Europawahl: Warum die AfD bei Jungwählern besonders punkten konnte
Junge Menschen wählen links und grün: Dieses lang etablierte Vorurteil scheint angesichts der jüngsten Zahlen von der Europawahl der Vergangenheit anzugehören. Ein Drittel der 16- bis 24-Jährigen wählte Union oder AfD. Ein weiteres Drittel setzte das Kreuz bei Kleinparteien, wovon vor allem Volt profitierte.
Die Alternative für Deutschland geht als einer der Sieger aus der Europawahl hervor. 15,9 Prozent der Wählerinnen und Wähler in Deutschland setzten ihr Kreuz bei der AfD. Besonders bei den jungen Wählern haben die Rechtspopulisten deutliche Zugewinne erzielen können. 16 Prozent der 16- bis 24-Jährigen wählten die Partei, ein Plus von elf Prozentpunkten in der jüngsten Altersgruppe im Vergleich zur letzten Europawahl 2019. In diesem Jahr durften auch erstmalig Minderjährige im Alter von 16 und 17 Jahren an der Europawahl teilnehmen.
Mehr Stimmen als die AfD erhielt in der jungen Wählergruppe nur die Union mit 17 Prozent. Besonders viele Jungwähler setzten ihr Kreuz zudem bei Kleinparteien, die mit insgesamt 28 Prozent sogar den größten Anteil in der Altersgruppe ausmachen. Großer Wahlverlierer bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind die Grünen, die mit nur noch elf Prozent fast nur noch ein Drittel des Wahlergebnisses der letzten Europawahl erreichten (2019: 34 Prozent).
Starke Präsenz in den sozialen Medien
Die Gründe für den Zuwachs der AfD bei den Jungwählern sind vielfältig, da sind sich Politologen und Wissenschaftler einig. Die eine Begründung für das besonders gute Abschneiden der rechtspopulistischen Partei gibt es nicht. Für den Theologen und Soziologen David Begrich spielen aber vor allem zwei Faktoren eine wesentliche Rolle.
Zum einen der Wahlkampf der AfD in den sozialen Medien, wo die Partei viele der jungen Wählerinnen und Wähler mit einem "jugendgerechten Kommunikationsangebot" erreicht habe. "Die AfD führt eine sehr umfangreiche und tiefgestaffelte, jugendgerechte strategische Kommunikation im Internet, die Jugendliche sehr stark anspricht und sie auch in ihrer Lebenswelt abholt oder das zumindest versucht." Das würden Jugendliche honorieren, sagt der Extremismusforscher vom Verein Miteinander in Magdeburg auf NDR Info.
Auch "Dauerkrisenmodus" ein wichtiger Faktor
Ein weiterer wichtiger Faktor ist Begrich zufolge das aktuelle Krisenerleben der jungen Generation. Wie keine andere Generation in den vergangenen Jahren seien Jugendliche und junge Erwachsene aktuell mit Krisen und Kriegen konfrontiert und das wiederum hinterlasse Spuren. Die Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg, die Entwicklung im Nahost-Konflikt, hohe Inflation oder auch die Angst vor einer schwächelnden Wirtschaft in Deutschland führe zu einer Art "Dauerkrisenmodus", sagt auch Amelie Weber, Social-Media-Expertin bei der Tagesschau.
Die Angst vor der Zukunft könne dazu führen, dass sich Jugendliche und junge Erwachsene nach konservativen Werten sehnten und sich einfache Antworten auf komplexe Fragen wünschten, so Weber im NDR Kultur Interview.
Jugendforscher: Regierungsparteien haben es traditionell schwerer
Ein weiterer Faktor für den Erfolg der CDU und der AfD sowie auch der Kleinparteien sei, dass es große Parteien oder Parteien in Regierungsverantwortung traditionell immer schwerer bei Jugendlichen hätten, sagt Jugendforscher Tim Gensheimer vom SINUS-Institut. Jugendliche würden verstärkt Oppositions-Parteien oder Kleinparteien wählen. "Das dürfte insbesondere die Grünen jetzt stark geschwächt haben, die bei der letzten Europawahl vorne lagen", sagt Gensheimer auf NDR Info.
Ähnlich wie Erwachsene würden sich Jugendliche auch an Themen orientieren, die aktuell für sie größte Priorität hätten. "Und in den letzten Monaten waren es eben nicht Themen wie Klimawandel oder Ähnliches, sondern es waren andere Themen, die hier stark im Vordergrund standen", sagt Gensheimer. Von einem allgemeinen Rechtsruck der jungen Generation will er dennoch nicht sprechen. Zwar hätte ein Drittel CDU, CSU und AfD gewählt, eine Mehrheit der jungen Menschen habe ihr Kreuz aber auch bei SPD, Grüne, FDP, Linke oder Volt gemacht.
Politikberater: "Junge Menschen sind nicht unbedingt links-progressiv eingestellt"
Warum junge Menschen eine Partei wählen, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall und in drei Ländern sogar als gesichert rechtsextrem eingestuft wird, erklärt der Hamburger Politikberater und Social-Media-Experte Martin Fuchs wie folgt: "Junge Menschen sind nicht unbedingt links-progressiv eingestellt, sondern haben auch teilweise ein vielleicht antisemitisches, rassistisches Weltbild", sagt Fuchs. Einigen sei die CDU "zu mittig" und "zu wenig nationalistisch". Die AfD habe es geschafft, das Potenzial von strukturellem Rassismus in Deutschland zu heben - dieser sei schon seit 20, 25 Jahren durch Studien belegt. Das Sylt-Video mit "Ausländer-Raus"-Parolen sei nur die Spitze des Eisbergs.
Der Erfolg der AfD gehe darüber hinaus nicht allein auf deren Dauerpräsenz auf Plattformen wie TikTok zurück. Beim Wahlkampf hätten die anderen Parteien auch große Fehler gemacht. Sie hätten sich an den rechten Kräften "abgearbeitet" und in der Kommunikation darauf fokussiert, Rechtsextreme im EU-Parlament zu verhindern. Diese Strategie sei nicht aufgegangen. Dadurch hätten nicht nur junge Menschen erst recht die AfD gewählt. "Das ist dann eine Art Trotzreaktion", die auch durch das immer wieder von der Partei bediente "Opfernarrativ" verstärkt werde.
Europapartei Volt als weiterer Gewinner bei den Jungwählern
Neben der AfD zählt auch Volt zu einem der großen Gewinner der Europawahl bei den Jungwählern. Die Partei wurde als Reaktion auf das britische Votum über den EU-Austritt und auf den wachsenden Rechtspopulismus in Europa von drei jungen Europäern im März 2017 gegründet. Volt trat bei dieser Europawahl mit der Forderung auf, die EU zu einem Bundesstaat auszubauen, Vetorechte der EU-Mitgliedstaaten abzuschaffen, die Energieversorgung bis 2035 komplett auf Ökoenergie umzustellen und die Seenotrettung von Migranten zu legalisieren. Mit dieser Agenda konnte sie besonders bei jungen Wählern punkten. In der Altersgruppe 16 bis 25 erreicht sie nach Zahlen der Forschungsgruppe Wahlen neun Prozent.
In den westdeutschen Groß- und Universitätsstädten sei Volt mit einer progressiven Agenda verstärkt in die "Lücke gestoßen, die die Grünen hinterlassen haben", analysiert der Politikwissenschaftler Thorsten Faas von der Freien Universität Berlin. Seit der letzten Wahl 2019 habe die grüne Regierungsbeteiligung bei jungen Leuten teilweise Enttäuschung hervorgerufen. Debatten wie die um das Heizungsgesetz hätten "extrem polarisiert" und den Grünen geschadet.
Bei dem Erfolg der AfD und Volt bei der jüngeren Generation sieht Niko Kappe, Lehrer und TikToker, bei den programmatisch extrem unterschiedlichen Parteien auch Gemeinsamkeiten in ihrem Auftreten in den sozialen Medien. Beide Parteien würden den jungen Menschen ein Angebot zu den aktuellen Krisen, Problemen und Herausforderungen machen. "Das heißt, sie geben vor: Wir wissen, was eure Probleme sind und wir haben eine Lösung dafür. Beide haben eine Zukunftsvision", sagte Kappe im Gespräch mit der Tagesschau.