Gregor Zöllig: "Man müsste Marco Goecke eine zweite Chance geben"
Der Künstlerische Leiter des Tanztheaters am Staatstheater Braunschweig Gregor Zöllig hält das Verhalten des kürzlich entlassenen Choregrafen Marco Goecke für nicht akzeptabel, plädiert aber dennoch für eine zweite Chance.
Vor ein paar Monaten erschütterte die Geschichte um den Kollegen Marco Goecke von der Staatsoper Hannover die Tanzwelt: Der Choreograf hat Mitte Februar bei einer Premiere in der Pause an der Staatsoper Hannover offenbar aus Frust über eine schlechte Premierenkritik der Journalistin Wiebke Hüster von der "FAZ" Hundekot ins Gesicht geschmiert. Ein großer Eklat, der sogar weltweit für Schlagzeilen gesorgt hat. Goecke hat sich anschließend erklärt und entschuldigt - es hat ihm aber nichts genutzt. Er wurde entlassen und arbeitet inzwischen nicht mehr an der Staatsoper Hannover. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Beleidigung.
Herr Zöllig, was haben Sie gedacht, als Sie von dieser Geschichte gehört haben? Waren sie erschrocken?
Gregor Zöllig: Ich fand es mega absurd, bei näherem Nachdenken dann mega traurig, weil die Konsequenzen oder das, was Marco jetzt - im doppelten Sinne - zahlen muss, finde ich schon sehr krass.
War der Umgang mit diesem Choreografen aus ihrer Sicht zu hart? Muss man ihm seinen Fauxpas, wenngleich der fürchterlich war, insofern verzeihen, als dass er doch weiterhin eine Zukunft in seinem Metier hat?
Zöllig: Ich denke, wenn sich eine Straftat aus einer Kränkungen entwickelt, dann haben wir ja Gesetze, die diese ahnden. Selbstjustiz ist einfach fehl am Platze. Ich finde gleichzeitig, man kann das nicht so allgemein sagen. Für Marco selber finde ich schon, dass man ihm eine zweite Chance geben müsste, weil er eine ganz neue Tanzsprache erfunden hat. Er ist ein sehr begabter und auch sehr wichtiger Künstler, und da würde ich schon die Lanze für ihn brechen wollen, auch wenn es klar ist, dass dieses Verhalten nicht akzeptabel ist. Auch die Auswirkungen, die das für ihn hatte, waren sicherlich berechtigt. Dennoch, finde ich, müsste er eine zweite Chance kriegen.
Kürzlich gab es im Anschluss an ein Werk von Marco Goecke an der Staatsoper Standing Ovations des Publikums. Das Ensemble hat sich auch noch einmal öffentlich positioniert und Bedauern zum Ausdruck gebracht. Wie könnte so eine zweite Chance aussehen?
Zöllig: Ich kann nicht in die Zukunft gucken, das weiß ich nicht. Ich bin traurig darüber, dass da so viel kaputt gegangen ist. Er hat so ein megaschönes Ensemble, er hat die Welt des Tanzes nach Hannover gebracht. Wir hatten so viele schöne Abende mit so vielen tollen Choreografinnen und Choreografen erleben können, und dass das jetzt einfach zu Ende sein soll, das finde ich megaschade. Es spricht für das Ensemble, dass es zu Marco steht und die Arbeit, die er hier gemacht hat, wertschätzt. Ich wünsche allen, die da verantwortlich sind, sehr viel Glück, damit sie einen guten, kreativen Weg für das Ensemble finden, wie es weitergehen kann.
Der Entwickler ist zwar nicht mehr am Hause, aber zumindest in Hannover werden Marco Goeckes Stücke weiterhin gespielt. An anderen Häusern ist das nicht der Fall: In den Niederlanden zum Beispiel sind die Stücke mit Rücksicht auf Sponsoren, wie es heißt, abgesetzt worden. Sollten Werk und Autor auch in so einem Fall nicht ganz voneinander getrennt betrachtet werden?
Zöllig: Ich möchte das jetzt einfach auf die Situation von Marco setzen. Und da finde ich, wäre es schön, wenn er diese zweite Chance kriegt. Ich kann das mit anderen Beispielen nicht teilen, zum Beispiel wenn faschistisches Gedankengut im Spiel ist oder wenn eine Straftat vorliegt - dann hätte ich da auch meine Bedenken, weil man da Autor und Werk nicht trennen kann. In dem Fall, der hier beschrieben ist, würde ich das anders sehen.
Als Folge dieses Falls ist viel darüber geschrieben und diskutiert worden, was Kunstkritik eigentlich darf und was Kunstschaffende aushalten sollen oder müssen. Haben Sie ähnliche Kränkungen durch Kritikerinnen und Kritiker erlebt? Wo ist da die Grenze?
Zöllig: Angesichts der Zeit, in der wir leben, wo das Kulturfeuilleton sowieso zur Debatte steht, weil es immer weniger Menschen gibt, die das scheinbar lesen, finde ich so eine Diskussion schwierig. Wir haben eine bestimmte Abhängigkeit voneinander; ich bin froh, wenn Kritiker kommen und über mich schreiben. Ich formuliere eine Meinung und stelle die bei der Premiere der Öffentlichkeit vor - und dasselbe tut eine Kritikerin oder ein Kritiker auch. Ja, da gibt es Befindlichkeiten und man ist mit großer Leidenschaft dabei, aber wenn beide Teile respektvoll und mit Achtung miteinander umgehen, dann ist dem nichts entgegenzusetzen.
Das Interview führte Janek Wiechers.