Gottes Segen für alle: Wie sinnvoll ist "Kirche light"?
Sogenannte Kasualagenturen wollen für Taufe, Hochzeit oder Beerdigung religiöse Zeremonien liefern - auch für Menschen, die sonst nicht regelmäßig in einer Kirchengemeinde zu Gast sind.
Gehen die Kirchen mit solchen Angeboten einen zeitgemäßen, innovativen Weg - oder geraten durch so ein Serviceangebot die eigenen Ideale und der Kern des Ganzen in Gefahr? Ein Gespräch mit Uta Pohl-Patalong, Theologie-Professorin und Direktorin des Instituts für Praktische Theologie an der Uni Kiel.
Frau Pohl-Patalong, das, was Kasualagenturen anbieten, müsste doch auch jede Gemeindepfarrerin anbieten, oder?
Uta Pohl-Patalong: Auf jeden Fall - und das tun sie ja auch. Die Pfarrpersonen in den Ortsgemeinden sind Ansprechpersonen für Kasualien. Es ist aber so, dass diese Form als Zugangspunkt zu Kasualien für zunehmend mehr Menschen nicht plausibel oder nicht gerade niedrigschwellig ist. Die Ortsgemeide war lange als flächendeckendes System auch ein sinnvoller Zugang, als es noch eine relativ selbstverständliche Kirchlichkeit gab; da wusste man, wo man hin sollte. In Zeiten wie jetzt, wo Menschen sich zunehmend weniger kirchlich identifizieren, ist es günstig, auch Zugangspunkte außerhalb der Ortsgemeinde anzubieten, weil sonst die Gefahr besteht, dass die Schwelle Ortsgemeinde so hoch ist, dass Menschen dann die Taufe, die Trauung oder die Beerdigung gar nicht kirchlicherseits nachfragen oder andere Wege suchen. Es ist also ein neuer und zusätzlicher Zugangspunkt.
Mittlerweile ist weniger als die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland konfessionell gebunden. Ist dieses Angebot auch für Menschen gedacht, die überhaupt nicht Mitglied in der Kirche sind?
Pohl-Patalong: Bei den Kasualagenturen ist es in der Regel so, dass das Angebot dezidiert für alle offen ist. Und zwar aus der Erkenntnis heraus, dass der Segen Gottes für alle zugänglich sein soll, dass er nicht an Zugangsbedingungen gebunden ist, sondern dass er allen Menschen gilt. Wir haben eine Tradition, die Kasualie mit Kirchenmitgliedschaft verknüpft - das war auch in Zeiten sinnvoll, wo man davon ausgehen konnte, dass die damals wenigen Menschen, die nicht in der Kirche waren, sich auch dezidiert gegen eine christliche religiöse Orientierung entschieden haben. In Zeiten wie heute, wo es kein eindeutiges Bekenntnis gegen die christliche Religion ist, nicht in der Kirche zu sein, wird es schwierig, wenn ich den Segen Gottes an formale Zugangsbedingungen knüpfe.
Man könnte das auch eine "McDonaldisierung" nennen; es ist auf jeden Fall eine Form der Dienstleistung. Das wird doch sicherlich in der Kirche intern zum Teil kritisch gesehen, oder nicht?
Pohl-Patalong: Ja, das kann durchaus kritisch gesehen werden. Dieses Wort "Dienstleistung" wird tatsächlich auch immer mal wieder angeführt und auch kritisch gesehen. Ich würde sagen: Ja, die Kirche ist Dienstleisterin, und zwar leistet sie den Dienst, dass sie Räume bereitstellt und Angebote macht, wo Menschen mit Gott in Kontakt kommen können. Das ist ein Dienst an den Menschen und an dem Evangelium. Deswegen würde ich sagen, ist sie Dienstleisterin im besten Sinne des Wortes. Von daher würde ich dieser Kritik nicht folgen, sondern sagen, dass es gerade die Aufgabe der Kirche ist, möglichst niedrigschwellig Menschen Möglichkeiten zu geben, mit Gott in Kontakt zu kommen.
Ein anderes Argument wäre der Wunsch nach großen Events, den wir in der Gesellschaft spüren, die möglichst auch auf Social Media abbildbar sind. Wie wägen die Agenturen das ab, damit das nicht einfach eine große Schau wird?
Pohl-Patalong: Das tun sie in Kontakt mit den Menschen. Da geht es nicht darum, zu sagen: Hier sind unsere Normen, und die müsst ihr erfüllen; das geht, und das geht auf gar keinen Fall. Sondern sie bemühen sich darum, mit den Menschen, um die es geht, herauszufinden, was ihre Anliegen sind, ihre Wünsche, ihre Träume, ihre Hoffnungen. Wie kann man das so umsetzen, dass es eine Form findet, die dem Paar, den Eltern oder den Hinterbliebenen im Fall der Beerdigung gerecht wird, aber die auch dem Rahmen gerecht wird und dass alle Beteiligten das Gefühl haben: Ja, so passt das. Der Ansatz, den ich vertrete, traut dem christlichen Glauben und der christlichen Tradition viel zu: nämlich dass die christliche Tradition für heute lebendig, interessant, lebensdienlich und hilfreich ist und dass sie nicht an bestimmte Formen gebunden ist, wo die Kirche den Daumen drauf haben müsste.
Wo liegt das Problem in den althergebrachten Ritualen, die Kirche anbietet? Ist es der sonntägliche Gottesdienst, wo die Taufe dazugehört? Ist es der Kirchenraum, der abschreckt? Sind es die oft großen steinernen Gebäude? Oder sind es die Rituale, die nicht genug erneuert wurden?
Pohl-Patalong: Ich glaube, es ist tatsächlich eine Frage, wohin sich die Gesellschaft entwickelt hat und wie die Kirche darauf bisher eingegangen ist. Ich glaube, dass die klassischen Rituale wie der Sonntagsgottesdienst in der Zeit, wo sie entstanden sind, eine hohe Plausibilität hatten, aber in den heutigen Zeiten die Formen für Menschen, die nicht damit aufgewachsen sind, tatsächlich schwer zugänglich sind. Religionswissenschaftlich muss man auch sagen, dass der klassische Sonntagsgottesdienst eigentlich ein Vergewisserungsritual einer bestehenden Gemeinschaft ist. Und unsere Ansprüche an den Gottesdienst, dass er lebensdienlich ist, dass er Menschen in ihrer Situation heute etwas sagt, dass er ihnen vielleicht auch eine Auszeit vom Alltag bietet, ist da nur sehr begrenzt mitgedacht. Ich glaube, dass wir die Traditionen häufiger in neue Formen überführen müssen, damit sie ihre Chancen und ihre Kraft entfalten. Menschen haben zunehmend ein stärkeres Gespür, was ästhetisch zu ihnen passt. Das kann die Kirche sein, aber es kann auch ein anderer Ort sein. Theologisch ist der Segen Gottes nicht an den Kirchraum gebunden.
Das Gespräch wurde geführt von Mischa Kreiskott.
