Jugendliche auf dem Weg zur Schule © imago
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AUDIO: SINUS-Jugendstudie: Der Hedonismus auf dem Rückzug (8 Min)

SINUS-Jugendstudie: Der Hedonismus auf dem Rückzug

Stand: 12.06.2024 16:04 Uhr

Alle vier Jahre untersucht dass SINUS-Institut die Lebenswelten Jugendlicher zwischen 14 und 17 Jahren. Viele Jugendliche seien heute ernster und problembewusster, aber auch zweckoptimistisch, sagt Rusanna Gaber vom SINUS-Institut im Interview mit NDR Kultur.

Wenn Sie ein generelles Stimmungsbild der Teenager zeichnen würden, wie sieht das auf Basis Ihrer Untersuchung aus?

Rusanna Gaber: Wie geht es der Jugend heute? Da müssen wir zwischen dem Blick auf die Welt und dem Blick auf den persönlichen Alltag unterscheiden. Wenn man auf die Welt blickt, gibt es multiple Krisen, und die gehen an den Jugendlichen nicht vorbei, sondern machen ihnen große Sorgen. Sei es der Krieg in der Ukraine, die Klimakrise, aber auch die Inflation und die zunehmende Diskriminierung in Deutschland. Sie sind deshalb relativ besorgt und suchen nach Halt, Sicherheit und Geborgenheit.

Wenn man auf der anderen Seite auf den Alltag schaut und sie nach ihren Zukunftsvisionen fragt, erstaunt, dass sie relativ optimistisch in die Zukunft schauen. Das ist so eine Art Zweckoptimismus, dass man aus allen Krisen und Widrigkeiten im Alltag zum Trotz davon ausgeht, dass man sich selbst eine gute Zukunft bauen kann und dass man das meistern wird.

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Hat es vielleicht damit zu tun, dass diese befragten Jugendlichen, seit sie denken können, mit vielfältigen Krisen leben?

Gaber: Ja, das ist sicher ein wichtiger Grund. Sie kennen die Welt nicht anders, sie kennen die Welt nicht besser. Sie haben sich da so ein bisschen angepasst und eingerichtet. Der zweite Grund ist, dass die Jugendlichen, die wir befragt haben, zwischen 14 und 17 sind. Das heißt, sie leben, soweit es den Familien gut geht, noch in relativ geschützten Verhältnissen. Die große Welt kommt an sie noch nicht so stark heran wie an ältere. Der dritte Punkt ist, dass Jugendliche per se zukunftsoptimistischer sind als ältere Erwachsene.

Viele Jugendliche - das geht aus der Studie hervor - sind heute ernst und problembewusst. Die ehemals so jugendtypische hedonistische Mentalität ist weiter auf dem Rückzug und wandelt sich auch. Was hat sich für Sie seit der letzten Erhebung überraschend verändert?

Gaber: Die Überraschung ist, dass sich nicht viel verändert hat, obwohl sich in der Welt so viel verändert hat. Wir waren schon erstaunt, dass trotz der Zunahme an Krisen, Problem und der Virulenz des Klimawandels der Optimismus nicht so stark zurückgegangen ist wie im Vergleich zu vor vier Jahren. Das ist erst einmal ein erstaunlicher Befund. Was sich verändert hat, ist, dass das Thema Diversität und Toleranz sehr stark zugenommen hat. Es gibt eine breite Übereinstimmung bei den Jugendlichen quer durch alle Lebenswelten, dass Diversität wichtig ist. Es gibt eine große Sensibilität für Diskriminierung und soziale Ungerechtigkeit, und wir können sagen, dass die breite Mehrheit der Jugendlichen ganz selbstverständlich davon ausgeht, dass jede Person ihr Lebensmodell so leben soll, wie sie es möchte.

Wie kommen Jugendliche mit gleichaltrigen Zugewanderten klar? Welche Überschneidungen oder vielleicht auch Konflikte konnten Sie da beobachten?

Gaber: Wir haben in unserer Studie nicht so explizit danach gefragt. Wir haben allerdings danach gefragt, wie es ihnen im Schulkontext geht, was die Alltagsprobleme sind, und wie ihre Erlebnisse mit Ungerechtigkeit und Diskriminierung sind. Da hatten wir eher den Eindruck, dass Konflikte gesehen werden, sie werden auch ausgelebt - aber es gibt keine Ressentiments, sondern es ist eher so, dass die Jugendlichen sehr kritisch sehen, wie Jugendliche mit Migrationshintergrund in unserem Bildungssystem benachteiligt werden und wie sie teilweise Diskriminierungen ausgesetzt sind, auch in der Schule.

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Die Sorge um Umwelt und Klima ist der Studie zufolge weiter angewachsen. Aber das hat sich offenbar nicht in den jüngsten Wahlergebnissen in dieser Gruppe der Erstwählenden niedergeschlagen. Warum?

Gaber: Es ist schwierig, von unserer Studie auf die Wahlergebnisse zu schließen. Die Studie ist vor einem Jahr erhoben worden, und bei uns ging es nicht so sehr um Wahl- oder Parteipräferenzen. Die Wahlentscheidungen von Jugendlichen sind in der Regel sehr volatil. Was man aus unseren Studienergebnissen lesen kann: Dass die Jugendlichen sich mit einer Wahlentscheidung sehr schwer tun, dass sie sich noch nicht kompetent genug fühlen, eine gute Wahlentscheidung zu treffen. Es gibt außerdem auch sehr viele andere Krisen, und die Wahrnehmung, was aktuell das Wichtigste ist, ist sehr stark auch davon abhängig, was in den Medien, vor allem in den sozialen Medien gespielt wird. Und leider ist die AfD in den sozialen Medien stark vertreten und sehr erfolgreich unter Adressierung dieser jungen Zielgruppe. Das mag auch ein Grund dafür gewesen sein, dass sich einige Jugendliche für die AfD entschieden haben.

Meinen Sie viellecht auch das, wenn Sie in der Studie schreiben, die Jugendlichen seien nicht "woke" aber doch "aware"?

Gaber: Die Jugendlichen kamen in unseren Gesprächen sehr wenig ideologiegetrieben oder ideologieaffin rüber. Sondern sie haben eher eine pragmatische Sicht auf das Leben und sind da sehr geprägt von sozialen Werten wie Gerechtigkeit, Toleranz, Leistung, Selbstbestimmung - und das billigen sie auch anderen zu. Diversität, gerade in der Gender-Frage, wird von ihnen ganz selbstverständlich hingenommen, ohne dass sie so ein ideologiebasiertes, missionarisches Bewusstsein haben.

Das Interview führte Philipp Cavert.

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