Kampf gegen Wohnungsnot: Ist serielles Bauen die Lösung?

Stand: 09.04.2023 07:54 Uhr

In Deutschland herrscht Wohnungsnot - und das nicht nur in den Ballungsgebieten. Jetzt soll es das serielle Bauen richten: Bauen mit vorgefertigten Modulen. Das geht schneller, aber ist das wirklich die Lösung? Wie vermeidet man es, die Fehler des Plattenbaus zu wiederholen?

von Thorsten Mack

Sie sehen aus wie riesige Waschmaschinen - und das sind sie auch: Fertigbäder für Menschen. Komplett vorgefertigt mit Anschlüssen außen wie innen. Das hat viele Vorzüge, sagt Jonathan Schliehe: "Wir haben die haustechnischen Anlagen schon drin. Wir haben alles fertig gefliest: zum einen Qualitätsvorteile, Preisvorteile und natürlich die Geschwindigkeit. Alles, was am Werk gefertigt wird, muss vor Ort nicht mehr einzeln hergestellt werden - Fachkräftemangel."

Serielles Bauen: Bezahlbarer Wohnraum für alle

Serielles Bauen: Wände und Elemente, die wie Lego zusammengesteckt werden, günstig in der Fabrik vorproduziert. Zum Teil entstehen so komplette Wohneinheiten. Das Fließband soll ein Wahlversprechen richten: bezahlbarer Wohnraum für alle.

Bundesbauministerin Klara Geywitz spricht sich für serielles Bauen aus und möchte, "dass wir natürlich auch produktiver werden am Bau, das heißt, wir müssen dringend serielles Bauen auch in Deutschland stärker als bisher betreiben. Das kann sehr schön aussehen, auch sehr individuell aussehen."

Weitere Informationen
Ein roter Stift liegt auf einer Zeitung mit Wohnungsanzeigen © picture alliance / imageBROKER Foto: Christian Ohde

Studie: Größter Wohnungsmangel seit über 20 Jahren

Um eine Krise abzuwenden, fordern der Mieterbund, die Baugewerkschaft und Verbände vom Staat 50 Milliarden Euro für sozialen Wohnungsbau. mehr

Schnellere Bauzeit und individuelle Zuschnitte

Im niedersächsischen Winsen entstehen so 29 geförderte Wohnungen aus Fertigteilen. Anschlüsse und Verbindungen sind vorproduziert, weniger Personal und Material sind nötig: Das spart Kosten. Da diese Teile frei kombinierbar sind, sind individuelle Zuschnitte möglich - bei stark verkürzter Bauzeit: etwa zehn statt 14 bis 16 Monate.

Neu ist die Idee nicht - und hat deshalb für viele einen faden Beigeschmack. Vor 50 Jahren wurde viel falsch gemacht: "Katalogartig werden die Häuser angeboten, wenig variabel, dafür aber schlüsselfertig", heißt es in einem Fernsehbeitrag aus den 70er-Jahren. "Uniforme Häuser, die sich zu uniformen Siedlungen reihen. Beton neben Beton."

VIDEO: Wohnmobile gegen Wohnungsnot (7 Min)

Gigantische Monotonie?

Durchgesetzt hatte sich der Modulbau nicht - aber die schnelle und günstige Bauweise mit vorgefertigten Platten. Droht wieder so eine gigantische Monotonie?

"Wenn man das zu schlicht denkt, besteht natürlich eine Gefahr, wenn es nur um Masse geht und nur um Zahlen", sagt Franz-Josef Höing, Oberbaudirektor in Hamburg. "Genau das darf uns eben nicht passieren. Natürlich muss man sich jetzt bei diesem seriellen Bauen diese Fragen stellen. Ich glaube, es gibt Antworten. Das ist jetzt fast eine Plattitüde: Man kann alles gut machen und kann natürlich auch an vielen Stellen was sehr schlecht machen. Es sollte uns ein mahnendes Beispiel sein."

Wohnraumbedarf passt nicht zu standardisiertem Bauen

Hier soll es besser gemacht werden: 400 geförderte Wohnungen einer Hamburger Baugenossenschaft - herkömmlich errichtet, aber mit gleichen Grundrissen und technischen Standards. Das spart 10% Kosten durch weniger Planung. Aber: Es ist für große Flächen gedacht, die es immer seltener gibt.

"Wohnungsbedarf ist vor allen Dingen in den Städten und es ist klar, dass Städte wie Hamburg eher in der Stadt nachverdichten wollen", erklärt Architekturkritiker Claas Gefroi. "Das heißt: Wir haben hier nur noch wenige Flächen - das sind meistens schwierige Flächen. Es ist sehr eng. Darauf kann standardisiertes Bauen in der Regel gar nicht reagieren. Das heißt: Es passt nicht zu dem Wohnraumbedarf, den wir eigentlich haben."

Weitere Informationen
Auf einem Grundriss einer Wohnung liegen Geldscheine und Schlüssel. © Colourbox Foto: -

Mieten in MV steigen: Wer soll das bezahlen?

Mieten werden immer teurer. Gründe dafür sind unter anderem die Inflation, gestiegene Baukosten und steigende Kreditzinsen. mehr

Einsparungen kompensieren steigende Kosten nicht

Die Kritiker des seriellen Bauens sagen, die Einsparungen kompensieren nicht die steigenden Kosten durch Material und immer mehr Vorschriften. Vereinheitlichung gefährde die Baukultur und helfe nicht gegen ein grundsätzliches Problem. 

"Da sind noch ganz andere Faktoren im Spiel, wo die Politik nur ungern ran will. Zum Beispiel könnte es einen Deckel geben für Grundstückspreise, weil das ein ganz wichtiger Faktor ist", meint Claas Gefroi. "Darüber möchten natürlich Landesregierungen nur ungern reden - und die Bundesregierung auch nicht."

Jedes Bundesland hat eigene Vorschriften

Und dann sind da noch die hausgemachten Probleme der Politik - auch für serielles Bauen. Jedes Bundesland hat eigene Vorschriften. Damit man passgenau sozial bauen kann, muss jedes Mal neu geplant werden - auch in Norddeutschland. 

"Unsere Planer-Architekten beschäftigen sich mit vier Landesbauordnungen und vier Förderrichtlinien", sagt Jonathan Schliehe. "Andere Wohnungsgrößen, Raumgrößen, rollstuhlgerecht ja oder nein, Barrierefreiheit, Geländerhöhen - da gibt es unzählige Beispiele."

Wohnwert nicht aus den Augen verlieren

Das Bauen bleibt eine Baustelle. Die Politik versagte in den letzten Jahren, schaffte zu wenig bezahlbare Wohnungen. Es bräuchte jetzt genaue Stellschrauben, die effizientes Bauen erlauben, aber dafür sorgen, dass das schöne Wohnen nicht auf der Strecke bleibt. 

"Kommunen müssen noch mal über ihre Regelungsdichte nachdenken und darüber, welche Standards man eigentlich anlegt", findet Franz-Josef Höing. "Ich glaube, es geht nicht darum - auch bei allem Verständnis für Kosten, für Einsparungen -, immer nur wegzunehmen und ein Haus am Ende so auszumergeln, dass es vielleicht keinen ausreichenden Wohnwert mehr hat."

Weitere Informationen
Leon und Nicole suchen seit Monaten nach einer bezahlbaren Wohnung für die kleine Familie. © NDR/Ute Jurkovics
ARD Mediathek

Mietenwahnsinn - Was tun?

Die Mieten steigen immer höher. Und viele Menschen finden keine Wohnung mehr. Welche Auswege gibt es? Video

Bündnis gegen Wohnungsnot macht mit bunten, aktivistischen Pappkartons auf das Ende des Winternotprogramms aufmerksam. © Screenshot
1 Min

Bündnis macht auf Wohnungsnot aufmerksam

"Wohnungen für alle" fordert das Hamburger Aktionsbündnis gegen Wohnungsnot. In der Innenstadt gab es eine Aktion. 1 Min

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NDR Kultur - Das Journal | 03.04.2023 | 22:45 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Architektur

Wohnungsmarkt

Eine Grafik zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Podest vor einem roten Hintergrund. © NDR

Legenden von nebenan: Wer hat Ihren Ort geprägt?

NDR Kultur erzählt die Geschichte von Menschen, die in ihrer Umgebung bleibende Spuren hinterlassen haben - und setzt ihnen ein virtuelles Denkmal. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum - Die Philosophie und wir

Bei einem Becher Tee philosophieren unsere Hosts über die großen Fragen. Denise M‘ Baye und Sebastian Friedrich diskutieren mit Philosophen und Menschen aus dem Alltag. mehr

Mehr Kultur

Christian Kind steht in seinem Plattenladen hinter der Kasse und lächelt in die Kamera. © NDR Foto: Antonia Reiff

Gerettet durch Crowdfunding: Hamburger Plattenkiste macht weiter

Das Geschäft im Stadtteil Hoheluft versorgt Musikfans mit Vinyl und CDs - doch durch die Corona-Zeit und Schulden stand es kurz vor dem Aus. mehr