Volker Schlöndorff zum Filmförderungsgesetz: "Die Branche atmet auf"
Volker Schlöndorff spricht im Interview über das beschlossene Filmförderungsgesetz und über die deutsche Filmkultur. Außerdem blickt der Regisseur zurück auf ein feucht-fröhliches Weihnachtswochenende mit Brigitte Bardot und Jeanne Moreau.
Ein Film ist immer ein Gesamtkunstwerk, an dem viele Gewerke lange basteln, bevor er auf die Leinwand kommt. Das kostet Zeit und vor allem auch Geld. Filmförderung ist der Treibstoff, der die europäische Filmindustrie am Laufen hält. Das bisherige Filmfördergesetz läuft Ende des Jahres aus, und fast in letzter Minute hat das Parlament Donnerstagabend eine Reform gebilligt. Ohne den Beschluss hätte ab Januar eine Lücke in der Finanzierung deutscher Filmprojekte gedroht.
Selbst Volker Schlöndorff, einer der Altmeister der Branche und einer der bekanntesten Regisseure hierzulande, kriegt nach eigenen Angaben keine Finanzierung für Filmprojekte zusammen. Gemeinsam mit Tom Tykwer und Wim Wenders hatte er Alarm geschlagen, und war selbst am Donnerstag im Deutschen Bundestag bei dieser "Spätvorstellung" im Plenarsaal.
Herr Schlöndorff, herzlich willkommen bei NDR Kultur.
Volker Schlöndorff: Hallo. Wir waren tatsächlich in der Spätvorstellung auf einen Horrorfilm gefasst. Es ist glimpflich ausgegangen, vielleicht kein Weihnachtsfilm, aber es ist doch so, dass die Branche erst mal aufatmet.
Wie groß ist denn das Aufatmen? Es wurde ja nicht alles umgesetzt.
Schlöndorff: Nach der Aufregung der letzten zwei Wochen, wo wir uns Gott sei Dank lautstark eingemischt haben, ist plötzlich Bewegung in eine Sache gekommen, die seit drei Jahren so vor sich hingedümpelt ist - was vollkommen unverständlich ist. Deshalb hat zum Beispiel die CDU dagegen gestimmt, weil die sagen: So wenig nach so langer Zeit. Aber wir hatten ja Angst, dass gar nichts kommt. Wir alle haben Projekte in der Pipeline, und es muss ja weitergehen. Und nun haben wir ein Rahmengesetz, was in Ordnung ist. Was fehlt, ist die Finanzierung für dieses Gesetz, auch aufgrund der Haushaltssperre, die im Augenblick mangels Regierungseinigung herrscht. In letzter Minute, um 19 Uhr, hat sich der Bundeskanzler mit dem Finanzminister, dem neuen Übergangsminister, zusammengesetzt und die haben tatsächlich eine konkrete Förderung im Sinne dieser Steuerabschreibung von 30 Prozent durchgesetzt.
Die Ampel-Partner haben sich also noch einmal zusammengerauft, weitere Reformschritte sollen aber folgen. Denn das Gesetz ist ja nur die erste Säule eines Konzepts - es gibt aber noch zwei andere, oder?
Schlöndorff: Ja, Frau Roth hat drei Säulen angekündigt: dieses Gesetz, das den Rahmen bildet; dann sollten die Fördertöpfe durch eine Abgabe der Streamer aufgefüllt werden. Denn Amazon und so weiter leben ja davon, dass sie Spielfilme ausstrahlen, und die müssen sich auch daran beteiligen, dass solche Spielfilme wieder entstehen können. Sie müssen einen Teil in den Fördertopf zahlen, so wie das ARD, ZDF und die Privaten auch tun. Die dritte Säule ist das, was in ganz Europa ist: dass Produktionen, die einen gewissen Umsatz im Land machen, einen Teil dieses Umsatzes zurückbekommen. Das ist in dem Sinne kein Steuergeld, sondern das ist Geld, was der Staat durch diese Produktionen, die ins Land kommen, eingenommen hat. Das Größte ist immer noch das, was wir selbst durch die Abgabe an der Kinokasse aufbringen.
"Jeder einzelne im Publikum mag ein Depp sein", haben Sie mal gesagt, "aber zusammen sind diese Leute ein Genie."
Schlöndorff: Zitiert nach Billy Wilder.
Das war bezogen aufs Filmpublikum - gilt das aber auch bezogen auf die Abgeordneten im Bundestag, die das fast in letzter Minute noch so entschieden haben? Ich höre raus, dass Sie insgesamt zufrieden sind, aber restlos ja nicht.
Schlöndorff: Es war eine eigenartige Stimmung. Ich habe mir seit Bonn nicht mehr die Mühe gemacht, einer Debatte im Bundestag beizuwohnen. Mit mir waren Leander Haußmann, Detlef Bach und andere. Von den vielen Abgeordneten sind ungefähr noch 80 oder 90 zu später Stunde dagewesen. Das ist ja schon symptomatisch, dass wir da auf den letzten Drücker noch verabschiedet werden - aber immerhin zwischen Mindestlohn-Mitbestimmung und Altersversorgung, also ganz wichtigen Punkten. Wir waren überrascht, wie wenige Abgeordnete sich für Film interessieren.
Was so ein Gesetz nicht vermag, ist, den Stellenwert des Films als wichtiges Kulturgut wieder höher zu hängen. Wie ginge das?
Schlöndorff: Das ist genau die Preisfrage. In den 60er-Jahren blühte der französische Film, ich hatte dort gelernt, kam nach München, und wir wollten endlich Filmkultur in Deutschland einführen. Heute, ein Dreivierteljahrhundert später, kann man sagen: Es gibt bei uns eine Filmkultur, und es gibt begeisterte Filmfans in den Programmkinos, aber wir haben weniger als die Hälfte der Besucher, die es in Frankreich gibt. In Frankreich kann man mit Film sogar als Hauptfach im Abitur durchkommen. Die Filmkultur bei uns gehört noch sehr entwickelt. Dass man zum Beispiel zumindest 50 Filme kennen müsste, wenn man die Schule verlässt, und auch mal lernt, zu analysieren. Wir leben in einem dauernden audiovisuellen Strom, wir werden manipuliert von früh bis spät. Man müsste doch diese Sprache lernen, damit man sie durchschaut. Wir wünschen den nächsten Generationen viel Spaß dabei.
Machen wir einen kurzen Schwenk zu Ihren Projekten: Wie weit sind die Planungen für Ihren Vivaldi-Film?
Schlöndorff: Der Vivaldi-Film ist erst mal nach hinten geschoben. Daran habe ich zwei Jahre mit französischen und italienischen Partnern gearbeitet. Es sollte in italienischer Sprache, mit echten Musikern sein. Und dann ist uns plötzlich eine andere italienische Produktion zuvorgekommen, von der wir nichts wussten. Die haben bereits im Oktober ihren Film gedreht, und wir müssen jetzt erst mal abwarten, ob danach noch wieder Platz ist. Aber Gott sei Dank hatte ich ein zweites Projekt, schon seit Jahren, nämlich nach Jenny Erpenbecks Roman "Heimsuchung". Jenny Erpenbeck war verhältnismäßig unbekannt, bis sie im letzten Sommer diesen Booker-Preis für ihr Buch "Kairos" bekommen hat, auch ein wunderbarer Roman. Aber ich möchte "Heimsuchung" verfilmen, habe das Drehbuch fertig, habe mit Lars Eidinger und Martina Gedeck ganz tolle Schauspieler und hoffe, dass ich im August drehen kann - mithilfe des neuen Filmfördergesetzes.
Wie werden Sie die Festtage verbringen? Und welches ist Ihre stärkste Erinnerung an dieses Fest?
Schlöndorff: Ich werde das mit meiner Tochter und ihrem Verlobten in der Wohnung in Berlin verbringen. Meine stärkste Erinnerung ist beinah unsittlich: Ich war Regieassistent in Mexiko bei dem Film "Viva Maria!" mit Brigitte Bardot und Jeanne Moreau, und wir sind über das Weihnachtswochenende nach Acapulco gefahren und haben uns dort ganz furchtbar betrunken. Es war ganz herrlich. Wir haben zu mexikanischer Musik getanzt, gesungen und getrunken.
Das Gespräch führte Philipp Cavert.