Die Statuen bei Nemrut wurden während des Erdbebens nicht beschädigt. © picture alliance / AA Foto: Mehmet Kumcagiz
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Die Statuen bei Nemrut wurden während des Erdbebens nicht beschädigt. © picture alliance / AA Foto: Mehmet Kumcagiz
AUDIO: Nach der Erdbebenkatastrophe: Sorge um UNESCO-Welterbestätten (7 Min)

Nach der Erdbebenkatastrophe: Sorge um UNESCO-Welterbestätten

Stand: 07.03.2023 12:29 Uhr

Der Archäologe Felix Pirson vom Deutschen Archäologischen Institut in Istanbul erzählt im Interview, warum das von dem Erdbeben betroffene Gebiet in der Türkei und in Syrien kulturhistorisch so wichtig ist.

Herr Pirson, wie groß sind die Schäden an Welterbestätten durch das Erdbeben insgesamt?

Felix Pirson: Es gibt vier UNESCO-Welterbestätten im Erdbebengebiet: die Zitadelle und Altstadt von Aleppo, die Zitadelle von Diyarbakir und die archäologischen Stätten Nemrut Dag und Göbekli Tepe. Wir wissen, dass es in Aleppo leider zu zum Teil sehr schweren Schäden im Bereich der Altstadt gekommen ist. In Diyarbakir gibt es an der Zitadelle leichtere Schäden. Die archäologischen Stätten Nemrut Dag und Göbekli Tepe sind offenbar unversehrt geblieben.

Sie haben jetzt unterschieden zwischen Welterbestätten und Kulturstätten. Wie groß ist die Zerstörung, wenn man das generell betrachtet?

Pirson: Neben den bereits genannten Beispielen wissen wir von der Zerstörung zahlreicher baugeschichtlich wichtiger Moscheen und Kirchenbauten, beispielsweise in Iskenderun und in Antakya. Wir wissen, dass auch die innerstädtische Festung von Gaziantep, die eine besonders lange Geschichte aufweist, in erheblichen Teilen zerstört ist. Aber grundsätzlich muss man sich vergegenwärtigen, dass im Moment die Arbeiten noch nicht abgeschlossen sind und wir insofern noch von keinem abschließenden Bild ausgehen können.

Das Erdbeben hat den Südosten der Türkei und den Norden Syriens getroffen. Warum ist dieses Gebiet menschheits- und kulturhistorisch so wichtig?

Pirson: Wenn man zunächst einmal auf die Geografie blickt, befinden wir uns da an einer Schnittstelle zwischen der anatolischen Halbinsel und dem Vorderen Orient. In dem Gebiet liegt das obere Zweistromland - das ist eine ganz bedeutende Kontaktzone für Menschen, Kulturen, Ideen und Religionen. Und so ist es auch ganz bezeichnend, dass sich in dieser Gegend zum Beispiel die neolithische Lebensweise ausgeprägt hat; das heißt: Sesshaftigkeit, Ackerbau und Viehzucht. Später gab es immer wieder solche wichtigen Kulturkontakte, zum Beispiel in der hellenistisch-römischen Zeit. Für die Ausprägung des Christentums ist die Gegend ausgesprochen wichtig und interessant. Aber auch in der türkischen und islamischen Zeit ist die Gegend zum Beispiel in der Ausprägung bestimmter Formen von Stadtkultur besonders wichtig.

Eine Frage, die sich wahrscheinlich viele Menschen gerade stellen: Ist bei all der menschlichen Not überhaupt Zeit und Geld vorhanden, um diese Kulturstätten abzusichern? Stellt sich diese Frage überhaupt, oder ist sie unmoralisch angesichts all der Toten?

Pirson: Es ist ganz wichtig zu sagen, dass bei einer solchen Katastrophe das menschliche Leid und die humanitären Maßnahmen absolut im Vordergrund stehen. Auf der anderen Seite sind diese Kulturdenkmäler nicht nur bedeutende kunsthistorische oder archäologische Monumente, sondern sie sind häufig wichtig für die Stadtbilder, für die Identität der Stadtbewohner. Es ist wichtig, dass die Menschen wissen, dass sie in einem geschichtlichen Raum leben, der eine lange Tradition hat. Und um die kulturelle Identität dieser Plätze aufrechtzuerhalten, wird es in Zukunft wichtig sein, diese Denkmäler zu erhalten, um diese Städte wieder in einer gewissen Weise lebenswert zu machen.

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So eine zerstörte Kulturstätte kann wahrscheinlich nicht einfach so wieder aufgebaut werden. Das ist sicherlich ein komplexer Prozess. Wie wird da vorgegangen?

Pirson: Unmittelbar nach so einem Katastrophenereignis geht es erst einmal darum zu schauen, welche Denkmäler wie stark beschädigt sind, beziehungsweise von weiteren Schäden unmittelbar bedroht. Auf der Basis würde man erst einmal eine Notsicherung durchführen. Dann setzt ein ziemlich komplexer Prozess der Schadensdokumentation ein, indem genau festgestellt werden muss, was in welchem Grade beschädigt ist. Häufig sieht man so etwas auf den ersten Blick gar nicht. Auf dieser Basis können erst dann Konzepte entwickelt werden zur Konservierung, vielleicht auch zur teilweisen Wiederherstellung bis hin zum Wiederaufbau.

Sie arbeiten am Deutschen Archäologischen Institut in Istanbul. Haben Sie als Archäologinnen und Archäologen denn Möglichkeiten, in der Erdbebenregion konkret zu helfen?

Pirson: In der Region sind türkische und internationale Teams mit sogenannten Grabungshäusern vertreten, wo in den Sommermonaten die Archäologenteams arbeiten. Diese Grabungshäuser verfügen über Schlafstätten und Küchen und sind damit durchaus auch geeignet, in so einer Katastrophensituation Menschen aufzunehmen. Ich weiß, dass beispielsweise in Zeugma bei Gaziantep ein Grabungshaus der Universität Ankara für die notleidende Bevölkerung geöffnet wurde. Ein kleineres Grabungshaus in Gaziantep, was von der Uni Münster unterhalten wird, ist auch zwei Familien zur Verfügung gestellt worden. Viele von uns haben auch enge persönliche Beziehungen in der Gegend, weil man dort über viele Wochen und Monate arbeitet. Ich habe gestern erst von einer Initiative von Studierenden aus Frankfurt am Main gehört, die ihre türkischen Kommilitoninnen und Kommilitonen in Antakya durch einen Spendenaufruf zu unterstützen suchen.

Das Interview führte Anna Novák.

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