Wie man Elon Musk und dem Überwachungs-Kapitalismus trotzt
Die Übernahme Twitters durch Elon Musk hat auch Gutes bewirkt: Vielen Menschen ist klar geworden, dass eine bessere digitale Welt nötig und möglich ist. Gedanken zur Zeit des Netzaktivisten Markus Beckedahl.
Die vergangenen 15 Jahre haben wir uns als Menschen und als Gesellschaft von Plattformen abhängig gemacht, die in der Hand von immer weniger Unternehmen liegen. Zwei Beispiele nur:
Der Facebook-Gründer Mark Zuckerberg kontrolliert neben dem Sozialen Netzwerk durch frühe Aufkäufe auch die Foto- und Videoplattform Instagram und den Messengerdienst WhatsApp, der nicht nur in Deutschland auf fast jedem Handy installiert ist. Und der chinesische Konzern Bytedance betreibt TikTok, das vor allem in den vergangenen Jahren immer größer und einflussreicher geworden ist.
Wir haben uns daran gewöhnt, dass solche Apps und Dienste bequem sind. Sie erscheinen uns nützlich, um mit anderen Menschen zu kommunizieren, uns zu informieren oder einfach nur uns selbst darzustellen. Ein Fernseh- und Radiostudio in der Hosentasche, um senden zu können. Davon hatte ich als Kind geträumt.
YouTube, Facebook, WhatsApp: Das Geschäft des Überwachungskapitalismus
Doch die Plattformen haben einen entscheidenden Nachteil: Es sind nicht die demokratischen Marktplätze, die wir aus der realen Welt kennen. Es sind privatisierte Öffentlichkeiten, betrieben von Unternehmen mit kommerziellen Interessen.
Sie funktionieren nach Mechanismen, die für uns meist nicht nachvollziehbar sind. Und sie geben einseitig die Regeln vor. Sei es in Form sehr langer Allgemeiner Geschäftsbedingungen, die wir aus Faulheit und Alternativlosigkeit nie lasen, wenn sie wieder einseitig und zu unserem Nachteil geändert wurden. Sei es durch technische Voreinstellungen und passende Designs, die uns leiten und uns vorgeben, wie wir kommunizieren können.
In Echtzeit erheben diese Unternehmen Daten von Milliarden Nutzer*innen. Ihre Forschungsabteilungen finden damit präzise heraus, wie uns Veränderungen in Technik und Design immer noch stärker motivieren, dort aktiv zu bleiben.
Das Stichwort dahinter heißt Überwachungskapitalismus. Das eigentliche Geschäftsmodell von YouTube, Facebook, TikTok und Co. ist es nämlich, unsere Aufmerksamkeit zu binden, damit wir möglichst viel Zeit auf diesen Plattformen verbringen und zu möglichst vielen Interaktionen motiviert werden - sodass bei jedem Klick und Scrollen Datenpunkte gesammelt und unserem Profil hinzugefügt werden können. Daraus lässt sich dann berechnen, wofür wir uns interessieren könnten, um uns personalisierte Werbung auszuspielen.
Die negativen Nebenwirkungen der digitalen Welt
Diese Mechanismen führen leider zu vielen negativen Nebenwirkungen der digitalen Welt. Intransparente algorithmische Entscheidungssysteme sorgen dafür, dass polarisierende Inhalte bevorzugt geteilt und uns ausgespielt werden. Denn damit wird für mehr Interaktion gesorgt, man zeigt, dass man dafür oder dagegen ist - und hinterlässt dabei weitere Datenpunkte. Das haben sich früh Akteur*innen zu Nutze gemacht, die Hass, Hetze und Desinformation verbreiten wollen. Sie fanden die passenden Werkzeuge vor.
Das wollen wir zwar in der Regel nicht. Aber weil viele andere Menschen auch dort aktiv sind, trauen wir uns nicht zu anderen Netzwerken zu wechseln. Das nennt man LockIn-Effekt, wir sind kollektiv gefangen, weil ein Netzwerk vor allem dann relevant für uns erscheint, wenn viele Menschen dort zu erreichen sind. Es gibt zwar datenschutzfreundliche und sichere Messenger-Alternativen, wie den Open-Source Messenger Signal, trotzdem bleibt die große Masse bei WhatsApp, weil es bequemer erscheint.
Zumindest in Sachen Regelsetzung gibt es etwas Hoffnung durch die Politik. Recht spät hat sie auf europäischer Ebene Regeln zur sogenannten Plattformregulierung geschaffen und möchte sie ab dem kommenden Jahr auch gegenüber den Plattformen durchsetzen. Damit endet hoffentlich die Zeit, in der diese Unternehmen machen konnten, was sie wollten. Aber ob diese Regeln funktionieren werden, steht und fällt auch mit der Frage einer funktionierenden Aufsicht. Ob es die geben wird, bleibt unklar.
Wie Elon Musk Twitter verändert
Wenn es eine Plattform gibt, für die die Bezeichnung globale Öffentlichkeit passte, dann war das Twitter. Für mich als Journalist und Aktivist wurde die Plattform in den vergangenen 15 Jahren zu einem wichtigen Werkzeug, um meine Anliegen zu kommunizieren, mich zu vernetzen und darüber informiert zu sein, was in meinen Themenfeldern und Interessensgebieten passierte.
Im November waren dann viele geschockt, als der exzentrische Milliardär Elon Musk seine Ankündigung umsetzte, die Plattform Twitter zu kaufen. Ich habe in den vergangenen 15 Jahren oft dafür plädiert, dass wir dezentrale und offene Kommunikationsinfrastrukturen brauchen, um eben nicht von Unternehmen und ihren Entscheidungen abhängig zu sein. Und dann kam Elon Musk, der tagtäglich eigenmächtig Regeln nach Belieben ändert und willkürlich anwendet. Und der gleichzeitig massiv eine ideologisch gefärbte Diskursverschiebung nach Rechtsaußen betreibt - ob er nun politisch motiviert handelt oder nur denkt, dass er damit mehr Geld verdienen kann.
Fediverse: Ein transparenter Kommunikationsraum
Aber man muss ihm fast schon danken. Denn seit seiner Machtübernahme ist die Sehnsucht und Hoffnung nach gemeinwohlorientierten Alternativen für den Betrieb sozialer Infrastrukturen im Netz massiv gestiegen. Es gab sie auch schon vorher, die Pflänzchen und Kommunikations-Oasen, die anders betrieben werden: Wo kein Unternehmen dahinter steht, das die Infrastruktur kontrolliert und uns komplett überwacht. Wo Menschen in Communitys zusammenarbeiten, der Sourcecode offen liegt, gemeinsame Entscheidungen über die Weiterentwicklung getroffen werden. Wo viel mehr Transparenz darüber herrscht, warum was wie funktioniert. Wo wir uns als Nutzer*innen entscheiden können, ob uns die Regeln gefallen. Und wo wir trotzdem mit anderen kommunizieren können, weil alles miteinander offen vernetzt ist.
Dieser Kommunikationsraum nennt sich Fediverse und funktioniert, etwas vereinfacht erklärt, wie eMail. Auch bei der Wahl unseres Mailanbieters können wir in der Regel frei entscheiden. Gehen wir zu großen oder kleinen kommerziellen Anbietern oder betreiben mit entsprechender Expertise sogar unseren eigenen Mailserver? Wir haben die Freiheit. Und offene Standards sorgen dafür, dass die Mails trotzdem überall ankommen.
Mastodon: Die Twitter-Alternative
Der bekannteste Dienst im Fediverse ist Mastodon. Die Plattform wurde zum Sehnsuchtsort vieler Twitter-Flüchtlinge, weil sie ähnlich funktioniert. Eine Konzentration auf Text, aber mit der Möglichkeit, Videos, Bilder und Links zu senden, eine chronologische Timeline, wo nicht algorithmische Entscheidungssysteme intransparent entscheiden, was uns angezeigt wird. Und damit verbunden: Unabhängigkeit von Mechanismen, die uns an Plattformen binden wollen, um mit unseren Daten Geld zu verdienen.
Zum ersten Mal gibt es also berechtigte Hoffnung, dass viele Menschen sich an Alternativen gewöhnen könnten, die noch nicht so bunt und fancy sind wie die durchkommerzialisierten Plattformen mit ihren süchtig machenden Funktionen. Denn viele bleiben auf Mastodon länger als nur ein paar Tage, sie richten sich dort fest ein. Weil andere auch gekommen sind und man nicht allein dort ist.
Auch bei Mastodon und im Fediverse wird nicht alles bunt und rosig sein. Auch hier wird es früher oder später Menschen geben, die Hass und Desinformation verbreiten.
Förderung von Fediverse-Infrastrukturen - eine staatliche Angelegenheit?
Spannende Debatten werden sich darum drehen, wie Content-Moderation ehrenamtlich betrieben werden kann oder wie wir dafür bessere Lösungswege finden als in der Vergangenheit. Wir werden darüber diskutieren müssen, inwieweit das Betreiben auch eine Förder-Aufgabe sein sollte, die der Staat im Rahmen der öffentlichen digitalen Daseinsvorsorge finanzieren könnte.
Damit meine ich nicht, dass das Bundesinnenministerium demnächst Server betreiben soll. Dort würde man sich wahrscheinlich mehr Gedanken über die Überwachungsmöglichkeiten als um die Sicherheit machen.
Aber es gibt schon staatliche Fördertöpfe für Open-Source-Projekte. Eine Ausweitung solcher Aktivitäten wäre durchaus möglich. Oder Kommunen könnten sich zusammenschließen und Server für ihre Bürger*innen betreiben.
Die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
Es gibt weitere Möglichkeiten: Der Staat könnte das digitale Ehrenamt stärken sowie das Entwickeln und Betreiben gemeinwohlorientierter digitaler Infrastrukturen gemeinnützig machen, damit Spenden von der Steuer abgesetzt werden können.
Auch stellt sich die Frage, ob die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im Fediverse eine größere und staatsferne Rolle spielen könnten. Eine Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Mitte des 21. Jahrhunderts sollte auch darin bestehen, gemeinwohlorientierte Medieninfrastrukturen zu finanzieren und zu betreiben, die gerade nicht dem Überwachungskapitalismus unterliegen. Damit wir demokratischere Öffentlichkeiten schaffen, die anders funktionieren.
Die Übernahme Twitters durch Musk hat auch etwas Gutes bewirkt: Vielen Menschen ist klar geworden, dass eine bessere digitale Welt nötig und möglich ist. Setzen wir uns also daran, sie gemeinsam zu entwickeln.