Bildschöne Bücher: "Kaffeemilch Kaffee Keks Topfen Marillen"
Fast jeder von uns hat schon mal eine Einkaufsliste geschrieben. Ein neuer Bildband widmet sich diesen vermeintlich belanglosen Zetteln und zeigt ihren Inhalt als altmeisterliche Stillleben.
Ein Holztisch, darauf ein krustiges Bauernbrot, Tomaten, drapierte Türme aus Mandarinen, Äpfeln, Kaiserbrötchen - und Toilettenpapier-Rollen. Vor dem tiefschwarzen Hintergrund leuchten die Lebensmittel. Die polierte Obsthaut glänzt wie Wachs, das Brot sieht frisch gebacken und herrlich duftend aus. Sofort erinnert das Gemälde an Stillleben der Alten Meister. Nur Drogerieartikel kamen damals nicht mit aufs Bild.
Laura Nitsches originelle Idee
Mit Hingabe sammelt die Wiener Künstlerin Laura Nitsche seit 2004 Handgeschriebenes aller Art. Ihre Leidenschaft nimmt amüsante Ausmaße an: "Ich halte Ausschau auf Parkplätzen, auf der Straße, in Schulen, Einkaufszentren, in Einkaufswagen, ja ich habe in desperaten Zeiten sogar in Mistkübel geschaut und Zettel entnommen."
Laura Nitsches liebster Fund: Einkaufslisten. Hunderte davon hat sie aufgehoben, entknüllt, von Sand befreit, teilweise entziffert - und zuhause aufbewahrt. Akribisch kauft sie die Listen nach und interpretiert sie als Öl-Malerei auf der Leinwand. Ihre selbst auferlegte Regel: Nichts dichtet sie hinzu. Das Bild soll authentisch bleiben.
Künstlerisch sind die Bilder präzise und beeindruckend naturalistisch. Der Clou ist jedoch die originelle Idee dahinter. Auf einer fein gedeckten Tafel mit hübscher Tischdecke und Blumenvase thront in der Mitte: eine Milchschnitte - so festlich inszeniert, wie es vor 500 Jahren für eine Torte typisch gewesen wäre. Wir schmunzeln.
Ein kurzer Blick in fremde Leben
Krakelige, schnörkelige, temperamentvolle Handschriften. Der Bildband zeigt jeweils das Gemälde neben dem Zettel, der dazu inspiriert hat. Etwa einen rätselhaften Schnipsel, gefunden 2018: "Nußbrot, Kaffee, Leberkäs, Gurkerl, Weißwein, Liptauer Salami, Tomaten" und darunter eine lange Rechenaufgabe, die 665 ergibt. Ob es sich um das restliche Monatsgeld nach erledigtem Einkauf handelt?
Anonym bleiben die Zettelschreiber, ungeklärt ihre Pläne mit dem Eingekauften. "Zwieback, Suppengrün, Karotten" - hat da jemand einen verstimmten Magen?
"Tomatensauce, geriebener Käse, Schinken, Käse, Tomaten, Paprika" - hier gibt‘s heute Pizza.
Ein kurzer Blick in fremde Leben. Im Buch philosophieren Autorinnen und Autoren über die Bedeutung der Zettel. Die Volkskundlerin Edith A. Weinlich zum Beispiel: "Sie sind ein Haltegriff des Alltags und zugleich ein sehr persönliches Dokument. Zwischen Auftrag und Altpapier, zwischen Erinnern und Vergessen. Eine Mischung von Notwendigkeit und Nichtigkeit, von Essenz und Überrest."
Konsumkritik: Stillleben vs. Müllleben
Nach erfülltem Zweck sind die Zettel wertlos. Klar, im Zentrum dieser Kunst steht die Befriedigung von Wünschen und Gelüsten, das Kaufen und Verzehren. Konsequenterweise schwingt auch Konsumkritik mit: Laura Nitsche stellt einigen ihrer Stillleben sogenannte Müllleben gegenüber. So sehen wir links ein Bild mit Äpfeln, einem Glas Milch und zwei Scheiben Presskopf. Rechts wiederum: der leere, gefaltete Milchkarton, Pappe und zerknüllte Folie.
Was brauchen wir wirklich? Was bleibt davon zurück? Ein hochinteressantes künstlerisches Projekt, clever und entschlossen umgesetzt. Gleichzeitig ist es eine Liebeserklärung an eine unterhaltsame, fast literarische Textgattung.
"Öl, Katzenfutter, Eierlikör".
Kaffeemilch Kaffee Keks Topfen Marillen
- Seitenzahl:
- 144 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Zusatzinfo:
- 96 Abbildungen in Farbe
- Verlag:
- Hirmer
- Bestellnummer:
- 978-3-7774-4049-1
- Preis:
- 34,90 €