Organisationen "Brot für die Welt", "Fair Oceans" und "Slow Food Deutschland", Deutschland habe rein rechnerisch die eigenen Fischreserven für dieses Jahr aufgebraucht.