Margot Käßmann: "Es ist an der Zeit, Haltung zu zeigen"
Der Frieden und die Friedenshaltung sind Themen, die Margot Käßmann ihr Leben lang bewegen. Sie hat sich auch offen gegen Waffenlieferungen für die Ukraine ausgesprochen. Wie sie mit Anfeindungen dazu umgeht und was dahintersteckt, erzählt sie im Interview.
Wenn Ende April in Hannover der 39. Deutsche Evangelische Kirchentag eröffnet wird, dann werden Menschen zusammenkommen, die einen Impuls haben, die Zeichen setzen wollen, die reden wollen über das, was uns angeht. Margot Käßmann, ehemalige EKD-Ratsvorsitzende und Landesbischöfin von Hannover, ist eine erfahrene Kirchentagsakteurin. Auf unzähligen Kirchentagen hat sie Podien und Messehallen bespielt. Das wird sie auch 2025 wieder tun. Außerdem ist gerade auch ihr neues Buch erschienen: "Seid mutig und stark. Es ist an der Zeit, Haltung zu zeigen". Über das, was sie bewegt, spricht Margot Käßmann in NDR Kultur à la carte mit Martina Kothe.
Der Kirchentag in Hannover findet am 30. April statt und geht bis zum 4. Mai. 2005, vor 20 Jahren, fand der Kirchentag zuletzt in Hannover statt. Das Motto damals war: "Wenn dein Kind dich morgen fragt". Damals waren Sie Landesbischöfin. Kommt der Kirchentag von 2005 jetzt besonders in Ihren Erinnerungen und Gedanken hoch?
Margot Käßmann: Der Kirchentag 2005 war für mich schon der schönste von allen. Ich war seit 1979 auf jedem Kirchentag in unterschiedlichen Rollen und Aufgaben, außer dem letzten 2023 in Nürnberg. Das heißt, ich habe viel Kirchentagserfahrung. Aber 2005 hat Hannover gestrahlt. Es war Sonnenschein über Hannover und eine große Begeisterung überall. Das erste Mal, das werde ich nicht vergessen, war auch der Abend der Begegnung. Da wurde ich mit dem Musiker Fritz Baltruweit mit einem Hebekran hochgehoben, da waren mehrere 10.000 Menschen mit Kerzen in der Hand am Abend. Wir haben einen Abendsegen erteilt, und die Menschen haben gesungen: "Der Mond ist aufgegangen". Das werde ich nicht vergessen. Das war ein wirklich spirituelles Erlebnis, an das sich viele auch gerne erinnern.
Mit welchen Hoffnungen und Wünschen blicken Sie auf das Treffen in diesem Jahr?
Käßmann: Ich finde ganz interessant, dass Hannover ganz oft mit der Friedensfrage verbunden war. Das war 1967 beim Kirchentag in Hannover, da tobte der Vietnamkrieg, und es gab gerade diese Schockwellen über Angriffe in Vietnam mit Agent Orange. Dann gab es die Unruhen in Berlin, das hat den Kirchentag sehr geprägt. Es wurde von Klaus von Bismarck damals die Formel geprägt, vom Friedensdienst mit und ohne Waffen. Das war 1967 ein ganz großes Thema.
Dann war der Kirchentag 1983, auch in Hannover, auch da gab es die Friedensfrage. Dort war das Thema Nato-Nachrüstung und Nato-Doppelbeschluss. Ich erinnere mich gut daran, da war ich jung und engagiert, Erhard Eppler war Präsident des Kirchentages und bat darum, dass diese lila Tücher nicht im Schlussgottesdienst getragen werden sollen. Der Gottesdienst sollte nicht politisch missbraucht werden. Diese Tücher standen für ein Nein zu Massenvernichtungsmitteln. Dann hatten alle heimlich ihre lila Tücher im Rucksack, in der Handtasche oder in der Jacke. Einer nach dem anderen holte es raus. Nachher war das Stadion in Hannover in Lila getaucht. Das ist noch ein Symbol vom Kirchentag 1983, das ist nun 42 Jahre her.
Trotzdem wird uns die Friedensfrage auch bei diesem Kirchentag umtreiben. Das ist eines der Themen, die für Christinnen und Christen, wie alle Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, im Moment eine ganz große Zerreißprobe ist. Ich wünsche mir, dass ein Signal ausgeht, dass sowohl die Stimmen Raum finden, die für Aufrüstung plädieren, aber auch die anderen, die davor warnen und sagen, Aufrüstung ist in Zukunft nicht der Weg, sondern wir müssen Frieden schaffen, auch ohne Waffen, durch vertrauensbildende Maßnahmen, Verhandlungen und Diplomatie. Aber das wird auf jeden Fall ein Thema sein.
Der Frieden und die Friedenshaltung sind Themen, die Sie ihr Leben lang bewegen. Sie haben sich immer eingesetzt und hatten auch keine Scheu, diese Meinung im Ukraine-Krieg zu vertreten und sich beispielsweise gegen Waffenlieferungen auszusprechen. Das ist gar nicht so leicht eine Haltung zu vertreten, die nicht von der Mehrheit vertreten wird. Was würden Sie sagen, hat sich in den vergangenen drei Jahren, vielleicht auch für Sie in dieser Frage verändert? Wie wird das öffentlich wahrgenommen, was Sie dazu gesagt haben? Was ist Ihre Erfahrung?
Käßmann: Zum einen möchte ich sagen, dass ich sowohl von meiner Familie geprägt bin, weil meine Eltern als junge Leute den Krieg erlebt haben und immer gesagt haben, es muss alles getan werden, Krieg zu verhindern. Ich bin auch friedenstheologisch geprägt worden, gerade von Vorbildern wie Martin Luther King, der immer gesagt hat: "Wir müssen in unseren Aktionen gewaltfrei bleiben, wenn wir als Christinnen und Christen glaubwürdig bleiben wollen". Das hat sich für mich auch fortgesetzt. Die erste Erfahrung war dieser Vietnamkrieg, den wir als Jüngere als Schock wahrgenommen haben, aber auch in den Kriegen, die dann folgten. Für mich hat sich mit dem Ukraine-Krieg nicht so viel geändert, wie Frau Baerbock sagte, wir sind in einer anderen Welt aufgewacht. Ich dachte, Nein, das ist die Welt des Krieges, der immer wieder Unrecht bedeutet und entsetzliches Leid mit sich bringt.
Ich habe in den letzten drei Jahren auch erlebt, dass Pazifisten und Pazifistinnen massiv angegriffen und diffamiert werden. Das finde ich nicht nur in der Kirche nicht passend, sondern auch in der Demokratie. Ich finde, es gibt den Streit um die Wahrheit und um den richtigen Weg. Was ich bedauere ist, dass die Friedensfrage von der AfD und dem BSW, so gekapert worden ist. Es wird so getan, als wenn du für den Frieden und gegen Rüstung und Aufrüstung eintrittst und du in diese Ecke gehörst. Das finde ich, ist wirklich ein Verlust, gerade auch in der politischen Mitte, dass da nicht mehr diese Stimmen ernst genommen werden und positiv sind. Ich bin auch nicht mehr in Talkshows gegangen, weil ich etwas ermüdet war, immer alleine dort zu sitzen und sich als naiv und Putin-Versteherin benennen zu lassen. Dann dachte ich: "Dazu bist du jetzt auch zu alt".
Wir sprechen über den Kirchentag in Hannover, aber auch über ihr neues Buch "Seid mutig und stark. Es ist an der Zeit, Haltung zu zeigen". Das Motto des diesjährigen Kirchentags lautet: "Mutig, stark, beherzt." Da passt ziemlich viel zusammen bei den beiden Titeln. Warum denken Sie, ist es in diesen Tagen wichtig, mutig zu sein und Haltung zu zeigen?
Käßmann: Das Kirchentagsmotto "mutig, stark, beherzt" lehnt an einen Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korinth. Die versucht er zu ermutigen, auch wachsam mutig und stark zu sein. "Beherzt" hat der Kirchentag dazugesetzt. Ich denke, viele Menschen sind im Moment doch ziemlich verzagt. Da gibt es Zukunftsangst, Zukunftssorgen, die Welt scheint sich nicht mehr positiv nach vorne zu entwickeln, wie wir das lange Zeit dachten. Nach 1989 mit dem Fall der Mauer und dem Zusammenbruch der Sowjetunion, hatte man das Gefühl, jetzt werden auch Gelder frei, die im Kalten Krieg für das Gegeneinander investiert wurden, damit wir endlich die Armutsfrage auf der Welt und die Welternährungsfrage lösen. Dass wir die Klimakatastrophe abwenden können, das ergab das Pariser Abkommen. Da war eine Hoffnungssituation.
Käßmann: Jetzt sind viele doch voller Sorgen, weil wir sehen, es werden Milliarden und Abermilliarden in Aufrüstung investiert. Die Bekämpfung der Klimakatastrophe gerät völlig in den Hintergrund, das hat man am letzten Bundestagswahlkampf und seinen Themen gut sehen können. Dabei sind das doch die Themen, die wir brauchen, damit unsere Kinder und Enkelkinder Zukunft haben. Dagegen möchte ich ein Stückchen ermutigen und sagen, wir brauchen eine Haltung. Es ist an der Zeit, Haltung zu zeigen und zu sagen, wir sind nicht einfach passiv, sondern wir bringen uns ein. Das ist Demokratie. Wir bringen uns in diese Diskussion und in diesen Diskurs ein.
Das Gespräch führte Martina Kohte. Einen Ausschnitt davon lesen Sie hier, das ganze Gespräch können Sie oben auf dieser Seite und in der ARD Audiothek hören.
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