Sonja Lachenmayr über Geschlechter-Gerechtigkeit im Dirigierberuf
Die freiberufliche Dirigentin Sonja Lachenmayr spricht im Interview über das von ihr gegründete New World Orchestra - das erste nachhaltige Orchester dieser Art - und darüber, warum es in ihrem Beruf noch zu wenige Frauen gibt.
Die ausgebildete Jazzsängerin Sonja Lachenmayr ist seit einem Jahr freiberufliche Dirigentin und hat das New World Orchestra gegründet, das gleich auf zwei Ebenen spannend ist: Es handelt sich um ein nachhaltiges Orchester, und auch die Strukturen sollen moderner, zeitgemäßer gestaltet werden.
Frau Lachenmayr, was ist der jungen, nachwachsenden Generation heute wichtig?
Sonja Lachenmayr: Ich glaube, der Generation ist vor allem wichtig, dass es allen Generationen nach uns auch noch genauso gut geht, dass sie den gleichen oder einen noch schöneren Planeten vorfinden, als wir ihn heute haben, und aus den gleichen oder noch volleren Ressourcen schöpfen können.
Wie kann ich mir das vorstellen in Bezug auf ein "nachhaltiges" Orchester?
Lachenmayr: Auf der einen Seite versuchen wir, die Strukturen innerhalb des Ensembles so nachhaltig wie möglich zu gestalten. Das heißt, wir versuchen, eine Gesprächskultur zu etablieren, die offen ist, und gleich von vornherein unsere Werte im Miteinander festzulegen. Das ist etwas, was bei Orchestern, die es schon sehr lange gibt, oft erst sehr spät passiert. Zum anderen versuchen wir auch, Nachhaltigkeit in unsere Konzertabläufe zu integrieren, mit den Veranstalter*innen in den Kontakt zu treten und zu überlegen, wo Prozesse nachhaltiger gestaltet werden können: Braucht man wirklich so viele Programmhefte? Braucht man überhaupt gedruckte Programmhefte? Was haben wir für eine Bewirtung an dem Abend? Kann die vielleicht vegetarisch oder vegan sein? Könnten es vielleicht regionale Produkte sein? Kann in der Reinigung im eigenen Haus noch etwas verändert werden? All diese Themen spielen da mit rein.
Wie sieht es in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit aus? Ist das auch ein Schwerpunkt?
Lachenmayr: Das ist auf jeden Fall ein Schwerpunkt, weil das auch eines der 17 Nachhaltigkeitsziele ist. Wir versuchen uns darin, aber es ist durchaus herausfordernd, weil sich eine Parität in einem Berufsfeld nur bedingt herstellen lässt, indem es eben auch um Qualität geht. Man hat zum Beispiel bei bestimmten Instrumentengruppen Schwierigkeiten gleich viele Frauen zu finden, die das Instrument gleich gut spielen. Es liegt aber nicht daran, dass die Frauen das schlechter könnten als die Männer, sondern dass es Instrumentengruppen gibt, bei denen es grundsätzlich viel weniger Frauen auf dem Markt gibt. Zum Beispiel im Schlagwerk-Bereich oder bei den Blechbläsern ist es manchmal gar nicht so einfach, auf Parität zu achten.
Dabei könnten Frauen es vermutlich genauso gut - genauso wie zu dirigieren. Sie haben sich dafür entschieden, Dirigentin zu werden. Sind Sie in ihrer Ausbildung auf Schwierigkeiten gestoßen?
Lachenmayr: Nein, das kann man so nicht sagen. Ich hatte das Gefühl, dass mir immer mit Respekt begegnet wurde und dass ich nie aufgrund meines Frauseins benachteiligt wurde. Ich hatte sogar hin und wieder das Gefühl, dass das Frausein in diesen Zeiten sogar ein Vorteil in diesem Beruf ist. Einfach deshalb, weil es noch immer recht wenige Frauen gibt, die den Beruf ausüben, und sich der ein oder andere Veranstalter, die eine oder andere Veranstalterin auch freut, wenn man eine Frau ans Pult holen kann. Aber ich habe auch von Kolleginnen gehört, die schon Probleme hatten aufgrund ihres Frauseins. Insofern weiß ich, dass das ein Thema ist und setze mich da auch gerne für ein, soweit ich es kann.
Wie sieht es denn an den Hochschulen heute aus? Unterrichten da immer mehr Frauen oder sind es vor allem noch die Männer?
Lachenmayr: Im Orchesterleitungsbereich gibt es in ganz Deutschland meines Wissens immer noch keine Professorinnen. Im Chorleitungsbereich sieht es ein bisschen anders aus. Ich persönlich hatte in meiner ganzen Laufbahn nur ein einziges Mal Unterricht von einer Frau - ansonsten waren das ausschließlich männliche Dirigierprofessoren. Ich habe wahnsinnig viel von denen gelernt und ich hatte nicht das Gefühl, dass da das Thema Frausein von meiner oder deren Seite ein Problem gewesen wäre. Aber ich habe mich oft gefragt, ob ich vielleicht anders dirigieren und anders leiten würde, wenn ich mehr von Frauen hätte lernen können.
Woran liegt es denn, dass die Frauen im Moment noch nicht an die Hochschulen gehen?
Lachenmayr: Ich glaube, es liegt daran, dass die Frauen, die so qualifiziert wären und auch in dem Lebensabschnitt und mit der Erfahrung da stehen, noch relativ wenige sind. Wir brauchen, glaube ich, einfach noch ein bisschen Zeit, bis da genug Frauen nachgekommen sind, die sowohl den künstlerischen Weg schon bestritten haben, als auch das Interesse haben, pädagogisch tätig zu werden. Momentan haben wir einige Dirigentinnen, die einen großartigen Job leisten, aber die rein künstlerisch tätig sind.
Wissen Sie noch, wie es für Sie war, als Sie das erste Mal eine Frau am Pult gesehen haben?
Lachenmayr: Ja, ich habe mich wahnsinnig gefreut, und ich war sehr beeindruckt, weil es für mich nicht alltäglich war. Meine erste Dirigentin, die ich live am Pult gesehen habe, war Marie Jacquot - da war ich aber auch schon ungefähr 25 Jahre alt. Davor waren das immer nur Männer, die ich am Pult gesehen habe. Natürlich konnte man sich auf YouTube sämtliche Frauen anschauen, die es schon gibt. Aber es macht natürlich etwas mit einem, wenn das nicht der normale Alltag ist.
Gibt es vielleicht einen anderen Zugang von Frauen, was das Dirigieren angeht?
Lachenmayr: Wahrscheinlich gibt es von jedem Menschen einen komplett anderen Zugang. Ich habe so unglaublich unterschiedliche Männer und so unglaublich unterschiedliche Frauen in diesem Dirigierberuf erlebt, dass ich das nicht pauschalisieren könnte auf Männer oder Frauen. Sondern jeder Mensch geht ganz anders ran. Es kommt immer darauf an, wie man vorgebildet ist, ob man vom Instrument kommt oder von der Stimme oder einfach nur von der Musik, vom Hören. Was ich sagen kann, ist, dass ich das Gefühl habe, dass die Frauen immer besser sein müssen als ein mittelmäßiger Mann. Das ist eine sehr generalisierte These, aber das ist meine Erfahrung in dieser Dirigierwelt.
Ich denke, das gilt nicht nur für die Dirigierwelt. Welche Erfahrungen haben Sie mit Kolleginnen? Bilden sie ein Netzwerk? Sind sie viel im Austausch? Oder macht jede für sich ihr Ding?
Lachenmayr: Es gibt tatsächlich ein Netzwerk und auch einen Austausch - aber er könnte wesentlich stärker und auch bewusster sein. Aber es sind immer einzelne Frauen, die sich dafür einsetzen und versuchen, in Kontakt zu anderen zu treten. Ich nehme auch wahr, dass es immer mehr Veranstaltungen zu Themenbereichen gibt, auf denen sich mehr Dirigentinnen treffen können. Ich war zum Beispiel letztes Jahr im November auf einem tollen Vortrag in Berlin zum Thema Komponistinnen: Wie viele Werke werden eigentlich aktuell von Frauen gespielt? Was kann man tun, um diesen Werkekanon zu erweitern? Da habe ich ein paar wunderbare Dirigentinnen kennengelernt.
Würden Sie also sagen, dass die Wende geschafft ist und es jetzt aufwärts geht? Oder haben Sie noch ganz konkrete Wünsche, was noch passieren muss?
Lachenmayr: Dass die Wende geschafft ist, würde ich nicht sagen. Weil das würde bedeuten, dass wir andere Zahlen sehen müssten. Diese vier Frauen, die momentan von 130 Berufsorchestern in Deutschland als Chefdirigentinnen ihres Amtes walten, sind einfach zu wenige. Dementsprechend würde ich sagen, dass die Wende nicht geschafft ist - aber wir sind auf einem sehr guten Weg dahin. Das Wichtigste ist, dass alle, die in dieser Branche sind, weiterhin sensibel bleiben. Man wird dieses Themas auch schnell überdrüssig, weil man einfach nur musizieren und das Miteinander genießen möchte, in dem es meiner Erfahrung nach oft keinen Unterschied zwischen Mann und Frau gibt, sondern es um die Musik gehen darf. Aber es gibt Defizite und es gibt auch Dinge, die unbedingt getan werden müssen, und zwar von jedem einzelnen von uns.
Das Interview führte Julia Westlake.