Generisches Maskulinum: Was sagt die Sprachwissenschaft?
Beim Streit ums Gendern geht es in den meisten Fällen um das sogenannte generische Maskulinum, also die Frage: Reicht es, von Schülern zu sprechen, wenn man Schülerinnen mitmeint. Was weiß die Sprachwissenschaft darüber?
Gender-Gegner argumentieren: Es reicht von Schülern zu sprechen, es sei eine rein grammatische Definition, dass die maskuline Mehrzahl auch die Frauen mitmeint. Man dürfe das grammatische Geschlecht (Fachausdruck: Genus) nicht mit dem natürlichen Geschlecht (dem sogenannten Sexus) verwechseln.
Grammatik hat Einfluss auf Bilder und Vorstellungen
Die Sprachforschung zeigt, dass das grammatische Geschlecht sehr wohl einen Einfluss darauf hat, was für Bilder und Vorstellungen erzeugt werden. Ein harmloses Beispiel: Im Deutschen ist es die Sonne und der Mond. Im Spanischen ist es umgekehrt: El sol, la luna. Tatsächlich gibt es Untersuchungen, wonach im spanischen Sprachraum die Sonne eher mit männlichen, sozusagen väterlichen Attributen versehen wird, der Mond mit weiblich-mütterlichen. Im französischen Sprachraum, wo die Sonne ebenfalls männlich ist, wurde Ludwig XIV passenderweise als Sonnenkönig dargestellt. Wir Deutschen dagegen kennen den "Mann im Mond". Auch auf Kinderbildern oder Karikaturen bekommt der Mond im deutschen Sprachraum ein entsprechend männliches Gesicht. Die Grammatik hat also selbst dann einen Einfluss, wenn es um an sich geschlechtslose Objekte geht - auch wenn das Ausmaß dieses Effekts umstritten ist.
Wenn es allerdings um Personen geht, ist inzwischen recht gut belegt, dass wir bei Formulierungen wie "die Lehrer" tatsächlich eher Männer vor Augen sehen als bei "Lehrerinnen und Lehrer".
Wann Bilder entstehen und wann eher nicht
Allerdings ist das keineswegs immer so. Darauf weist auch die Linguistin Carolin Müller-Spitzer vom Leibniz-Institut für Deutsche Sprache im Podcast von SWR2 Wissen hin. Aber es deutet sich eine Art Faustregel an: Bilder von "Männern" entstehen demnach vor allem dort, wo die Begriffe selbst bildhaft sind und sich auf anschauliche Tätigkeiten beziehen.
Wenn wir also Formulierungen hören wie "die Bäcker", "die Ärzte" oder "die Politiker", neigen wir schon dazu, nur Männer vor unserem geistigen Auge sehen. Bei anderen Begriffen besteht diese Gefahr weniger. Etwa wenn "die Stuttgarter auf die Straße gehen", oder wenn "Impfgegner protestieren". Denn die Wörter "Stuttgarter" und "Impfgegner" beschreiben keine anschauliche Tätigkeit. Allerdings: So viel Forschung gibt es dazu noch gar nicht, um aus den Daten eindeutige Schlüsse zu ziehen.
Gendersternchen erzeugt nicht zwangsläufig "geschlechtergerechte" Assoziationen
Umgekehrt ist es auch ein bisschen Wunschdenken zu glauben, dass man beim Lesen oder Hören eines Gendersternchens sofort an Menschen jeglicher geschlechtlicher Ausprägung denkt. Gerade in gesprochenen Texten hören viele statt der "Patient*innen", mit denen beide Geschlechter gemeint sind, eben doch die "Patientinnen" und wundern sich, warum die Männer nicht genannt werden.
In manchen Kontexten wird Geschlechtsidentität durchs Gendern überbetont
Formulierungen mit Sternchen oder Doppelnennungen können dazu führen, dass die Geschlechtsidentität in gewisser Weise überbetont wird, selbst bei Texten, in denen es überhaupt nicht um Geschlechterfragen geht. Diese Art zu sprechen ist zwar geschlechtergerecht gemeint, wirkt aber nicht immer so. Wenn ein Text von Politiker*innen spricht, sehen viele eben nicht Männer und Frauen in der Politik vor ihrem geistigen Auge, sondern sind mit ihren Gedanken eher bei dem- oder derjenigen, die diesen Text verfasst hat. Das alles sind keine Argumente, nicht zu gendern, sondern eher dafür, dass es für geschlechtergerechte Sprache kein Patentrezept gibt.